Lukaschenka erklärt den Menschenrechts-Organisationen den Krieg
28. September 2003Moskau, 26.9.2003, NESAWISSIMAJA GASETA, russ., Roman Jakowlewskij, Olga Masajewa, aus Minsk
Vor dem Gebäude des weißrussischen Justizministeriums in Minsk organisierten oppositionelle Jugendliche in der Ausbildung gestern Morgen (25.9.) eine recht seltsame "schweigende" Mahnwache. Aus Protest gegen die massenhafte Schließung gesellschaftlicher Vereinigungen im Land stellten sich die in Kittel mit Aufschriften gekleideten jungen Leute entlang der Straße auf und schauten schweigend und vorwurfsvoll den zur Arbeit gehenden Beamten in die Augen. Anlass für diese Aktion war der Beschluss des Obersten Gerichtes Weißrusslands über die Schließung der gesellschaftlichen Vereinigung "Wesna" ("Frühling" – MD). Diese Organisation ist dadurch bekannt, dass sie jährlich einen Bericht über die Menschenrechtsverletzungen in Weißrussland aufstellt und unabhängig die Wahlen im Land beobachtet. Während der Präsidentschaftswahlkampagne im Jahr 2001 versammelte "Wesna" etwa 200 verschiedene Rechtsschutzorganisationen um sich und bildete die bürgerliche Initiative "Unabhängige Beobachtung". Davon, dass diese oppositionelle Organisation nicht voreingenommen handelt, spricht die Tatsache, dass die ganze Welt nach den Wahlen im Jahr 2001 dank der Tätigkeit dieser Organisation erfuhr, dass Aleksandr Lukaschenka tatsächlich von der Mehrheit gewählt wurde, dass die Zahl der falschen Wahlzettel nicht über 20 Prozent lag. Die Berichte von "Wesna" und "Unabhängige Beobachtung" über die Wahlen und die Menschenrechtsverletzungen in Weißrussland wurden offiziell ausländischen Diplomaten, die in Weißrussland tätig sind, allen lokalen Massenmedien, der OSZE und anderen einflussreichen internationalen Strukturen vorgelegt.
Die Führung von "Wesna" geht davon aus, dass die Organisation aus rein formellem Anlass im Vorfeld der in den Jahren 2004 und 2006 bevorstehenden Parlaments- und Präsidentschaftswahlkampagnen geschlossen werden soll. Nach Ansicht des Vorsitzenden von "Wesna" Ales Beljazkij könnten die Fälschungen ein viel größeres Ausmaß annehmen und die jetzigen Machthaber deshalb keine überflüssigen Zeugen brauchen. Das bestätige indirekt auch die Tatsache, dass die weißrussische Wahlkommission sich kategorisch weigerte, Änderungen am Wahlgesetz zu erörtern. Auf diesen Änderungen bestand die OSZE-Delegation, die Mitte September in Minsk ein spezielles Seminar zu Fragen der Demokratisierung der Wahlgesetzgebung durchführte. Die Vorsitzende der Zentralen Wahlkommission Lidija Jermoschina erklärte kategorisch beim Seminar, dass sie eine Änderung des Wahlgesetzes für unzweckmäßig halte. Aller Wahrscheinlichkeit nach besitze Minsk bereits ein Szenario der bevorstehenden Wahlkampagnen und würde das nur ungern ändern.
Die Sache mit der Schließung von "Wesna" ist bereits die neunte Gerichtsverhandlung im letzten Halbjahr, die die weißrussischen Machtorgane gegen Rechtsschutzorganisationen initiiert haben. Seit April dieses Jahres wurden sechs dieser Vereinigungen geschlossen, die übrigen warten auf die Gerichtsverhandlung. Die Experten neigen zur Meinung, dass die von den weißrussischen Machtorganen organisierte Kampagne zur "Säuberung" der unabhängigen Massenmedien, der Nichtregierungsorganisationen und der ausländischen Organisationen im Zusammenhang mit der bevorstehenden Annahme des "Beschlusses zur Förderung der Demokratie in Weißrussland" durch den US-Kongress steht.
Dieses Dokument soll bereits im Oktober erörtert werden. Eigentlich, so die Experten, wird dieser Beschluss das erste Dokument sein, das die seit 1997 gegen Weißrussland verhängten Sanktionen und teilweise auch neue Sanktionen zur offiziellen Staatspolitik der USA macht. Ebenfalls offiziell wollen die USA auch den Aufbau der Demokratie in Weißrussland fördern. Infolge dieses Beschlusses wird Washington seine Politik gegenüber dem offiziellen Minsk ernst ändern.
Die Vertrauenspersonen des weißrussischen Präsidenten, die mit den Amerikanern Diskussionen über die von Washington vorgeschlagene sogenannte "schrittweise Strategie" führten, die die bilateralen Beziehungen normalisieren sollte, machten Washington lediglich was vor, wichen jedoch keinen Zollbreit. (...) (lr)