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PolitikLibyen

Libyen: Hotspot des Menschenschmuggels

6. April 2025

Eine neue Studie aus Europa gibt Einblick, wie in Libyen das Schleusen und Schmuggeln von Migranten funktioniert. Nicht nur lokale Machthaber sind involviert, auch russische Interessen sind im Spiel.

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Zahlreiche Migranten sitzen auf einem in Libyen gestarteten, hoffnungslos überfüllten Boot
Riskante Überfahrt: Migranten auf einem in Libyen gestarteten BootBild: picture-alliance/AP/Libyan Coast Guard

Seit dem Sturz des Assad-Regimes in Syrien hat Russland ein Problem: Die Zukunft seiner Marinebasis am Mittelmeerhafen Tartus wie auch seines syrischen Luftwaffenstützpunkts Hmeimim steht in Frage. Es ist unsicher, ob und falls ja, in welchem Maß das russische Militär beide Basen in Syrien halten kann, nachdem Moskaus Partner Assad vertrieben wurde.

Umso wichtiger wird in der arabisch geprägten Großregion Nahost und Nordafrika offenbar ein anderes Land für Russland: Libyen. Sicherheitsexperten beobachten seit Dezember 2024, dem Monat, in dem Assad gestürzt wurde, verstärkt Flugbewegungen von Syrien nach Libyen. Bereits im Vorfeld, berichtet der New Yorker Think Tank The Soufan Center in einem Reportvom März dieses Jahres, hätten russische Schiffe mehrfach die ostlibysche Marine-Basis Tobruk angelaufen. Diese steht unter der Kontrolle des libyschen Kommandanten, der weite Teile im Osten des gespaltenen Landes kontrolliert: Chalifa Haftar. 

"Unmittelbar nach Assads Sturz brachten zahlreiche Flüge und Frachtschiffe russisches Material von Stützpunkten in Syrien nach Libyen", berichtet auch Tarek Megerisi, Forscher am European Council on Foreign Relations und Autor einer soeben erschienenen umfangreichen Studie  zur russischen Präsenz in Libyen, im DW-Gespräch. "Es lag auf der Hand, dass Libyen in Moskaus Augen der sichere Raum in der Mittelmeerregion ist." Moskaus Interessen werden dort nicht zuletzt durch Söldnermilizen wie die ehemalige Wagner-Gruppe wahrgenommen, die heute unter dem Namen "Afrika-Korps" operiert. 

Der stellvertretende russische Verteidigungsminister, Yunus-bek Yevkurov empfängt den libyschen Kommandanten Chalifa Haftar auf einem Flughafen bei Moskau, 2023
Politische Partner: Der stellvertretende russische Verteidigungsministers Junus-bek Jewkurow empfängt 2023 in Moskau den abtrünnigen libyschen Kommandanten und Machthaber im Osten des Landes, Chalifa HaftarBild: General Command of the Libyan National Army/AFP

Moskaus Interessen in Libyen

In dem von einem langen Bürgerkrieg zerrissenen Libyen verfolge Moskau mehrere Interessen, so Megerisi. Grundsätzlich strebe Russland eine Militärpräsenz am Mittelmeer an. Die war bislang vor allem in Syrien gegeben. Darüber hinaus sei es an der Kommerzialisierung der dortigen Bodenschätze, insbesondere der Energievorkommen, interessiert. Zugleich versuche es unter dem Druck der westlichen Sanktionen, Abnehmer für seine eigenen Exporte zu finden. Zudem diene Libyen als wichtige Drehscheibe für den Export russischer Waffen. 

Ähnlich sieht es auch das Soufan Center. Artillerielieferungen etwa gingen an die von Haftar kommandierte sogenannte Libysche Nationale Verteidigungsarmee (LNA), schreiben die Sicherheitsexperten des Zentrums in New York, oder sie könnten "an antiwestliche Streitkräfte in den Nachbarländern exportiert werden". Doch auch Einfluss auf die über Libyen laufende Migration in Richtung Europa liegt im russischen Interesse - sie dient Moskau als Druckmittel gegenüber der EU.

Ein russisches Schiff passiert den Bosporus.
Ein russisches Schiff passiert den Bosporus. In der Vergangenheit wurden mehrfach Vorwürfe laut, dass auf solchen Schiffen Waffen für Libyen transportiert würdenBild: Yörük Işık/ICIJ

Sohn des Machthabers im Fokus

Im Libyen-Konflikt unterstützt Russland seit Jahren den abtrünnigen Kommandanten Haftar, den starken Mann im libyschen Osten. Der sei auch weiterhin Moskaus wichtigster Partner, sagt Ulf Laessing, Leiter des Regionalprogramms Sahel der Konrad-Adenauer-Stiftung in Mali. "Zwar haben die Russen auch diplomatische Beziehungen in den westlichen Landesteil und in die Hauptstadt Tripolis. Aber der Fokus liegt klar auf Haftar." Das sei insofern riskant, als Haftar inzwischen 81 Jahre alt und seine Herrschaft auch angesichts von politischem Druck aus den USA womöglich durchaus zerbrechlich sei, so Laessing im DW-Gespräch.

Umso bedeutender scheint die Rolle einer der Söhne Haftars, Saddam Haftar, ebenfalls ein General. Der Mann, gegen den Spanien 2024 einen Haftbefehl wegen des Verdachts auf Waffenschmuggel erließ, habe sich in den vergangenen Jahren als Ansprechpartner Russlands in Libyen etabliert, schreibt Megerisi in seiner Studie. Haftar stelle Russland ein Netz libyscher Militärbasen zur Verfügung - und Moskau zeige sich dafür erkenntlich: "Russland nutzte all dies, um (...) Saddam Haftar dabei zu helfen, Libyens Rolle als Hotspot für den Schmuggel von Waffen, Drogen, Treibstoff - und Menschen - auszubauen", so Megerisi weiter.

Jahrelang habe es Flüge aus Syrien in den Osten Libyens gegeben, sagt Laessing der DW, absolviert vor allem von einer privaten syrischen Fluggesellschaft. "Über sie kamen Migranten aus Asien, etwa Pakistan und Bangladesch, nach Ostlibyen. Von dort wurden sie dann auf Schiffe gebracht, die dann Richtung Italien aufbrachen." 

Mit Hilfe seiner Privatmiliz (Tariq bin-Ziad-Brigade) habe Saddam Haftar eine komplexe Infrastruktur für den professionellen Menschenschmuggel aufgebaut, schreibt Experte Megerisi in seiner Studie. Diese könnten transnationale Menschenhändler- und Schmuggelnetzwerke gegen eine Gebühr dann nutzen. Leidtragende sind die Menschen, die oftmals hohe Risiken eingehen und viele Entbehrungen in Kauf nehmen in der Hoffnung, später in Europa ein besseres Leben führen zu können. Mitunter seien von Migranten Summen in Höhe von 9000 US-Dollar zu entrichten, so Megerisi.  

Geschäfte mit dem Leid  

Der Menschenschmuggel folge einem festen Muster, schreibt Megerisi: Bei ihrer Ankunft in Libyen übergäben die Migranten ihre Dokumente einer weiteren Miliz, die sie dann bis zur Zahlung der von den Migranten zu entrichtenden "Gebühren" festhalte. Bis zum Aufbruch der Schiffe in Richtung Europa würden die Migranten mehrere Tage oder Wochen festgehalten, meist unter unmenschlichen Bedingungen.

"Dann erhält Saddam erneut Geld dafür, dass seine Küstenwache Boote durchlässt: 100 Dollar pro Migrant für 'kleinere Boote' (mit etwa 300 bis 550 Personen) oder eine Pauschalgebühr von 80.000 Dollar für größere Boote", schreibt Megerisi. Andere Flüchtlinge würden aber auch in den libyschen Westen gebracht: "Das zeigt, wie libysche bewaffnete Gruppen politische Grenzen überwinden, um Profit zu machen."

Die Wege der Migranten in Richtung Libyen seien zwar unterschiedlich, schreibt Megerisi. Afrikaner kämen meist über den Landweg, Menschen aus Asien eher per Flugzeug. Sie reisten danach aber meist über verschiedene Anlaufpunkte in das östliche Libyen, wo sie Haftars Netzwerk übergeben würden. 

Ein Mann sitzt in einem Kleintransporter neben einem hözernen Sarg mit Goldbeschlägen, rechts von ihm steht offenbar eine Gas- oder Sauerstoffflasche
Ein Pakistaner trauert am Sarg eines bei einem Bootsunglück vor Libyens Küste ums Leben gekommenen Verwandten, Archivbild von 2018Bild: Anjum Naveed/AP Photo/picture alliance

"Migration als Waffe"

An dieser Stelle kommen Moskaus Interessen gegenüber Europa ins Spiel. "Russland setzt Migration als Waffe ein", urteilt Megerisi. Das habe sich bereits während des Kriegs in Syrien gezeigt, als russische Maschinen Migranten aus Damaskus nach Minsk brachten, die dann versuchten, von dort nach Westeuropa zu kommen. Damit erhöhte sich der Druck auf die EU-Außengrenzen. Es sei unsicher, ob es diese Flüge derzeit weiterhin gebe: "Seit dem Sturz Assads liegt der Schwerpunkt der Migration aber in der Sahel-Zone. Dort tragen die russischen Milizen dazu bei, dass sich von dort womöglich weitere Menschen in Richtung Europa machen. Auch dabei arbeiten sie mit Saddam Haftar Hand in Hand."  

Europa könne dem Menschenschmuggel am besten entgegenwirken, indem es Migranten sichere Routen anbiete und ankommende Menschen effektiv kontrolliere, meint Megerisi. "So ließe sich den Menschenschmugglern das Geschäft entreißen, und Europa nähme die Kontrolle in die eigene Hand."

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DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika