Militärbischof zu Bundeswehr und Kriegsgefahr: große Sorgen
8. September 2025DW: Bischof Overbeck, was hat sich seit dem 24. Februar 2022, dem russischen Großangriff auf die Ukraine, für die Militärseelsorge verändert?
Bischof Franz-Josef Overbeck: Die Grundaufgaben der Militärseelsorge sind sehr klar und bleiben stets gleich. Die erste ist, die Soldatinnen und Soldaten sowohl in ihren Standorten als auch im Einsatz seelsorglich zu begleiten. Die zweite ist, ihre Familien zu begleiten und ihnen Unterstützung zukommen zu lassen. Die dritte Aufgabe ist es, in ethischen Fragen entsprechend den Traditionen unserer Kirchen und der anderen Glaubensgemeinschaften klare Position zu friedensethischen Themen, aber auch zur Frage des Einsatzes von Gewalt zu beziehen.
Spätestens beim dritten Punkt ist nun vieles anders für die Bundeswehr und die Seelsorge?
Die Situation des Krieges als solches ist uns so nah gekommen, wie wir das alle nie gedacht hätten. Es handelt sich um einen Systemkrieg. Mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine treffen zwei politische, aber auch zwei gesellschaftliche Systeme aufeinander. Und es ist von größter Bedeutung, dass wir alles tun, um unser System, das für Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit steht - mit allen Folgen für das Zusammenleben der Menschen - zu stärken und zu verteidigen.
Was kann das heißen?
Auf jeden Fall eine große Veränderung. Wir müssen analysieren, was das für die Soldaten heißt, die sich faktisch auf eine Kriegssituation vorbereiten, die möglicherweise eintritt. Keiner hofft, dass das geschieht. Aber wir müssen sie vorbereiten.
Das ist auch für die Militärseelsorge von äußerster Relevanz. In einem solchen Fall würden wir mit der Militärseelsorge die Soldaten begleiten - die katholische Seite hat zurzeit etwa 75 Priester und Pastoral- und Gemeindereferenten, die evangelische Seite etwa 100 Pfarrerinnen und Pfarrer, die jüdische Seite zehn Rabbiner. Im Fall einer Bündnis- und Landesvereidigung ist das eine überschaubare Größe. Aber bei einem solchen möglicherweise schrecklichen Unterfangen müssen wir bei ethischen Fragen Beistand leisten und schlicht und ergreifend bei den Soldaten sein, auch bei Schwerstverwundeten. Andere Perspektiven sehe ich für die Militärseelsorge nicht.
Meinen Sie Soldaten an der Front oder auch in den Heimat-Standorten?
Dafür wären andere verantwortlich, unter anderem die Landeskommandos der Bundesländer in Zusammenarbeit mit den Hilfsorganisationen und Wohlfahrtsverbänden, mit den Kommunen, den Vereinen und Kirchengemeinden vor Ort. Sie müssen dort das tun, was möglich ist. Ich erinnere stets daran, dass Krieg immer Chaos bedeutet. Und die Kirchen müssten, soweit wir Kräfte haben, gewisse Vorbereitungen treffen, im Hinterland den Familien beizustehen, bis hin zur Begleitung von Familien, die ihre Lieben verlieren oder nichts mehr von deren Verbleib erfahren. Mir ist aber sehr daran gelegen, deutlich zu machen, dass wir als Militärseelsorge uns nicht überheben dürfen und nicht im Stande sein werden, alles managen zu können.
So deutlich sagen das noch nicht viele Verantwortliche öffentlich.
Unterschätzen Sie nicht die Menschen im Land! Seit 2022 sind die Anfragen an mich als katholischen Militärbischof für die deutsche Bundeswehr um ein Vielfaches gestiegen, mich öffentlich zu äußern. Da geht es zum einen um Fragen eines möglichen konkreten Kriegseinsatzes. Und um die wichtige Einsicht, dass zuerst alles getan werden muss, was den Frieden befördert und den Krieg verhindert. Auch in vielen sehr ernsten Gesprächsabenden im Bistum Essen spüre ich: Das alles treibt die Menschen um.
Aber theologisch sind die Zeiten vorbei, dass die katholische Kirche einen "gerechten Krieg" für möglich hielt?
Das Denkmodell stammte ja von Thomas von Aquin aus dem 13. Jahrhundert. Er wollte damit zur Zivilisierung von Kriegen beitragen und willkürliche Gewalt unterbinden. Seit einigen Jahrzehnten liegt unser Fokus auf dem "gerechten Frieden", was auch angemessener ist. Dabei bleiben aber die Herausforderungen, die sich durch Angriffe ergeben könnten. Deshalb müssen wir uns wappnen.
Das Nein der Päpste zu jedem Waffengang ist mittlerweile sehr entschieden.
Krieg an sich ist immer etwas Schreckliches und Menschverachtendes. Es ist wichtig, diese Tatsache immer wieder sehr entschieden ins Wort zu bringen. Trotzdem erleben wir, dass Situationen entstehen, in denen friedlichen Menschen Krieg aufgezwungen wird. Diesen müssen sie zur Verteidigung mit verantwortlichen Mitteln führen dürfen. Gerechter Friede kann eben doch heißen, sich auch mit Waffen zu verteidigen. Das hat sich zugespitzt mit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine.
Als Militärbischof sind Sie in vielen offiziellen Gesprächen. Aber spätestens, wenn Sie mit Soldaten nach Lourdes reisen oder Standorte besuchen, sprechen Sie mit einfachen Soldaten und allen Dienstgraden. Spüren Sie Besorgnis?
Die Bundeswehr ist seit dem 24. Februar 2022 eine andere geworden. Das gilt sowohl in ihrem Selbstverständnis, als auch in ihrer Art und Weise, zu arbeiten und sich aufzustellen für einen möglichen Angriffskrieg Russlands, und das heißt dann für einen Verteidigungsfall im Rahmen der Nato. Das ist überall Thema, nicht nur in der Militärseelsorge und der Bundeswehr, sondern auch gesamtgesellschaftlich. Und die Gespräche sind immer verbunden mit sehr vielen Ängsten und großen Sorgen, aber eben auch mit praktischen Fragen.
Was sagt die Militärseelsorge?
Wir lassen die Soldatinnen und Soldaten und ihre Familien nicht allein. Und wir versuchen deutlich zu machen: Hier geht es um Krieg und Frieden, aber auch um weit mehr, um Freiheit, um Recht, Gerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit.
Schulen Sie Militärgeistliche heute anders?
Wir sind dabei, entsprechende Konzepte zu entwickeln. Wenn es um die Frage der ethischen Vorbereitung von Soldaten geht, die möglicherweise in einen solchen Einsatz gehen, kann das nur in enger Abstimmung mit dem Verteidigungsministerium geschehen. Als Militärbischofsamt sind wir im Austausch mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Instituts für Theologie und Frieden und des Zentrums für ethische Bildung in den Streitkräften.
Sind Kriege heute noch mit Konflikten früherer Generationen zu vergleichen?
Kriegerische Auseinandersetzungen finden heute unter völlig neuen Bedingungen statt. Es geht um Cyberbedrohungen und digitale Kriege, um neue Möglichkeiten von Gewalt durch Drohnen und KI-bedingte Waffensysteme.
Wir wissen noch sehr wenig von den völlig neuen Welten der Auseinandersetzung, in die wir zukünftig eintreten könnten und die wahrscheinlich schnell die ganze Welt in Brand setzen würden. Ethisch an Bedeutung gewinnt auf jeden Fall die Frage nach den Befehlsketten und der Letztverantwortung. Verantwortung muss immer menschlich zurechnungsfähig an eine Person gebunden sein. Davon darf niemals abstrahiert werden.
Franz-Josef Overbeck (61) ist seit 2009 Bischof von Essen und zusätzlich seit 2011 Militärbischof der Bundeswehr. In der Bundesrepublik ist der katholische Militärbischof - anders als in vielen anderen Ländern und in der evangelischen Kirche in Deutschland - nicht hauptamtlich tätig, sondern übernimmt die Aufgabe zusätzlich zum Amt eines Ortsbischofs.
Das Interview führte Christoph Strack.