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Marken gegen Hunger

Miriam Braun, New York24. Dezember 2013

Jeder siebte US-Amerikaner lebt unterhalb der Armutsgrenze. Das staatliche Programm "Lebensmittelmarken" wurde gekürzt. Vielen reicht es nicht zum Überleben.

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Bild: M. Braun

Mary Jones sitzt in ihrem Büro. Bei ihr ist Michael Flowers. Der 58-Jährige ist zum ersten Mal in den "Greater Birmingham Ministries", einer "Food Pantry", wie man im Englischen sagt. Gemeint ist eine Einrichtung, in der Bedürftige kostenlos mit Lebensmitteln versorgt werden. Eigentlich bekommt Michael Flowers Lebensmittelmarken, Anfang November jedoch wurden sie gekürzt - und jetzt ist er hier.

Bisher konnte er mit den Marken jeden Monat für 200 Dollar einkaufen. Jetzt hat er elf Dollar weniger zur Verfügung. Für Michael Flowers ist das viel Geld: Er ist arbeitslos und bekommt keine Sozialhilfe, hat also kein Einkommen. Für einen 58-Jährigen lässt sich in den immer noch von hoher Arbeitslosigkeit geplagten Südstaaten nur schwer ein Job finden.

Erbsen, Dosenfrüchte, Fleisch

In der Einrichtung "Greater Birmingham Ministries"' können sich Bedürftige alle 90 Tage eine Tüte Lebensmittel abholen. Öfter geht nicht, der Andrang ist zu groß. "Eine dreiköpfige Familie bekommt, was wir unsere 'schwere Tüte' nennen", sagt Mary Jones. Sie arbeitet seit 16 Jahren hier. Das sei dann etwa eine Dose Bohnen, Erbsen und Dosenfrüchte und vielleicht ein Stück Fleisch. "Aber wie weit kommen drei Leute schon damit?", fragt sie.

Mary Jones in der "Greater Birmingham Ministries" (Foto: Miriam Braun)
Mary Jones in den "Greater Birmingham Ministries"Bild: M. Braun

Viele Amerikaner sind auf Nahrungsmittel von Suppenküchen und Kirchen angewiesen. Manche von ihnen haben einen Teilzeit-Job oder bekommen Lebensmittelmarken. Doch das reicht nicht: Mindestens jeder Siebte lebt unter der Armutsgrenze.

Die Marken gibt es seit den Sechzigern. Vor vier Jahren, nach dem Ausbruch der Wirtschaftskrise, wurden die Gelder für das Markenprogarmm vorübergehend aufgestockt, als Teil des Konjunkturpaketes der Regierung. Anfang November dieses Jahres ist diese Erhöhung ausgelaufen. Fünf Milliarden Dollar spart die Regierung nun jährlich. Das bedeutet aber auch: 47 Millionen Menschen werden noch mehr Hunger haben.

"Für einige sind die Marken alles, was sie haben"

Danielle möchte ihren Nachnamen nicht sagen. Auch sie hat heute lange angestanden, um eine Lebensmitteltüte zu bekommen. "Für einige sind die Lebensmittelmarken alles, was sie haben", sagt sie. Wenn diese Menschen jetzt elf oder 13 Dollar weniger bekommen, sei das viel Geld. "Mancherorts kriegt man dafür gerade mal zwei Tüten Kartoffelpuffer."

Danielle bekommt selbst keine Lebensmittelmarken, weil sie vor 13 Jahren einmal wegen Drogenbesitz auffällig geworden ist. Sie hat ihre Strafen bezahlt, aber der Vorfall verjährt nicht - egal, wie bedürftig sie ist. "Ich leide an einer Herzinsuffizienz, habe ein vergrößteres Herz, Bluthochdruck, brauche Insulin für meine Diabetes, habe Lungenprobleme und meine Beine sind kaputt", klagt sie. "Wenn es solche Einrichtungen hier nicht gäbe, hätte ich nichts zu essen."

Die Armen werden immer ärmer

Obwohl viele - wie Danielle - die strikten Voraussetzungen nicht erfüllen, hat sich die Zahl derer, die Lebensmittelmarken bekommen, in den vergangenen sieben Jahren auf fast 50 Millionen Menschen verdoppelt. Das entspricht der Einwohnerzahl von Spanien. Die Republikaner im Repräsentantenhaus wettern gegen das Programm: Es setze Anreize, sich keine Arbeit zu suchen.

Eingang zu den "Greater Birmingham Ministries" (Foto: Miriam Braun)
Eingang zu den "Greater Birmingham Ministries"Bild: M. Braun

80 Prozent der Markenbezieher sind jedoch Familien mit Kindern, Menschen mit Behinderung und Senioren. Für die seien ohnehin keine Jobs da, sagt Scott Douglas, Direktor der Speisekammer. "Früher gab es in den Südstaaten-Familien Bergleute, Stahlarbeiter, ein paar Geschäftsleute, vielleicht auch ein paar Lehrer, an die sich die arme Verwandschaft wenden konnte", so Douglas. Heute wende sich der eine Teilzeitjobber an den anderen Mini-Jobber. "Die Armen werden ärmer - aber ihre Netzwerke verarmen ebenfalls."

Weitere Kürzungen sollen folgen

Die Republikaner wollen das Programm in den kommenden zehn Jahren um weitere 40 Milliarden Dollar kürzen. Die Demokraten halten dagegen. Die Streitfrage um die Marken ist der Hauptgrund, warum die "Agrarreform", an die das Programm angegliedert ist, so lange im Kongress festhängt.

Essensausgabe in den "Greater Birmingham Ministries" (Foto: Miriam Braun)
Eine Tüte Lebensmittel muss für 90 Tage reichen.Bild: M. Braun

Dabei zeigen Studien, dass jeder in Lebensmittelmarken investierte Dollar neun Dollar wirtschaftliche Aktivität generiert. Denn sie heben nicht nur vier Millionen Menschen über die Armutsgrenze, sondern helfen auch Kleinbauern und Supermärkten, deren Produkte vermehrt mit Marken gekauft werden.

Außerdem gehe es ja nicht nur darum irgendetwas zu essen, sondern auch darum, was man isst, warnt Scott Douglas: "Wenn die Lebensmittelmarken beschnitten werden, werden sich die Betroffenen noch mehr ungesundes, aber billigeres Essen kaufen." Fettleibigkeit werde ein größeres Problem, und damit auch Bluthochdruck und andere Krankheiten. "So verschieben sich die Kosten für die Marken einfach auf das Gesundheitssystem", sagt Douglas.

Er will sich nicht vorstellen, was in seiner Einrichtung los sein wird, wenn das Programm "Lebensmittelmarken" noch weiter beschnitten wird.