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Mannheim, schon wieder: Eine Stadt im Schockzustand

4. März 2025

In der zweitgrößten Stadt Baden-Württembergs fährt ein Auto in eine Menschenmenge. Zwei Menschen sterben, es gibt mehrere Verletzte. Erinnerungen werden wach. Von Oliver Pieper, Mannheim.

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Drei Grabkerzen brennen an einem Brunnen auf dem Paradeplatz in der Innenstadt von Mannheim (03.03.2025)
Trauerbekundungen in der Mannheimer InnenstadtBild: DW

Um ziemlich genau 12.22 Uhr am Montag merkt die 23-jährige Marlena, dass in ihrer Stadt etwas ganz und gar nicht in Ordnung ist. Im Sekundentakt prasseln die Nachrichten in ihrer Messenger-Gruppe herein. Irgendetwas ganz Schlimmes sei in Mannheim passiert. Leute würden panisch wegrennen, ihnen allen sei der Terror ins Gesicht geschrieben.

"Aber wir wussten am Anfang alle nicht, was los war. Und dann gingen plötzlich aus allen Richtungen die Sirenen los. Nicht so, wie wenn die Polizei mit Blaulicht kommt, sondern die Art von Sirenen, von denen Du weißt, dass etwas ganz Furchtbares passiert sein muss", schildert Marlena die Lage in der Großstadt im Südwesten Deutschlands am Montagmittag.

Deutschland Mannheim 2025 | Ein stark beschädigter PKW, mutmaßlich das Tatfahrzeug von Mannheim, wird von Ermittlern untersucht (03.03.2025)
Mutmaßliches Tatfahrzeug (an einer Zufahrt zur Rheinbrücke)Bild: Boris Roessler/dpa/picture alliance

Kurze Zeit später haben die junge Eventmanagerin und ihre Freundinnen und Freunde die traurige Gewissheit: Zwei Menschen mussten sterben, viele wurden verletzt, weil ein Autofahrer in die Mannheimer Fußgängerzone fuhr. Schon wieder. Es ist innerhalb kürzester Zeit die dritte Attacke dieser Art in Deutschland.

Nach Magdeburg und München jetzt Mannheim

Magdeburg, Sachsen-Anhalt, 20. Dezember 2024: Sechs Menschen kommen ums Leben, als ein womöglich psychisch kranker Mediziner aus Saudi-Arabien mit einem PKW über den Weihnachtsmarkt rast.

München, Bayern, 13. Februar 2025: Zwei Menschen sterben, nachdem ein Mann aus Afghanistan seinen Wagen in einen Demonstrationszug der Gewerkschaft Verdi lenkt. In diesem Fall gehen die Ermittler von einem islamistischen Motiv aus.

Und nun Mannheim, Baden-Württemberg, an diesem Montag. Die Polizei nimmt einen 40-jährigen Deutschen fest. Der mutmaßliche Täter handelte möglicherweise ohne politisches oder religiöses Motiv.

Wäre die Tat einen Tag vorher passiert, berichtet Marlena, wäre das Ausmaß sicherlich noch wesentlich schlimmer gewesen, denn es ist Karnevalssaison: Zehntausende begeisterte Besucher standen am Sonntag Spalier, als sich der Mannheimer Fasnachtsumzug durch die Innenstadt schlängelte.

Marlena will nicht, dass die Todesfahrt in irgendeiner Art und Weise politisch instrumentalisiert wird. Aber was macht das mit der Stadt, wird sie sich davon erholen?

Marlena sagt: "Viele hier sind jetzt noch in einer Art Schockzustand. Und das mulmige Gefühl bleibt: Als ich später am Nachmittag in der Fußgängerzone war und plötzlich ein Auto hinter mir hörte, habe ich einen Riesensatz zur Seite gemacht, weil ich mich so erschrocken habe."

Bundesinnenministerin Faeser spricht Beileid aus

Bundesinnenministerin Nancy Faeser war am Vormittag noch kostümiert und bestens gelaunt im Karnevalsfieber gewesen. Auf dem Kölner Rosenmontagszug hatte die SPD-Politikerin von einem Umzugswagen Süßigkeiten in die Menge geworfen, ehe sie die Nachricht aus Mannheim ereilte. Einige Stunden später ist sie am Tatort, legt dort eine weiße Rose nieder und spricht aus, was viele Mannheimer denken: "Was für eine furchtbare Gewalttat hier in Mannheim, erneut Mannheim. Ein Horror."

Deutschland Mannheim 2025 | Nancy Faeser und Winfried Kretschmann mit weißen Rosen in den Händen (03.03.2025)
Bundesinnenministerin Faeser (links) und Ministerpräsident Kretschmann (rechts) am TatortBild: Boris Roessler/dpa/picture alliance

Erneut Mannheim, weil vor gerade einmal zehn Monaten die Stadt schon einmal eine Attacke erlebte, welche die Mannheimer erschütterte - und über Deutschland hinaus für Schlagzeilen sorgte: Am 31.Mai 2024 hatte ein in Deutschland lebender Afghane einen islamfeindlichen Politiker mit einem Messer attackiert und dabei einen Polizisten getötet.

Die Tat geschah wenige Tage vor der Europawahl und hatte zu heftigen Debatten über den Umgang mit islamistischen Gefährdern in Deutschland und die Abschiebung von Schwerstkriminellen nach Afghanistan geführt. Und die Attacke vom Mai passierte gerade einmal ein paar Hundert Meter vom heutigen Tatort entfernt.

Auch der Ministerpräsident des Bundeslandes Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, erinnert daran, dass Mannheim nun schon zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres Ziel von Anschlägen wurde. "Wir sind einfach traurig, dass schon wieder solch eine schlimme Tat passiert ist", sagt der Grünen-Politiker. Das Ereignis sei "schwer zu ertragen und auszuhalten". 

Viel Arbeit für Seelsorger, Ersthelfer und Polizei

Vor allem für die Augenzeugen dieser schrecklichen Tat. Sie werden im Mannheimer Rosengarten versorgt, wo sonst eigentlich Events und Kulturveranstaltungen stattfinden. Die Seelsorger und Ersthelfer haben alle Hände voll zu tun und bitten um Verständnis, zum jetzigen Zeitpunkt keine Interviews geben zu können.

"Schlimm, richtig schlimm", sagt ein Feuerwehrmann im Vorbeigehen. Und es hätte vielleicht noch schlimmer kommen können, hätte die Polizei nicht so schnell reagiert.

In einer eilig einberufenen Pressekonferenz nennt Mannheims Polizeipräsidentin Ulrike Schäfer die Dauer zwischen den ersten Notrufen und der Festnahme des Fahrers: 29 Minuten. Um 12.14 Uhr habe man "eine unzählige Anzahl an Notrufen erhalten", aufgrund von Zeugenaussagen die Fahndung eingeleitet und das Tatfahrzeug kurze Zeit später verlassen aufgefunden. Um 12.43 Uhr erfolgte die Festnahme gut einen Kilometer vom Haupttatort entfernt.

Drei Männer in weißen Anzügen mit der Aufschrift auf dem Rücken: Polizei
Spurensicherung durch die Mannheimer Polizei am TatortBild: Boris Roessler/dpa/picture alliance

"Es war ein ganz normaler Tag im Stadtleben von Mannheim", sagt Schäfer. Soll heißen: keine besondere Veranstaltung, also auch keine Veranlassung für Poller oder Absperrungen. Straßenbahnen, die durch die Innenstadt fahren. Und der Lieferverkehr für die Geschäfte. Bis der Täter für einen "ganz, ganz schwarzen Tag für die Stadt Mannheim sorgt", wie es Oberbürgermeister Christian Specht von der CDU ausdrückt.

"Die Menschen verlieren ihr Vertrauen"

Der 30-Jährige Alik hätte an diesem schwarzen Tag seiner Stadt gerne ein paar Blumen niedergelegt, aber der Tatort ist weiträumig abgesperrt. Jemand hat ein paar vereinzelte Teelichter aufgestellt, eine gespenstische Ruhe liegt über der Innenstadt. Drei, vier Mal in der Woche gehe er dort entlang, wo jetzt zwei Menschen gestorben sind, erzählt er beim Blick über das rot-weiße Absperrband.

"Es ist ein Stück Heimat, das angegriffen wurde. Und es ist wirklich gruselig, weil sich in Deutschland solche Meldungen häufen. Da fragt man sich mit einem mulmigen Gefühl: Was kommt wohl nächste Woche auf uns zu?", schildert Alik seinen Gemütszustand: "Die Menschen verlieren ihr Vertrauen, auch in die Politik."

Porträt eines blonden Manns im schwarzen Hemd
Oliver Pieper DW-Reporter und Redakteur