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Bacharevič: "Russophobie ist berechtigte Opposition"

25. März 2025

Sein Buch "Europas Hunde" ist in seiner Heimat Belarus verboten. In Leipzig bekommt Alhierd Bacharevič jetzt den Preis zur Europäischen Verständigung. Eine Messe zwischen Krieg, TikTok-Boom und dem Gastland Norwegen.

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Porträt: Alhierd Bacharevič steht im blauen Jacket vor einer Mauer
Erhält den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung 2025: Alhierd BacharevičBild: Julia Cimafiejeva/Stadt Leipzig/dpa/picture alliance

Es ist erschreckend, wie visionär Alhierd Bacharevič schon 2017 die Rückkehr eines Russlands beschreibt, das imperialistische Großreichfantasien hegt. 2024 ist sein Schlüsselroman "Europas Hunde" auch auf Deutsch erschienen. Das Buch sei eine "furiose literarische Zukunftsvision", eine "wilde Mischung aus Politthriller, Epos, Abenteuergeschichte, Satire und Märchen". Leidenschaftlicher könne man von Europa und seinen Abgründen nicht erzählen, urteilte die Jury, die Bacharevič mit dem Leipziger Preis zur Europäischen Verständigung auszeichnet.

Bacharevičs Werk, das im Westen großen Anklang findet, ist in Belarus längst verboten. Seine Bücher wurden aus den Bibliotheken entfernt, schon ihr Besitz ist gesetzeswidrig. Er selbst lebt im Exil. "Ich denke, dass der Staat mich als potenziell gefährlichen Autor betrachtet, als einen ihm feindlich gesinnten Autor", sagt Bacharevič in einem Interview mit der Deutschen Welle. "Ich zeichne eine sehr düstere Vision der Zukunft von Belarus. Es ist ein antiimperialer Roman, in gewissem Sinne ein russophober, antirussischer Roman."

Buchcover "Europas Hunde" von Alhierd Bacharević
"Europas Hunde" wurde erstmals 2017 in Vilnius, Litauen, aufgelegtBild: Verlag Voland & Quist

Dafür habe man ihn auch schon in Deutschland, Österreich und der Schweiz kritisiert, sagt er und ergänzt: "Ich versuche allen zu erklären, dass meine Russophobie kein Hass gegenüber irgendeiner ethnischen Gruppe, gegenüber den Russen ist. Die Russophobie ist heute eine absolut verständliche und berechtigte Opposition gegen das Russische Imperium und den russischen Staat. Wenn man für Frieden um jeden Preis ist, bedeutet dies, dass man zig Millionen Menschen in die Sklaverei eines großen Imperiums schickt." 

"Eine unerwartete Sicht auf Europa"

Opposition ist für Bacharevič gelebter Alltag. Zwischen 2006 und 2013 lebte er in Hamburg, um sich staatlichen Beschränkungen zu entziehen. 2020 protestierte er mit Tausenden seiner Landsleute gegen die umstrittene Wiederwahl Alexander Lukaschenkos zum Präsidenten. Das Regime reagierte mit äußerster Härte auf die Demonstrationen und Bacharevič ging erneut ins Exil, mittlerweile lebt er in Berlin.

Die Auszeichnung in Leipzig empfindet er nicht nur als eine große Ehre, sie bedeute für ihn auch, dass er in Deutschland bleiben könne - in Sicherheit. Und was ihm ebenso wichtig ist: die Anerkennung der belarussischen Literatur, die in Westeuropa noch sehr unbekannt ist.

"Früher war es einfach schrecklich", so Bacharevič. "Alle hier, die absolute Mehrheit (in Deutschland, Anm. d. Red.), dachten, es gäbe Russland, nur Russland. Belarus und die Ukraine - wir existierten in der Wahrnehmung der Deutschen praktisch nicht."

Auf einer Theaterbühne kniet eine Frau mit weißem Kleid und rotemUmhang, hinter ihr  ein großer schwarzer Fleck
"Dogs of Europe": Inszenierung des Freien Belarussischen Theaters 2023 in BerlinBild: Linda Nylind

Erst seit den Protesten in Belarus und dem russischen Angriff auf die Ukraine habe sich das geändert, so Bacharevič. Jetzt wollten die Deutschen verstehen, was gerade in Osteuropa - in Russland, in Belarus und der Ukraine - passiere. "Und ich glaube, mein Roman kann ihnen dabei helfen, denn 'Europas Hunde' bietet ihnen eine wirklich unerwartete Sicht auf Europa." Eben aus belarussischer Sicht.

Am 26.03. wird Alhierd Bacharevič - am Vorabend der Eröffnung der Leipziger Buchmesse- den Preis zur Europäischen Buchmesse entgegennehmen, der schon an Größen der Weltliteratur wie die spätere Nobelpreisträgerin aus Belarus, Swetlana Alexijewitsch(1998), oder den Ukrainer Jurij Andruchowytsch (2006) ging.

Literatur zwischen Krieg, Widerstand und Hoffnung

Einen Tag später dann startet die Messe mit einem gewohnt vielfältigen Programm. Und auch hier spielt Osteuropa eine wichtige Rolle. Allen voran die Ukraine, die seit drei Jahren um ihre Freiheit und kulturelle Identität ringt. Autorinnen und Autoren erzählen, wie der Krieg sie verändert hat. So zum Beispiel der Journalist und Menschenrechtler Maksym Butkevych: Er meldete sich als Freiwilliger an die Front, geriet in russische Kriegsgefangenschaft und kam zwei Jahre später bei einem Gefangenen-Austausch frei. In seinem Buch "Am richtigen Platz. Ein ukrainischer Friedensaktivist im Krieg" beschreibt er, warum er sich als Antimilitarist dem Militär angeschlossen hat. 

Maksym Butkevych in einem schwarzen Mantel vor einem grauen Tor
Maksym Butkevych war zwei Jahre in russischer Kriegsgefangenschaft Bild: Emile Ducke/DW

Das multinationale Literaturnetzwerk TRADUKI präsentiert Literatur aus Südosteuropa, von Mazedonien bis Serbien. Auch hier spielt Krieg eine Rolle, wenn auch einer, der längst vorbei ist: Als das ehemalige Jugoslawien zerfiel und sich mehrere ehemalige Teilstaaten für unabhängig erklärten, kam es zwischen 1991 bis 2001 zu heftigen militärischen Auseinandersetzungen. Die Wunden sind bis heute nicht verheilt. Für den Titel seines Programms in Leipzig - "Sprache, Pass und zwei, drei Fotos" - hat sich TRADUKI bei der nordmazedonischen Autorin Lidija Dimkovska inspirieren lassen. In ihrem Gedicht "Das Land, das zerfällt" zählt sie auf, was man auf die Schnelle einsteckt, wenn man überstürzt sein Heim verlassen werden muss - wenn nicht gar die Heimat.

Gastland Norwegen, Neuling Philippinnen und ein Hashtag

Krimi-Fans wissen, dass norwegische Autorinnen und Autoren Meister in diesem Genre sind. Skandinavische Krimis rangieren regelmäßig ganz oben auf den Bestsellerlisten. Doch das kleine Land im hohen Norden hat noch viel mehr zu bieten. Karl Ove Knausgård gehört zu den renommiertesten Autoren weltweit, Jon Fosse erhielt 2023 den Literaturnobelpreis. In Leipzig können Besucherinnen und Besucher noch viele weitere Schätze entdecken. Eigentlich sollte die norwegische Kronprinzessin Mette-Marit, selbst bekennende Vielleserin, den Stand des Gastlandes eröffnen, doch sie musste wegen schwerer Krankheit absagen.

Jon Fosse steht auf einer Straße, im Hintergrund verschwommene Häuser
Jon Fosse gewann 2023 den LiteraturnobelpreisBild: Jessica Gow/TT/AFP

Neben Norwegen, Ost- und Südosteuropa präsentieren rund 40 Nationen Literatur aus ihrer Heimat – die Messe spielt eine wichtige Rolle als Türöffnerin in den deutschsprachigen Buchmarkt. Ein Neuling ist auch dabei: die Philippinen. Die Inselgruppe ist mit 150 Titeln vor Ort, die sich mit Themen wie Klimawandel, Kolonialismus, Globalisierung und sozialer Ungleichheit auseinandersetzen.

Und natürlich hat die Buchmesse auch das junge Publikum im Blick. Unter anderem gibt es zahlreiche Veranstaltungen rund um den Hashtag #BookTok . Es gibt inzwischen gut 50 Millionen Videos, auf denen eine jugendliche Leserschaft ihre Lieblingsbücher präsentiert. Verlage sind längst auf den Trend eingestiegen, es gibt  #BookToK-Bestseller-Listen und #BookToK-Awards. In manchen Buchhandlungen hat man Büchertische und Regale speziell für die BookTok-Leserschaft eingerichtet. Der Markt ist in den letzten Jahren zu einem der bedeutendsten Phänomene der Buchbranche avanciert. Allein 2023 wurden über 12 Millionen #BookTok-Bücher verkauft, 56 Prozent mehr als im Vorjahr. Tendenz steigend.  

Die Befürchtung, junge Menschen seien nicht fürs Lesen zu begeistern, scheint entkräftet. Die Leipziger Buchmesse muss sich um ihre Zukunft also vielleicht keine Sorgen machen.

Das Interview mit Alhierd Bacharevič führte Jana Schwarz.

Suzanne Cords Weltenbummlerin mit einem Herz für die Kultur