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Liebe US-Forschende: Willkommen in Deutschland!

26. März 2025

Trumps massiver Angriff auf die Wissenschaft schlägt Forschende aus den USA in die Flucht. Deutsche Forschungsinstitute könnten profitieren, sind aber gleichzeitig in großer Sorge.

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Frau mit Schild bei  einer Pro-Wissenschafts-Demonstration´in den USA
Tausende demonstrierten in Washington für die Freiheit der Wissenschaft Bild: Robyn Stevens Brody/Sipa USA/dpa/picture alliance

Massenentlassungen, eingefrorene oder gestrichene Forschungsgelder, politische Vorgaben – Trumps massiver Angriff auf die Wissenschaft trifft nicht nur ihm unliebsame Bereiche wie die Klima- und, Energie-, Gesundheits-, Sozial- oder Genderwissenschaften. Selbst besonders zukunftsweisende Felder wie Künstliche Intelligenz oder mRNA-Technologie sind betroffen.

Es geht längst nicht nur um die Arbeitsplätze von einigen schlauen Menschen in weißen Kitteln, denn Trumps Attacke hat nicht nur finanzielle Gründe. Kritiker werten Trumps Angriff auf die Freiheit der Forschung, die Behauptungen und Mythen mit Fakten und Analysen widerlegt, als einen politisch motivierten Angriff auf das pluralistische System und die freiheitlich-demokratische Grundordnung.

Die Verunsicherung ist so groß, dass zahlreiche Forschende die USA verlassen wollen - in Richtung Kanada und Asien, vor allem aber nach Europa.

Globaler Schaden durch Trumps Angriff auf die Forschung

Europa und vor allem Deutschland würden von einem "Brain Drain" massiv profitieren. Aber für Häme ist kein Platz, denn Trumps beispielloser Angriff auf die Wissenschaft schadet der ganzen Welt, weil Forschung vom internationalen Austausch lebt.

Stagniert zum Beispiel die Medikamentenentwicklung in den USA, so verlangsamt sich weltweit der medizinische Fortschritt. Fehlen Daten etwa über hochansteckende Infektionskrankheiten oder die gerade in den USA grassierende Vogelgrippe, dann ist die Welt schlechter für eine neue potentielle Pandemie gerüstet.

Wie Trump die Wissenschaft bedroht

"Wir müssen nun solidarisch mit unseren Partnern in den USA sein, denn letztendlich brauchen wir eine starke Wissenschaft in den Vereinigten Staaten. Lücken, die hier nun in der Klimaforschung, in der globalen Gesundheitsforschung oder mit Blick auf die Energietransformation entstehen, lassen sich später nicht einfach wieder schließen", so Otmar Wiestler, der Präsident der Helmholtz-Gemeinschaft, gegenüber der DW. "Je größer die Eingriffe in die Wissenschaft sind, desto intensiver werden die Folgen global, aber auch für die USA selbst ausfallen."

Großes Interesse am Forschungsstandort Deutschland

Trumps Vorgehen bietet ungeahnte Möglichkeiten, Spitzenforscher für Europa und vor allem Deutschland zu gewinnen. Die Europäischen Forschungseinrichtungen wollen sich diese Chance nicht entgehen lassen. Gleichzeitig möchten sie die traditionell gute Zusammenarbeit mit US-Partnern nicht belasten und die Sorgen der Forschenden nicht ausnutzen.

Wirklich belastbare Zahlen über wechselinteressierte Forschende aus den USA gibt es bislang nicht, weil dies natürlich eine ebenso private wie sensible Entscheidung ist.

Aber 75 Prozent der US-Forschenden, die an einer “Nature“-Umfrage teilgenommen haben, denken darüber nach, die USA zu verlassen. Von den 1.600 Teilnehmern erwägen mehr als 1.200 Wissenschaftler einen Umzug nach Kanada oder Europa. Besonders ausgeprägt war der Trend bei Forschern, die noch am Anfang ihrer Karriere stehen. Von den 690 postgraduierten Forschern, die geantwortet haben, erwägen 548 einen Weggang; 255 von 340 Doktoranden sagten das Gleiche.

Auch bei den führenden deutschen Forschungseinrichtungen gehen bereits vermehrt Bewerbungen aus den USA ein, darunter auch von einigen Spitzenforschenden, die man nur zu gerne für sich gewinnen würde.

Bereits Anfang Februar 2025 berichtete der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, Patrick Cramer, dass sich die Bewerbungen aus den USA mindestens verdoppelt, in einigen Fällen sogar verdreifacht haben. Im April wird Cramer erneut zu Gesprächen in die USA reisen. Viele der begehrten PostDoc-Studierenden vor allem aus Indien, Südkorea und China sehen Deutschland ebenfalls als interessante Alternative zu den USA, so Dr. Christina Beck von der Max-Planck-Gesellschaft.

"Der Forschungsstandort Deutschland ist grundsätzlich und unabhängig von aktuellen Entwicklungen eine attraktive Alternative zu den USA," so Helmholtz-Präsident Wiestler. Die Helmholtz-Gemeinschaft ist mit über 46.000 Mitarbeitern und einem jährlichen Budget von rund 6,3 Milliarden Euro die größte deutsche Organisation zur Förderung und Finanzierung der Forschung.

"Wir können deshalb davon ausgehen, dass international Forschende zunehmend Karrieren auch hierzulande in Erwägung ziehen. Dies betrifft übrigens nicht nur Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die derzeit in den USA beschäftigt sind. Sondern auch talentierte Forschende aus aller Welt, die nun Alternativen zu einem angestrebten oder bereits geplanten Aufenthalt in den USA suchen. Eine ähnliche Tendenz haben wir im Übrigen nach dem Brexit gesehen", so Wiestler.

Sollte Deutschland Forschende aus den USA aktiv anwerben?

Aus Sicht der Max-Planck-Gesellschaft spreche nichts dagegen, wenn sich Deutschland aktiv um die führenden Köpfe aus den USA bemüht. Diese Gelegenheit dürfe man sich auf keinen Fall entgehen lassen, so Dr. Christina Beck.

Helmholtz-Präsident Wiestler ist anderer Meinung: "Die Stimmen, die nun eine aktive Anwerbung von Spitzenforschern aus den USA fordern, halte ich für kurzsichtig. Für uns sind die USA ein besonders wertvoller wissenschaftlicher Partner und wir setzen darauf, dass dies auch in Zukunft der Fall sein wird."

Ähnlich sieht es auch die Fraunhofer-Gesellschaft zur Förderung der angewandten Forschung. Fraunhofer "ist immer bemüht die besten Köpfe zu gewinnen", so Sprecher Dr. Patrick Dieckhoff gegenüber der DW. Aber: "Eine besonderes Programm zur Anwerbung von US-Forschenden als Reaktion auf die derzeitigen Entwicklungen besteht aktuell nicht."

Auch die Leibniz-Gemeinschaft mit ihren 96 eigenständigen Forschungseinrichtungen will nicht aktiv Forschende aus den USA anlocken. "Von vorrangiger Bedeutung ist es, dass wir gerade jetzt unsere Kooperation intensivieren und so unsere amerikanischen Kolleginnen und Kollegen unterstützen. Eine gezielte Abwerbung von amerikanischen Kolleginnen und Kollegen birgt das Risiko, die amerikanische Wissenschaft nur noch mehr zu schwächen", so Leibniz-Präsidentin Martina Brockmeier gegenüber der DW.

Bei einer Eskalation in besonders angefeindeten Forschungsbereichen sei eine kurzfristige Zwischenfinanzierung denkbar. "Wenn es tatsächlich zu einem substanziellen Abbau von US-Forschung auf einzelnen Gebieten wie etwa der Klima- oder Infektionsforschung kommen sollte, wäre es im Interesse der globalen Wissenschaft - und damit auch Deutschlands - diese Expertise zu bewahren." Sollten betroffene Forschende einen Wechsel wünschen, "werden wir diesen sehr gern unterstützen", sagt Leibniz-Präsidentin Brockmeier.

Können deutsche Forschungseinrichtungen Spitzenforschung?

Wissen zählt im wirtschaftlich starken, aber rohstoffarmen Europa als wichtigste Ressource. Denn Forschung ermöglicht Innovationen, generiert Wachstum und hilft bei der Bewältigung der großen Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft. So hat Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten bereits massiv in Wissenschaft und Forschung investiert und will künftig mehr als 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukt (BIP) für Forschung und Entwicklung ausgeben.

Die Politik sorgt zwar über den Bund und die Länder für eine verlässliche finanzielle Förderung, um der Wissenschaft einen sicheren Rahmen zu bieten. Gleichzeitig aber gewährleistet eine grundgesetzlich garantierte Wissenschaftsautonomie, dass Forschung in Deutschland frei und unabhängig ist.

Promovieren in Deutschland?

Die Stärke der deutschen Spitzenforschung spiegelt sich auch in wissenschaftlichen Publikationszahlen wider: Deutschland erreicht im "Nature Index" des Jahres 2023, der die naturwissenschaftliche Publikationsleistung von Forschungseinrichtungen und Hochschulen auswertet, die beste Wertung in Europa und liegt im weltweiten Vergleich auf Platz drei nach den Spitzenreitern USA und China.

"Es gibt also zahlreiche Gründe, zu uns zu kommen, auch unabhängig von aktuellen Entwicklungen", so Helmholtz-Präsident Wiestler. "Der Forschungsstandort Deutschland ist dafür sehr gut aufgestellt."

Bürokratische Hürden und ausbaufähige Willkommenskultur

"Der Forschungsstandort Deutschland ist im internationalen Vergleich durchaus wettbewerbsfähig", ist auch die Ansicht von Leibniz-Präsidentin Brockmeier. Dringenden Handlungs- und Reformbedarf sieht Brockmeier dennoch: "Dazu gehören ein Abbau der überbordenden Bürokratie und die Ermöglichung von mehr Eigeninitiative, eine langfristig verlässliche Finanzierung, die Steigerung der Attraktivität akademischer Karrieren sowie die Erleichterung von Technologietransfer und Kooperationen mit der Wirtschaft."

Auch Helmholtz-Präsident Wiestler fordert "eine stärkere Willkommenskultur und einen entschlossenen Abbau von Bürokratie in der Wissenschaft", hier müsse die neue Bunderegierung schnell aktiv werden. "Wichtiger als eine gezielte Kampagne zur Anwerbung von Forschenden aus den USA ist die konsequente Weiterentwicklung unseres Forschungsstandorts in Deutschland", so Wiestler gegenüber der DW. "Nur so können wir ein Umfeld schaffen, in dem wir nachhaltig die besten Talente aus aller Welt gewinnen."

Mit Blick auf US-Forschende brauche es schnelle und unkomplizierte Lösungen, wie etwa beschleunigte Visa- und Berufungsverfahren, so Max-Planck-Sprecherin Beck. Die neue Bundesregierung dürfe die bestehende Doppelpass-Regelung nicht wieder abschaffen. Diese Regelung zur doppelten Staatsbürgerschaft sei bereits nach dem Brexit für internationale Forschende sehr interessant gewesen.

 

Der Artikel wurde am 28.03.25 um die Ergebnisse der Nature-Umfrage ergänzt.

DW Mitarbeiterportrait | Alexander Freund
Alexander Freund Wissenschaftsredakteur mit Fokus auf Archäologie, Geschichte und Gesundheit