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PolitikEuropa

Pläne zur Migration in Deutschland mit EU-Recht vereinbar?

20. Februar 2025

Im deutschen Wahlkampf tobt eine hitzige Debatte um die Einwanderung. Das Thema hat viele Berührungspunkte zur EU - entsprechend groß könnten die europaweiten Veränderungen bei einem Regierungswechsel sein.

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Familien sitzen in einem Warteraum auf Stühlen
Flüchtlinge warten in der hessischen Erstaufnahmeeinrichtung in Gießen auf ihren Weitertransport per Bus (Archivbild)Bild: Boris Roessler/dpa/picture alliance

Die dauerhafte Kontrolle der Schengen-Grenzen, die Zurückweisung von Schutzsuchenden an der Grenze, die bereits durch einen anderen europäischen Staat gereist sind, die Inhaftierung Ausreisepflichtiger - das sind einige der Punkte, die Friedrich Merz, der Kanzlerkandidat der Christdemokraten, verwirklicht sehen will. Wenn er Bundeskanzler wird, will er diese Maßnahmen umsetzen. Derzeit führt Friedrich Merz bei den Umfragewerten und hat somit die größten Chancen die nächste Bundesregierung zu leiten. 

Einen entsprechenden Entschließungsantrag hat er gemeinsam mit den Stimmen der liberalen FDP und der durch den Verfassungsschutz in Teilen als rechtsextremistisch eingestuften AfD durch den Bundestag gebracht. Dieser Schritt führte zu Protesten und einer Diskussion über den Bruch der Brandmauer in Deutschland. Doch die Pläne bewegen nicht nur die deutsche Bevölkerung, sie sind auch gesamteuropäisch von Interesse.

EU-Recht durch Pläne betroffen

Grundlage von Friedrich Merz‘ Vorschlägen sei Artikel 72 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), sagt Helena Hahn, Politikanalystin bei der nicht-staatlichen Brüsseler Denkfabrik European Policy Centre. Auf dessen Basis könnten Mitgliedstaaten Abweichungen von Verpflichtungen unter dem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem (GEAS) begründen, etwa aufgrund eines deklarierten "Notstands". 

Blick auf einen Teil eine Großdemonstration, einige Demonstranten halten Schilder hoch
In vielen deutschen Städten demonstrierten Bürger wie hier in Berlin gegen die AfD und für demokratische WerteBild: Christian Mang/Reuters

Auf diesen hatte sich CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz bereits einmal im Sommer bezogen. Im Entschließungsantrag heißt es, es sei die "Pflicht" der deutschen Bundesregierung, "nationales Recht vorrangig anzuwenden, wenn europäische Regelungen nicht funktionieren".

Im Gespräch mit der DW weist Anne Koch, Migrationsforscherin bei der Stiftung Wissenschaft und Politik, darauf hin, dass die Zahl der Asylanträge derzeit sinke. Vor dem Hintergrund hält sie es nicht für unmittelbar einleuchtend, dass so ein Notstand besteht. Im Jahr 2024 wurden 28,7 Prozent weniger Asyl- und Folgeanträge gestellt als 2023. Außerdem würde die Berufung auf Notstandsklauseln das gemeinsame Vorgehen in der EU unterminieren.

Während sich Juristen darüber streiten, ob die Pläne der CDU-CSU mit dem EU-Recht vereinbar sind, will die EU-Kommission keine Stellung dazu beziehen. "Die Kommission kommentiert keine politischen Ankündigungen, Entwürfe oder Parteiprogramme," teilte ein Sprecher der EU-Kommission mit.

Was ist mit der Freizügigkeit?

Ein weiterer Berührungspunkt, sagt Helena Hahn, sind die angekündigten dauerhaften Binnengrenzkontrollen. Denn eigentlich herrscht im Schengen-Raum Freizügigkeit, man kann also ohne Kontrollen von einem Land ins andere reisen. Bei einer Reform der Regeln im vergangenen Jahr sei die EU-Kommission den Mitgliedstaaten aber entgegengekommen, sagt Hahn. So gebe es jetzt mehr Flexibilität bei der Dauer der Grenzkontrollen. Diese Kontrollen sollten zwar nicht permanent sein, aber theoretisch sei es möglich, über längere Zeit die Grenzen zu kontrollieren, solange die EU-Kommission nichts gegen deren Begründung einzuwenden hat, sagt Hahn im Gespräch mit der DW. Auch könnten Grenzkontrollen zu Problemen mit Nachbarstaaten führen.

Europa ohne Grenzen- das Schengen-Abkommen

Jenseits der Frage, ob die Abweisung eines Schutzsuchenden an einer deutschen Grenze zulässig wäre, weist die Politikwissenschaftlerin Anne Koch, darauf hin, dass dies auch zu Problemen mit den Nachbarstaaten führen würde. Als Deutschland im Herbst flächendeckende Grenzkontrollen einführte, erklärt Österreich, keine zurückgewiesenen Personen aufzunehmen. Zurückweisungen könnten zudem zu Kettenreaktion bis hin zu den EU-Außengrenzen führen. An den Außengrenzen pauschal zurückzuweisen, hält Koch für "europarechtlich hochproblematisch".

Migration eines der wichtigsten Wahlkampfthemen

Nicht alle für den Bundestag kandidierenden Parteien planen solche Maßnahmen. Das Wahlprogramm der Sozialdemokraten, die mit Olaf Scholz den derzeitigen Kanzler stellen, spricht sich gegen "Grenzschließungen und Pauschalzurückweisungen an den Binnengrenzen" aus. Auch die Grünen sind gegen dauerhafte stationäre Grenzkontrollen aus und betonen das Recht auf Einzelfallprüfungen von Asylanträgen. Die Partei "Die Linke" hält "systematische Binnengrenzkontrollen und Zurückweisungen von Schutzsuchenden an den Grenzen" für unzulässig.

Die liberale FDP wiederum unterstützt die "modellhafte Erprobung von Zurückweisungen an den deutschen Außengrenzen". Die AfD hingegen will aus dem europäischen Gesetzesrahmen austreten und die Bundespolizei als Grenzbehörde einsetzen. Asylanträge sollen künftig außerhalb Deutschlands gestellt werden. 

EU verschärft Asylregeln

In der jüngsten Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, die 2026 in Kraft tritt, sieht die Politikwissenschaftlerin Anne Koch eine im Kern restriktive Reform der europäischen Asylgesetzgebung.

Mit der GEAS-Reform sollen vor allem sogenannte Schnellverfahren für Menschen aus Ländern mit niedrigen Anerkennungsquoten geschaffen werden. Um Länder an den Außengrenzen zu entlasten, soll es eine "verpflichtende Solidarität" geben. EU-Länder, die keine Menschen aufnehmen wollen, müssen eine Ausgleichszahlung leisten oder mit anderen Mitteln unterstützen. 

Auch die Migrationsexpertin Helena Hahn beobachtet einen härteren Kurs bei den Mitgliedstaaten, auf den sich auch die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen eingelassen habe.

Für diesen Kurs steht in Brüssel das Stichwort "innovative Lösungen". Im Mai 2024 forderten 15 Mitgliedstaaten die EU auf, "neue Wege und Lösungen" im Kampf gegen die illegale Migration vorzuschlagen. Von der Leyen versprach, "innovative Lösungen" unter Einhaltung des geltenden Rechts prüfen zu lassen und beauftragte ihren neuen EU-Innenkommissar Magnus Brunner, weitere Überlegungen dazu anzustoßen. Gemeint sind damit Modelle, in die Drittstaaten involviert sind, etwa um abgelehnte Asylbewerber dorthin zu verbringen. Von Italiens Versuch, die Bearbeitung von Asylanträgen nach Albanien auszulagern, wolle man lernen, hieß es. 

Weitere Verschärfungen erwartet Anne Koch auch bei der Reform der Rückkehrrichtlinie, die für März angekündigt ist. Außerdem rechnet die Migrationsforscherin mit einer Reform bei der Frage, in welche Länder abgewiesene Migranten geschickt werden können. Bislang gelte, dass man Menschen nur in Drittländer schicken kann, zu denen sie eine vorherige Verbindung hätten. Deutschland sei dabei oft mäßigend aufgetreten. Jetzt stelle sich die Frage, ob und wie sich das unter einer neuen deutschen Regierung ändern werde.

DW Mitarbeiterin Lucia Schulten
Lucia Schulten Korrespondentin in Brüssel