NS-Raubkunst: Wem gehört dieses Bild von Modersohn-Becker?
4. September 2025"Junges Mädchen” ist das Porträt eines unbekannten Mädchens, gemalt um 1901 von Paula Modersohn-Becker. Es ist das Werk einer Künstlerin, die zu den bedeutendsten Vertreterinnen des frühen Expressionismus gezählt wird. Während mehrerer Studienaufenthalte in Paris setzte sie sich intensiv mit der französischen Avantgarde auseinander, darunter Paul Cézanne, Paul Gauguin und Vincent van Gogh.
Daraus entwickelte Modersohn-Becker eine eigenständige Bildsprache, die sich deutlich von der romantischen Landschaftsmalerei ihrer Kollegen unterschied, mit denen sie in Worpswede in einer Künstlerkolonie lebte. Modersohn-Becker (1876 bis 1907) gilt als Pionierin der Moderne in Deutschland.
Restitutionsbegehren der Erben
Seit 67 Jahren ist "Junges Mädchen" im Besitz der Stadt Hamburg und Teil der Sammlung der Hamburger Kunsthalle. "Das Bild ist 1958 ins Haus gekommen. Als Geschenk. Und es ist ein zu beforschendes, schwarzes Loch", sagte Kunsthallen-Direktor Alexander Klar dem Norddeutschen Rundfunk (NDR).
Schenkende war damals, so ist es in der digitalen Sammlung der Kunsthalle nachzulesen, Elsa Doebbeke. Sie war Witwe des NSDAP-Mitglieds und Kunstsammlers Conrad Doebbeke, der während der NS-Herrschaft viele Gemälde, vor allem von jüdischen Besitzern, günstig erworben haben soll.
Im Dezember 2020 dann meldeten die Erben des jüdischen Kaufmanns Robert Graetz ein offizielles Restitutionsbegehren an. Graetz war ein Berliner Kunstliebhaber und -sammler, den die Nazis 1942 nach Warschau deportierten; er wurde im Dezember 1945 für tot erklärt. Lange kam wenig Bewegung in die Sache, die Kunsthalle forschte nach eigenen Angaben weiter nach der Herkunft des Werkes und auch die Familie Graetz hatte ein Forschungsprojekt in Auftrag gegeben.
Letzter Einsatz der Beratenden Kommission
Schließlich rief sie die "Beratende Kommission im Zusammenhang mit der Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturguts, insbesondere aus jüdischem Besitz" an. Sie ist in Deutschland seit 2003 dafür zuständig, in solchen Streitfällen eine Lösung zu empfehlen - bis jetzt. Denn am 1. Dezember dieses Jahres wird die Kommission durch Schiedsgerichte ersetzt werden, darauf einigten sich Bund, Länder und Kommunen im Januar.
Der Grund: ihre Ineffizienz. Die Kommission ist in ihrem 22-jährigen Bestehen in nur 26 Fällen aktiv geworden, eine verschwindend geringe Zahl angesichts geschätzter 200.000 Objekten von NS-Raubgut allein in Deutschland. Das hat nach Ansicht vieler Experten vor allem mit ihrer unzureichenden Ausstattung und Konstruktion sowie der fehlenden gesetzlichen Grundlage und Durchsetzungsfähigkeit zu tun. So kann die Kommission nur tätig werden, sofern beide Parteien dies wünschen. Und ihre Empfehlungen sind rechtlich nicht bindend.
Kein Restitutionsgesetz in Deutschland
Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern gibt es in Deutschland noch immer kein Restitutionsgesetz - also keine verbindliche Rechtsgrundlage für die Nachkommen der Opfer, Restitutionsansprüche einzuklagen. Experten halten das gerade für das Täterland Deutschland untragbar.
Deutschland hat 1998 die Washingtoner Erklärung mit verabschiedet. In dem Dokument haben sich 44 Staaten und zahlreiche Organisationen und Opferverbände auf die Forderung nach einer "fairen und gerechten Lösung" der Fälle von NS-Raubkunst verständigt. Für die Umsetzung dieser "Washingtoner Prinzipien" und die Regulierung strittiger Fälle war und ist noch die Beratende Kommission zuständig.
Kritik an den neuen Schiedsgerichten
Jetzt wird sie also abgelöst von den neuen Schiedsgerichten. Die stehen schon vorab heftig in der Kritik: "Das geplante Schiedsverfahrensrecht verschlechtert die Situation der Opfer eklatant", heißt es in einem offenen Briefvom Januar 2025 an den damaligen Bundeskanzler Olaf Scholz: "Eine Diskussion der (...) neuen Regeln hat nie stattgefunden."
Zu den Unterzeichnern gehören Restitutionsexperten, Opfer-Anwälte und Nachfahren der Opfer. Sie glauben nicht, dass in Zukunft wie versprochen eine sogenannte einseitige Anrufbarkeit möglich wird, da weiterhin die rechtliche Grundlage fehlt. Das Land Bayern etwa weigert sich seit Jahren, die Geschichte eines Picasso-Gemäldes aus den Staatsgemäldesammlungen untersuchen zu lassen.
Die Schiedsgerichte sollen aus je zwei Historikern und drei Juristen bestehen. Nach Informationen des Deutschlandfunks soll es für die Besetzung der Positionen im September kein klassisches Berufungsverfahren geben, sondern die Möglichkeit, sich selbst zu bewerben.
Kultur-Staatsminister Wolfram Weimer informierte die Beratende Kommission darüber, dass ihre Arbeit zum 30. November endet. Noch in Arbeit befindliche Fälle sollen bis dahin abgeschlossen werden. Es sollte jetzt also nicht mehr lange dauern, bis Robert Graetz' Nachkommen Gewissheit haben. Sie dürften optimistisch sein: 2011 gab das Land Berlin zwei Gemälde des Künstlers Karl Schmidt-Rottluff an seinen Enkel Roberto Graetz zurück - auf Empfehlung der Beratenden Kommission.