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Licht und Schatten in der bulgarischen Wirtschaft

22. Mai 2002

- Günstige geographische Lage und traditionell gute Beziehungen zu allen Staaten und Ethnien der Region sind Vorteile des Landes

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Sofia, Mai, 2002, WIRTSCHAFTSBLATT, deutsch

Bulgarien hat in den letzten Jahren seine Hausaufgaben erledigt. Der am 1. Juli 1997 eingerichtete Währungsrat, eine rigorose, mit dem IWF abgestimmte Währungs- und Haushaltspolitik und eine Beschleunigung der Strukturanpassung haben zu einer Konsolidierung der Wirtschaftslage geführt. Politische und wirtschaftliche Stabilität, recht komfortabele Devisenreserven, positiver Trend beim Ausbau der Handelsbeziehungen zur EU und zu Deutschland sowie beschleunigte Privatisierung zeigen gute Ergebnisse auf der makroökonomischen Ebene. Der aktuelle Fortschrittsbericht der EU bescheinigt Bulgarien diese Reformanstrengungen und ermuntert zur konsequenten Fortsetzung.

Die Regierung der Nationalen Bewegung Simeon II, die im Juni 2001 an die Macht gekommen ist, versucht den erfolgreichen Reformkurs weiterzufolgen. Ihre Politik ist darauf ausgerichtet, im mittelfristigen Plan fiskalische Stabilität und ein nachhaltiges Wachstumstempo zu garantieren. Die Regierung ist bestrebt, das Haushaltsdefizit auf maximal ein Prozent des BIP zu begrenzen. Was den Schuldendienst betrifft, sind die Anstrengungen darauf gerichtet, die Kriterien von Maastricht zu erfüllen, denen zufolge der Anteil der Schulden am BIP nicht mehr als 60 Prozent betragen dürfe, was die Stabilität der Finanzen gewährleisten würde. Eine andere wichtige Aufgabe der Regierung ist die Schaffung von Voraussetzungen für ein stabiles Wirtschaftswachstum durch Verbesserung des Geschäftsklimas. Das wichtigste Ziel der Steuerpolitik im mittelfristigen Plan ist die Senkung der Direktsteuern, was die realen Einkünfte der Bevölkerung und der Firmen erhöhen, die Nachfrage ankurbeln, die Investitionen und die Wirtschaftstätigkeit stimulieren und im Endeffekt der Staatskasse höhere Steuereinnahmen sichern wird.

Wo Licht ist, gibt es auch Schatten. Man darf nicht den Eindruck erwecken, dass alles schon perfekt ist, denn der Weg zu Demokratie und Marktwirtschaft verlangt einen langen Atem. Die Umsetzung der Gesetze verläuft langsam und sporadisch, die Beamten sind mit der Anwendung teilweise überfordert, es fehlt die Spruchpraxis. Administrative Hindernisse für die ausländischen Investoren wie zum Beispiel das schwerfällige Verwaltungssystem, die Korruption und die schleppende Bearbeitung der Dokumente von Firmen, die eine Geschäftstätigkeit in Bulgarien aufnehmen wollen, sind nach wie vor an der Tagesordnung. Die Schwierigkeiten für die Unternehmer resultieren vor allem aus der Anwendung des Gesetzes über die öffentlichen Aufträge und aus der großen Zahl von Lizenzierungs- und Genehmigungsvorschriften. Ein Teil dieser Vorschriften müßte revidiert werden, und andere sollten gänzlich wegfallen.

Kurzfristig kann die bulgarische Wirtschaft mit mehreren Risiken konfrontiert sein. Gefahr droht vor allem, wenn das Wachstum in der Europäischen Union geringer ausfällt als erwartet. Jeder Rückschlag in Europa würde auf die geplanten Kennziffern negativ reflektieren und mittelfristig das Risiko erhöhen. Das zweite Risiko für die Wirtschaft wäre ein ungenügendes Volumen ausländischer Direktinvestitionen. Dabei macht sich bei ihnen momentan ein Rückgang bemerkbar. Der Gesamtbestand der fremden Kapitalanlagen müsste ausreichen, um die Bedienung der Auslandsschulden zu garantieren und die Zahlungsbilanz zu decken, das wiederum aus dem Ungleichgewicht im Außenhandel resultiert. Die letzte Herausforderung für die Regierung ist die Senkung der Arbeitslosigkeit und der Armut. Diese beiden Kennziffern sind nach wie vor hoch im Vergleich zu denen der aussichtsreichsten EU-Beitrittskandidaten.

Die relativ guten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen haben ihre Wirkung in der Mikrowirtschaft erst teilweise entfaltet. Sorge bereiten u.a. der immer noch schrumpfende Industriesektor und damit Anlageninvestitionen, die Wettbewerbs- und Exportschwäche der bulgarischen Wirtschaft und das zunehmende Leistungsbilanzdefizit.

Nach Angaben der Privatisierungsagentur sind die Privatisierungsaktivitäten im Jahr 2001 zurückgegangen. (...)

Die Entstaatlichung der Großunternehmen mit Monopolpositionen auf dem Markt bleibt auf der Tagesordnung.

Die Kritik am Privatisierungssystem (Behinderung des Privatisierungsprozesses und mangelnde Transparenz) führte zur Reorganisation der Privatisierungsagentur.

Angenommen wurden Änderungen im Privatisierungsgesetz, die auf Verstärkung der parlamentarischen Kontrolle und auf Erhöhung des Vertrauens in der Öffentlichkeit zielen.

Die Privatisierung folgender Unternehmen steht immer noch bevor: BTK (die Bulgarische Telekommunikationsgesellschaft), Bank Biochim, Bulgartabak Holding, NEK (die Nationale Elerktrizitätsgesellschaft). Es gibt Privatisierungsgeschäfte mit unklarer Zukunft wie z.B.: Kremikovzi, die Fluggesellschaft Balkan, Chimko Vraza, Agrobiochim, Agropolychim, die Militärbetriebe.

Die Direktinvestitionen in Bulgarien beliefen sich im Jahr 2001 auf 650,9 Mio. USD. Das bedeutet einen Rückgang um 350,6 Mio. USD gegenüber dem Vorjahr (-35,0 Prozent). Für das Jahr 2001 hat Griechenland die Führungsposition unter den ausländischen Investoren mit Kapitalanlagen von insgesamt 174,2 Mio. USD (33,4 Prozent) übernommen. Den zweiten Platz belegte Österreich mit Investitionen von 70,4 Mill. USD (13,5 Prozent), gefolgt von Deutschland 48,5 Mio. USD (9,3 Prozent), USA 41,7 USD (acht Prozent) u.a.

Seit Januar 1992 sind gut 546,7 Mio. USD als Investitionen von Deutschland nach Bulgarien geflossen (12,3 Prozent vom Gesamtvolumen der Auslandsinvestitionen in diesem Zeitraum). Für den gesamten Zeitraum der Privatisierung ist Deutschland Investor Nr.1 im Land.

Das ausländische Kapital wurde vorwiegend in folgenden Sektoren angelegt: Großhandel, gefolgt von Verarbeitung von Mineralölen, Pharmazie, Produktion von Papier und Pappe, Bauwesen, Einzelhandel, Produktion von syntetischen Fasern, Versicherungswesen.

Schatten:

Bulgarien mit seinen acht Millionen Einwohnern ist ein kleiner Wirtschaftsraum für Großinvestoren. Das mangelnde Investitionsinteresse kann man als ein Problem Bulgariens betrachten.

Außenwirtschaft:

Die Außenwirtschaft im Jahre 2001 ist noch tiefer in die roten Zahlen abgerutscht. Für das Jahr 2001 stieg der bulgarische Außenhandelsumsatz um 8,8 Prozent auf 12,32 Milliarden USD. Dabei wuchs die Ausfuhr nur noch um 5,7 Prozent auf 5,09 Milliarden USD, d.h. um fast 15 Prozentpunkte langsamer als im Gesamtjahr 2000 (+20,4 Prozent). Auch hat sich über das Jahr hinweg das Einfuhrwachstum schrittweise verlangsamt. Es lag bei +11,1 Prozent (7,23 Milliarden USD).

Handelspartner Nr. 1 Bulgariens bleibt die Europäische Union. Im letzten Jahr entfiel mehr als die Hälfte des bulgarischen Warenaustausches auf diese Region (bulgarische Exporte 55,4 Prozent, bulgarische Importe 48,7 Prozent). Wichtigste Handelspartner waren 2001 Deutschland, Italien und Griechenland.

Die bulgarischen Exporte nach Deutschland beliefen sich 2001 auf 1,35 Milliarden DEM (+16,2 Prozent) und die Importe auf 2,03 Milliarden DEM (+18,7 Prozent), d.h. Gesamtumsatz 3,392 Milliarden DEM (+17,7 Prozent).

Bulgarien hat einen negativen Außenhandelssaldo. Für das Jahr 2001 ergab sich ein Handelsbilanzdefizit von 2,13 Mrd. USD – um 26,5 Prozent höher im Vergleich zum Vorjahr. Die Wettbewerbsfähigkeit sowie die Exportkraft der bulgarischen Wirtschaft sind noch schwach.

Die geografisch günstige Lage des Landes wird fast immer als ein Vorteil bezeichnet. Zwei weitere wichtige Punkte sind hier noch zu erwähnen: Erstens hat Bulgarien traditionell gute Beziehungen zu allen Staaten und Ethnien der Region. Zweitens könnte man sich gut die Vision des Transits von Öl und Gas aus Zentralasien und dem Kaukasus über Bulgarien nach West- und Südeuropa vorstellen. Also: Bulgarien hat eine gewisse Schlüsselstellung in der Balkanregion. Gerade das kann mehr Licht und weniger Schatten für die bulgarische Wirtschaft bedeuten, wenn das Engagement der ausländischen Investoren verstärkt werden sollte. Und gerade hier liegt die große Aufgabe der neuen Regierung. (fp)