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Politik

Afrikas Sehnsucht nach den USA

11. November 2020

Noch darf sich Joe Biden nur "President elect" nennen, da stürmen schon Erwartungen aus aller Welt auf ihn ein. Auch Afrikas Demokraten warten dringend auf Unterstützung, meint Claus Stäcker.

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Afrika - US Präsident Obama in Tansania 2013
Begeisterung für die USA in Tansania 2013 anlässlich des Besuchs des damaligen Präsidenten Barack ObamaBild: picture alliance/AP Photo/B. Curtis

Schon bei seinem ersten Auftritt als Wahlsieger konnten einem Zweifel beschleichen: Joe Biden sprang sportlich auf die Bühne, aber der Laufschritt des 77-Jährigen wirkte deutlich weniger dynamisch, als es seine Medienberater wohl im Sinn hatten. Kann dieser "Jogging Joe" den hohen Erwartungen aus aller Welt gerecht werden?

In Afrika gab Nigerias Muhammadu Buhari den Ton vor: "Ich fordere Herrn Biden auf, seine große Erfahrung einzubringen, um die negativen Folgen der nationalistischen Politik auf die globalen Angelegenheiten zurückzudrängen", appellierte der Präsident des bevölkerungsreichsten afrikanischen Landes.

Schnelle Vereinnahmung

Kenias Präsident Uhuru Kenyatta vereinnahmte Biden gleich als "Freund Kenias, der eine größere und bessere Plattform für eine enge Zusammenarbeit biete." Und der ugandische Staatschef Yoweri Museveni führte den schwarzen Bevölkerungsteil und christlichen Glaubensbrüder ins Feld, um die USA zum "natürlichen Alliierten" zu erklären. 

Stäcker Claus Kommentarbild App
Claus Stäcker leitet die Afrika-Programme der DW

Biden ist schon der siebte US-Präsident, den Museveni, 76, im Amt begrüßt. Von demokratischen Werten, die Uganda mit den USA verbinden könnte, sprach er  wohlweislich nicht. Seine Polizei ließ gerade den fast 40 Jahre jüngeren Herausforderer Robert Kyagulanyi vor laufenden Kameras verhaften. Der als Musiker Bobi Wine bekannte Oppositionsführer hatte es gewagt, mit gereckter Faust und umgeben von jubelnden Anhängern seine Unterlagen als Präsidentschaftskandidat einzureichen. Es war bereits seine x-te Verhaftung und nach eigener Darstellung wurde er im Gefängnis erneut gefoltert.

Die Stunde der Autokraten

Foltervorwürfe kursieren auch in Côte d'Ivoire: Dort wurde ebenfalls im Schatten der US-Wahl der Oppositionsführer und frühere Premierminister Pascal Affi N'Guessan  verhaftet. Es wirkt wie ein Rachefeldzug von Präsident Allasane Ouattara, 78, der sich gegen den Geist der Verfassung gerade eine dritte Amtszeit genehmigen ließ. Die Opposition boykottierte die Wahl und bildete nun eine Art Schattenregierung - deshalb wird ihr "Spaltung" und "Volksverhetzung" vorgeworfen.

Im ostafrikanischen Tansania dreht Präsident John Magufuli, 61, gegenwärtig durch - obwohl er erst vor wenigen Tagen bequem mit 84 Prozent im Amt bestätigt worden war. Man sollte meinen, er könnte nun großherzig mit seinen marginalisierten Gegnern umgehen. Das Gegenteil ist der Fall. Ein ganzes Dutzend Oppositionspolitiker sitzt inzwischen in Haft. Ein früherer Parlamentsabgeordneter floh samt Familie nach Kenia. Präsidentschaftskandidat Tundu Lissu suchte nach Morddrohungen sogar Schutz in der deutschen Botschaft. Der Mann war schon 2017 bei einem Attentat von Kugeln durchsiebt worden und überlebte nach 19 Operationen wie durch ein Wunder.

Äthiopien und die Krisen ohne Schlagzeilen

Und dann noch der vielgelobte Reformer Abiy Ahmed, 44, in Äthiopien. Er feuerte gerade den Armeechef, den Geheimdienstchef sowie den Außenminister und will den Binnenkonflikt mit der abtrünnigen Provinz Tigray nun militärisch lösen. Der Friedensnobelpreisträger als Kriegsherr: Mit so viel Lorbeer geehrt hätte man ihm einen größeren Instrumentenkoffer zugetraut, um die Bundesrepublik Äthiopien zu erhalten.

Über all diesen dramatischen Entwicklungen geraten blutige Geschehnisse  in Kamerun, Guinea, Nigeria, der DR Kongo oder Dauerkrisen wie in Simbabwe oder Mali völlig aus dem Blick. Es ist schon gar keine Frage mehr, sondern offensichtlich, dass Afrikas Autokratien einen zweiten Frühling erleben. Nicht nur der Riege der über 75-Jährigen Führer in Uganda, Kamerun, Guinea oder Simbabwe nützt die Abwesenheit der Supermacht. Auch junge Heißsporne wie der 44-jährige Abiy in Äthiopien agieren ungestört, weil ihnen ein ernstzunehmendes internationales Korrektiv fehlt.

Demokratisches Wertegerüst gefordert

Der Trumpismus ließ keinen Raum für Leitwerte und globale Strategien. Trumps Afrika-Politik blieb vier Jahre lang nicht nur unklar - sie existierte gar nicht! Haften blieb, wie er Länder durcheinanderbrachte und unbescholtene Staaten als "Dreckslöcher" beschimpfte. Mit Joe Biden wächst nun wieder die Hoffnung, dass die USA sich nicht nur auf Handelsdeals fokussieren, sondern auch Menschenrechte und andere demokratische Standards wiederentdecken. Diese Rolle der USA in Afrika ist den vergangenen Jahren alarmierend erodiert und mit ihr ein westliches Wertegerüst, das die Jugend Afrikas überzeugt. Und daneben glaubhaft fundamentalistischen, ethnischen, autokratischen oder auch sino-sozialistischen Versuchungen widersteht.

Joe Biden allein wird das nicht richten können - viele Augen ruhen daher auch auf seiner Vizepräsidentin. Kamala Harris traut man einigen Schwung für Afrika im Oval Office zu. Dafür ist kein medientauglicher Laufschritt nötig, sondern eher der lange Atem für einen Marathon.