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Mein Europa: Queere Slowakei - Die Politik stellt sich quer

Kay Zeisberg (aus Bratislava)
15. Februar 2025

In der Slowakei wachsen die Spannungen. Die linkspopulistisch-rechtsnationale Regierung von Robert Fico steht unter Druck - auch wegen eines Gesetzentwurfs gegen LGBTQI+. Dennoch verzweifelt unser Gastautor bisher nicht.

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Menschen in Regenbogenfahnen neben einem Springbrunnen
Teilnehmer einer Pride Parade in der sowakischen Hauptstadt Bratislava am 22.07.2023Bild: Branislav Racko/IMAGO

Im Oktober 2022 erlebte die Slowakei erneut den Schock politisch-ideologisch motivierter Morde. An einem spätsommerlichen Herbstsabend wurden in Bratislava zwei junge Männer erschossen: Juraj Vankulic (26) und sein Freund Matus Horvath (22) - weil sie ein schwul-lesbisches Szenelokal besucht hatten. Nur vier Jahre zuvor waren der Investigativjournalist Jan Kuciak und seine Verlobte Martina Kusnirova (beide 27) in ihrem Haus in der Gemeinde Velka Maca erschossen worden - Kuciak war Investigativjournalist und hatte Korruptionsaffären der Herrschenden aufgedeckt. Nach dem Mord an ihm und seiner Verlobten kam es zu Massenprotesten, der damalige Langzeitpremier Robert Fico trat zurück.

Diesmal, im Oktober, war es kein Verbrechen, das vom Hass auf einen Medienprofi und der Angst vor seinen Enthüllungen krimineller politischer Machenschaften motiviert war, sondern vom homophoben Irrsinn eines 19-Jährigen. Der hatte sich auf Onlineplattformen radikalisiert, auf denen vor allem amerikanische Rechtsextreme und Verschwörungsgläubige verkehren. Im Szene-Café Teplaren (Wärmekraftwerk) in der Zamocka-Straße unterhalb der Burg erschoss er zwei Männer, eine junge Frau wurde schwer verletzt.

Am nächsten Morgen, ich war gerade auf dem Weg zu meinem Arbeitsplatz, der Auslandsredaktion des Slowakischen Rundfunks, rief jemand aus dem Team an und fragte mich, ob man "die Schießerei von gestern Abend" in die Nachrichtensendung aufnehmen solle, denn eigentlich sei das ja "nur irgendeine private Auseinandersetzung" gewesen. Meine Meinung war vermutlich gefragt, weil ich selbst seit langem in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft lebe. Meine Antwort war eine scharfe Gegenfrage: "Bist du dir nicht im Klaren, welche Dimension das hat?" Kurz darauf klingelte das Handy wieder, Freunde aus Deutschland wollten wissen, ob es mir gut geht und ich nicht vielleicht zurückkommen wolle. Meine Antwort war diesmal beruhigend, fast schon bagatellisierend: "Danke, mir geht's gut, sowas kommt doch auch bei euch vor."

Mir ging es ja auch gut, wenngleich mich dieses neuerliche Verbrechen natürlich empörte und beunruhigte. Lag die Wahrheit irgendwo in der Mitte zwischen meinen beiden Reaktionen? Dazu ein Blick auf die Entwicklungen der vergangenen Jahre.

Eine junge Frau mit Brille hält ein T-Shirt in den Händen mit der Aufschrift: "LOVE IS A TERRIBLE THING TO HATE"
Trauermarsch nach dem homophoben Doppelmord in der slowakischen Hauptstadt Bratislava am 14.10.2022Bild: Vladimir Simicek/AFP

Regenbogen-Paraden und "Stolz auf die Familie"

Als ich 2016 in die Slowakei kam, erlebte ich eine entspannte Gesellschaft und habe bis heute nie persönliche Anfeindungen erfahren. Das Land ist stark katholisch geprägt, zum Teil auch unser Verwandten-, Freundes- und Kollegenkreis, aber niemand hat offenbar ein Problem mit meinem slowakischen Partner und mir. Ich verfolge die jährlichen Regenbogen-Paraden in Bratislava mit Respekt und Staunen, auch wenn ich selbst weder zum Demonstranten noch zum Paradiesvogel tauge. Dass sich im Umfeld der Rainbow-Pride auch immer Gegendemonstranten unter dem Motto "Stolz auf die Familie" versammeln, ist für mich ein Ausdruck von Meinungspluralismus, wie ich ihn aus Deutschland kannte. Doch anders als dort regiert in der Slowakei nun seit 2023 eine linkspopulistisch-rechtsnationale Koalition, die sich quer stellt gegen alles, was queer ist.

Die in der Slowakei bestehende Rechtslage wurde während der Föderation mit Tschechien gesetzlich festgeschrieben. 1961 wurde homosexueller Verkehr in der Tschechoslowakei straffrei. Nach der Wende 1989 kam die Angleichung des Alters auf 15 Jahre wie für Heterosexuelle und der Straftatbestand der "Öffentlichen Empörung" entfiel.

Ehe nur für Mann und Frau

In Tschechien gibt es seit 2006 eingetragene Partnerschaften. In der Slowakei passierte lange nichts - bis zum Referendum 2015 über die Ehe exklusiv für Mann und Frau. An dem hatten nur 21,4 Prozent der Wahlberechtigten teilgenommen, so dass es am Quorum scheiterte. Trotzdem ließ Regierungschef Fico mit weiteren Parteien, auch aus der konservativen Opposition, die Ehe nur für Mann und Frau in der Verfassung verankern.

Porträt eines Mannes (Robert Fico)
Der slowakische Ministerpräsident Robert FicoBild: Artyom Geodakyan/TASS/IMAGO

2022, ein Jahr vor der letzten Parlamentswahl und kurz nach der Ermordung von Juraj und Matus, saß Fico, damals Oppositionsführer, im Desinformationskanal TV Slovan. Vom österreichischen Kittsee aus betrieb die heutige rechtsnationale Kulturministerin Martina Simkovicova eine Online-Redeplattform für Verschwörungstheoretiker und ausgewählte Politiker. Es sei heute ja modern, nicht-binär zu sein, meinte Fico dort. Aber wenn jemand nicht wisse, ob er Mann oder Frau sei, "dann brauche die Person am besten zwei Ohrfeigen". Die Moderatorin hakte mokant nach, es gäbe ja auch im Parlament solche Politiker. Fico darauf: "Ein klassisches Beispiel für einen nicht-binären Politiker ist Peter Pellegrini, der weiß gar nicht, was er ist, politisch gesehen."

Pikant daran: Es gibt seit Jahren Gerüchte über Pellegrinis sexuelle Orientierung, angeheizt auch durch solche Bemerkungen Ficos. Pellegrini wurde 2024 Staatspräsident. Er hält sein Privatleben strikt unter Verschluss, sofern er sich nicht in sozialen Netzwerken bei der heimischen Kartoffelernte auf einem Traktor zeigt. Er hatte sich 2018 nach dem Journalistenmord zwar von Fico abgesetzt und die neue sozialdemokratische Partei HLAS (Stimme) gegründet, die heute aber wieder mit Ficos SMER (Richtung) koaliert.

Damm gegen Liberale und Progressive

Im Juni 2024 trat Robert Fico, genesen vom gescheiterten Attentat auf ihn, auf großer Bühne an der Burg Theben einige Kilometer westlich von Bratislava auf. Dort griff er die Opposition an und verkündete den Bau eines "Damms gegen Liberale und Progressive". Simona Zacharova, seine Beauftragte für die Zivilgesellschaft, empörte sich kurz darauf über die Olympiaeröffnung in Paris und pries Szenen von den Olympischen Spielen in Berlin 1936. Die seien "ohne eine künstliche und mit Gewalt forcierte Propaganda und Ideologie" gewesen, damals seien "keine halbnackten Frauen mit Bart, keine queeren Wesen und okkulten Figuren ohne Gesicht, keine sich küssenden und umarmenden Männer" zu sehen gewesen.

Porträt eines Mannes mit Brille (Kay Zeisberg)
DW-Gastautor Kay ZeisbergBild: Martin Palkovic

Fördermittel für LGBTQI+-Projekte im Kulturbereich wurden auf Initiative der Nationalpartei (SNS) gestrichen, und im November 2024 schließlich reichte die Partei eine Gesetzvorlage ein, die nach ungarischem Vorbild das "Propagieren nicht traditioneller sexueller Orientierungen" verbieten will. Sie wurde nicht angenommen. Den meisten SMER- und HLAS-Abgeordneten war das Eisen wohl zu heiß, so dass sie sich der Stimme enthielten. Beschlossen ist bisher nichts.

Zwischen Zurückhaltung, Gleichgültigkeit und Toleranz

Die homophobe Politik verfängt ohnehin nur bei einem Teil der Bevölkerung und mein Eindruck ist: Die slowakische Mentalität mit ihrer Höflichkeit und Zurückhaltung, zweifellos manchmal auch Gleichgültigkeit und Sturheit, hat bisher Schlimmeres verhindert. Die Menschen hier sind gar nicht so anders als anderswo. Auch hier wird manchmal dazugelernt und Toleranz geübt - im wahrsten Sinne des Wortes.

Unlängst warteten mein Partner und ich bei einem Wochenendausflug vor dem Hauptbahnhof in Bratislava. Ein paar Meter entfernt standen zwei junge Leute, diskutierten unbefangen, lachten laut. Verstohlen wie manch andere Passanten schaute ich für einen Moment auf ihre unkonventionelle Kleidung, in ihre geschminkten Gesichter. Dann fragte ich meinen Freund leise, ob das eigentlich Männer oder Frauen seien. Seine Antwort war zu Recht eine scharfe Gegenfrage: "Ist das nicht egal?"

Porträtfoto eines Mannes mit Brille
Kay Zeisberg DW-Autor, Korrespondent und Reporter