"Da ist noch viel Luft nach oben!", also viel Raum für Verbesserung. So beschrieb der Bundeskanzler der Republik Österreich, Sebastian Kurz, die außenpolitische Beschlüsse des EU-Gipfels in Brüssel. Recht hat er! Nur mühsam konnte die EU das zyprische Veto gegen Belarus-Sanktionen abbiegen. Die eher symbolischen Strafen werden den belarussischen Präsidenten kaum zum Kurswechsel bewegen.
Es hat geschlagene neun Wochen gedauert, bis die EU nach den gefälschten Wahlen gehandelt hat. Das ist zu lange und kann die Opposition in Belarus nur enttäuschen. Dass Alexander Lukaschenko persönlich ungeschoren davon kommt, ist schwer zu erklären. Großbritannien und die USA waren da weniger zimperlich und haben auch den sturen Präsidenten mit Sanktionen belegt.
Verschieben als Strategie
Klare Worte in Richtung der Türkei wegen ihrer rechtlich bedenklichen Suche nach Erdgas vor der Küste Zyperns blieben aus. Das Problem wurde auf Dezember vertagt. Mit einer Mischung aus Zuckerbrot und Peitsche versucht die EU die Türkei irgendwie als Partner zu halten. Man braucht den türkischen Autokraten Erdogan eben auf zu vielen anderen Spielfeldern: Flüchtlinge, Syrien, Libyen, Berg-Karabach und die gemeinsame NATO-Mitgliedschaft sind nur einige der Stichworte.
Auch das Verhältnis zu China soll geklärt werden. Die EU braucht China als Markt, als Lieferant und beim Kampf gegen den Klimawandel. Und auch China braucht die EU als Markt und Lieferant. Wie man die einem Panzer gleichende chinesische Führung dazu bringen soll, Menschenrechte zu achten, Minderheiten und die Hongkong-Chinesen nicht zu unterdrücken, im südchinesischen Meer zu deeskalieren, das weiß man in Brüssel nicht so recht. Auch dieses Problem wurde verschoben auf einen Sondergipfel im November. In Berlin wird dann China-Versteherin Angela Merkel die Gastgeberin sein. Bezeichnenderweise wird man aber ohne den chinesischen Parteichef Xi Jinping tagen. Man spricht über Xi nicht mit ihm, weil sich die EU erst einmal über ihre eigene Haltung zu China verständigen muss.
Bei allen außenpolitischen Themen zeigt sich, dass die Interessen innerhalb der EU durchaus unterschiedlich sind. Sich zu einigen, zu handeln, fällt schwer. Der Zwang zur Einstimmigkeit in der Außenpolitik ist ein großer Hemmschuh, den die EU sobald nicht loswerden wird. Kein EU-Mitglied wird auf sein Vetorecht verzichten wollen. Der Vorsitzende dieses Gipfeltreffens, Charles Michel, hat die daraus folgende quälende Suche nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner den "Zauber" genannt, den die EU ausmache. Doch auf diesen Zaubertrick fallen nicht mehr viele herein, die die EU beobachten.
Keinen Schritt weiter gekommen
Dem erklärten Ziel, Europas Rolle auf der Weltbühne zu stärken, sind die 27 Staats- und Regierungschefs und -chefinnen mit ihren unterschiedlichen Interessen auf diesem Sondergipfel noch nicht viel näher gekommen. Dazu ist mehr Entschlossenheit und Einigkeit nötig. Wer auf der Bühne eine tragende Rolle spielen will, der braucht neben Fähigkeiten, auch eine große Portion Selbstvertrauen sowie die Bereitschaft zum Wagnis. Beides fehlt der EU noch.
Es ist richtig, dass sich die Rollenverteilung auf der Bühne, auch im Lichte der Pandemie, gerade ändert. Die USA treten ab. China, Russland, die Türkei trumpfen auf. Afrika und Südamerika wollen ihre Statistenrollen loswerden. Und Europa? Streitet und beschäftigt sich mit sich selbst. So bekommt man keine Titelrolle.