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PolitikEuropa

EU-Verteidigungsstrategie: Europa will wehrhafter werden

19. März 2025

Die EU-Kommission hat in einem Strategiepapier dargelegt, wie die Europäische Union verteidigungsfähiger werden kann. Vor allem geht es darum, sich gegen Russland zu behaupten.

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Kaja Kallas an einem Sprecherpult der Europäischen Union
Die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas stellte das Weißbuch der EU-Kommission vorBild: Virginia Mayo/AP/picture alliance

"Wie wichtig die Verteidigung für uns ist, zeigt sich daran, wie viel wir in sie investieren. Und in den vergangenen zehn Jahren war sie uns nicht sehr wichtig", sagte die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas bei der Vorstellung der neuen EU-Verteidigungsstrategie in Brüssel. Seit 1945 habe die Welt nicht mehr derartige Umbrüche gesehen, fügte die Estin hinzu. Es sei Zeit zum Handeln.

Die EU-Kommission hat ein sogenanntes Weißbuch zur Verteidigungsfähigkeit der EU vorgelegt. Das Strategiepapier soll aufzeigen, wie die EU und ihre Mitgliedstaaten bis zum Jahr 2030 wehrhafter werden können. Einer der Hauptgründe dafür ist Russland. So heißt es in dem Papier: "Wenn es Russland gestattet wird, seine Ziele in der Ukraine zu erreichen, werden sich seine territorialen Ambitionen weiter ausdehnen. Russland wird auf absehbare Zeit eine grundlegende Bedrohung für die Sicherheit Europas bleiben."

Mit dem Papier allein werde man den russischen Machthaber Wladimir Putin kaum abschrecken können, vielmehr müssten die Vorhaben auch umgesetzt werden, sagte EU-Verteidigungskommissar Andrius Kubilius. Einige europäische Geheimdienste würden es für wahrscheinlich halten, dass Russland bis ins Jahr 2030 die Beistandsverpflichtung der NATO teste, warnte er.

Das Weißbuch verweist aber nicht nur auf Russland, sondern auch auf ein zunehmend aggressiveres China, auf die Unsicherheiten im Nahen Osten durch den Fall des Assad-Regimes in Syrien und auf die Lage in Gaza. Weitere Gefahren gingen von hybriden Bedrohungen wie etwa Cyber-Angriffen und Sabotageakten an der Infrastruktur aus.

Militärische Fähigkeiten ausbauen

Um wehrhafter zu werden, hat die EU-Kommission die kritischen Bereiche identifiziert, in denen die Mitgliedsstaaten ihre Fähigkeiten ausbauen müssten. Dazu zählen neben Luftverteidigung, Raketenabwehr, Artilleriesystemen und Drohnen auch die militärischen Transportkapazitäten. Mit ihrer Strategie will die EU zudem neue Mittel im großen Stil zur Verfügung stellen. 

Es seien weiterhin die Mitgliedstaaten, die in Sachen Verteidigung die Zügel in der Hand hielten, wird in der Kommission betont. Allerdings wolle man dafür sorgen, dass vorhandene Ressourcen so effizient wie möglich genutzt werden. Etwa dadurch, dass Waffensysteme gemeinsam entwickelt, hergestellt und vermarktet werden. Ein großes Problem der europäischen Verteidigung sind die zahlreichen verschiedenen Waffensysteme in den Mitgliedstaaten, die untereinander nicht immer kompatibel sind.

Aufgebockte Militärlastwagen tragen das Luftabwehrsystem "Eurosam"
Europa will im Bereich Luftabwehr Lücken schließen: Hier abgebildet das Luftabwehrsystem des italienisch-französischen Herstellers "Eurosam" (Archivbild) Bild: Alexandra Wey/KEYSTONE/picture alliance

Finanzierung durch neue Schulden

Bereits vor zwei Wochen hatte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ihren "ReArm-Europe"-Plan vorgestellt, um in den nächsten Jahren 800 Milliarden Euro für Verteidigungsausgaben zu mobilisieren. Dafür soll die erlaubte Schuldenlast für die EU-Mitgliedstaaten auf bis zu 1,5 Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes erhöht werden, was Verteidigungsausgaben von bis zu 650 Milliarden Euro ermöglichen soll. Weitere 150 Milliarden Euro will die EU ihren Mitgliedstaaten per Darlehen zur Verfügung stellen.

Einige EU-Länder sollen dabei von den günstigen Kreditbedingungen der EU profitieren. Mit diesen Geldern sollen gemeinsame Rüstungsankäufe zwischen verschiedenen EU-Staaten und auch deren Partnern, wie etwa Norwegen oder der Ukraine, angeregt werden. Gekauft werden darf bei Unternehmen, die in der EU ansässig sind, und wenn die Komponenten zu 65 Prozent europäischer Herkunft sind. 

Die Rüstungsindustrie begrüßt die Vorschläge, insbesondere den Aufruf zu mehr gemeinsamer Beschaffung. Aus Sicht der Industrie seien Bestellungen mit einer langfristigen Perspektive wichtig für die Planungssicherheit, heißt es beim Unternehmerverband "Aerospace, Security and Defence Industries Association of Europe".

Ukraine-Unterstützung bleibt ein zentraler Punkt

Ein wesentliches Ziel der Strategie ist die weitere militärische Unterstützung der Ukraine. Die sogenannte "Stachelschwein"-Strategie bedeutet, die Ukraine so aufzurüsten, dass sie für einen Angreifer unverdaulich wird. Die Ukraine werde weiterhin an der Frontlinie der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik bleiben, heißt es in dem Weißbuch. Sie sei der "zentrale Schauplatz, um zu bestimmen, wie die neue internationale Ordnung" aussehe. Neben konkreter militärischer Hilfe, wie etwa zwei Millionen Schuss Artillerie pro Jahr oder Flugabwehrsystemen, soll die Ukraine auch in EU-Initiativen eingebunden werden.

Schweden sagt Ukraine Unterstützung zu

Partnerschaften ausbauen

Auch die veränderte Rolle der USA klingt in dem Weißbuch an. Zwar werden die Vereinigten Staaten als traditionell starker Partner bezeichnet, allerdings sei klar geworden, dass die USA ihre Rolle als "primärer Sicherheitsgarant" zurückfahren wollten. Verteidigungskommissar Kubilius formulierte es so: "450 Millionen Bürger der Europäischen Union sollten sich nicht auf 340 Millionen Amerikaner verlassen müssen, um sich gegen 140 Millionen Russen zu verteidigen, die 38 Millionen Ukrainer nicht besiegen können."

Mit den USA werde der bilaterale Dialog fortgeführt und die Zusammenarbeit in einigen Bereichen gestärkt. Insbesondere mit der NATO, aber auch mit anderen Ländern wie etwa Indien wolle man verstärkt in Sicherheits- und Verteidigungsfragen zusammenarbeiten. Die Vorschläge werden als nächstes von den Mitgliedstaaten diskutiert.

Während die konservative EVP-Fraktion das Weißbuch grundsätzlich begrüßt, halten es die liberale Renew-Fraktion und die Grünen für zu wenig ambitioniert. So fordert die Grünen-Abgeordnete Hannah Neumann "echte strategische Unabhängigkeit" auch bei der Finanzierung. Aus ihrer Sicht müssten auch Eurobonds - also die gemeinschaftliche Aufnahme von Schulden - und eine spezialisierte europäische Verteidigungsbank diskutiert werden.

DW Mitarbeiterin Lucia Schulten
Lucia Schulten Korrespondentin in Brüssel