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PolitikEuropa

Le-Pen-Urteil: Wie politisch ist die Justiz?

2. April 2025

Rechtspopulistische Regierungen weltweit haben das Urteil gegen die französische Politikerin Marine Le Pen als unverhältnismäßig und als Angriff auf die Demokratie kritisiert.

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Frankreich Boulogne-Billancourt 2025 | Marine Le Pen vor einem Interview bei TF1
Marine Le Pen will sich mit ihrem Ausschluss von der Präsidentschaftswahl nicht abfindenBild: Thomas Samson/REUTERS

Das Urteil gegen Marine Le Pen hat auch im Ausland großen Wirbel ausgelöst. Kritiker sagen, damit werde die Spitzenpolitikerin vom politischen Prozess ausgeschlossen und ihren Wählern letztlich das Stimmrecht genommen.

Le Pen spricht von einem politischen Urteil, das man eher in einem autoritären Regime erwarte. Sein Ziel sei einzig und allein, sie von der Präsidentschaft auszuschließen. Die nächste Präsidentschaftswahl ist spätestens 2027, und in Umfragen liegt Le Pen seit langem vorn. "Ich bin nicht bereit, mich so einfach einer Verweigerung der Demokratie zu unterwerfen", postete sie bei X. "Kein Richter kann beschließen, sich in eine so wichtige Wahl wie die Präsidentschaftswahl einzumischen."

Ein Pariser Gericht hatte die rechtsnationale Politikerin wegen der Veruntreuung öffentlicher EU-Gelder verurteilt und ihr unter anderem für fünf Jahre das passive Wahlrecht entzogen. Bleibt es dabei, kann sie bei der Präsidentschaftswahl nicht antreten.

Rechtswissenschaftlerin: "Das ist schlichte Rechtsanwendung"

Dem Vorwurf eines politischen Urteils trat einer der höchsten französischen Justizbeamten entgegen. "Es ist keine politische Entscheidung, sondern eine juristische, die von drei unabhängigen Richtern getroffen wurde", sagte Rémy Heitz, Staatsanwalt des Kassationsgerichts, dem Sender RTL. Er zeigte sich entsetzt darüber, dass die vorsitzende Richterin Todesdrohungen erhalten habe und nun Polizeischutz brauche.

Die Rechtswissenschaftlerin Charlotte Schmitt-Leonardy von der Universität Bielefeld hält den Vorwurf für "außerordentlich fernliegend", wie sie im DW-Gespräch sagt. Dass es in einem demokratischen Staat wie Frankreich gar keine politischen Urteile geben kann, "das, finde ich, sollte man aus einem Grundverständnis von Rechtsstaat heraus niemals einfach annehmen". Aber: "Nur weil ein Prozess gegen einen Politiker geführt wird und mit einer Sanktion endet, haben wir noch keinen politischen Prozess. Das ist dann schlichte Rechtsanwendung."

Marine Le Pen und Präsident Emmanuel Macron schütteln sich die Hand
Staatspräsident Emmanuel Macron, hier mit Marine Le Pen 2022, darf bei der nächsten Präsidentschaftswahl 2027 nicht wieder antreten, Le Pen bleibt wegen des Gerichtsurteils wahrscheinlich auch ausgeschlossenBild: LUDOVIC MARIN/AFP/Getty Images

Die sofortige Wirkung der Nichtwählbarkeit von Le Pen, die zu ihrem Ausschluss von der Präsidentschaftswahl führen würde, sei aus einer deutschen Perspektive zwar ungewöhnlich, so Schmitt-Leonardy. "Das macht dieses Urteil aber nicht zu einem Skandal, sondern die Rechtslage hinterfragungswürdig."

Selbst Le Pens politische Gegner haben Bauchschmerzen

Dass französische Politiker bei Gerichtsurteilen wegen Korruption und Untreue vorübergehend von der Wählbarkeit ausgeschlossen werden, ist in Frankreich eine gängige Strafe. Und ironischerweise hatte Marine Le Pen selbst vor Jahren ein hartes Vorgehen gegen korrupte Eliten gefordert.

Trotzdem ist die Härte des Urteils wegen Le Pens großer Beliebtheit brisant, und es wird die Frage der Verhältnismäßigkeit gestellt. Das tun selbst Politiker anderer Parteien in Frankreich, darunter Laurent Wauquiez von den gemäßigt rechten Republikanern und sogar Jean-Luc Mélenchon von der radikal linken Partei Aufsässiges Frankreich. Ihm zufolge sei es "Sache des Volkes", Politiker aus dem Amt zu entfernen.

Rechtspopulisten sehen Ausschluss vom demokratischen Prozess

Heftige Reaktionen gab es auch im Ausland. Regierungen und Parteien der extremen Rechten weltweit scheinen eine Verschwörung einer politisierten linken Justiz am Werk zu sehen.

"Ich glaube nicht, dass irgendjemand, dem die Demokratie am Herzen liegt, sich über ein Urteil freuen kann, das die Vorsitzende einer großen Partei trifft und Millionen Bürgern die Vertretung entzieht", sagte Italiens rechtsnationale Ministerpräsidentin Giorgia Meloni der Zeitung "Il Messaggero". Ungarns Regierungschef Viktor Orban solidarisierte sich auf X mit den Worten "Ich bin Marine".

Auch aus den USA kam von der Regierung Donald Trump Kritik. Außenamtssprecherin Tammy Bruce sagte, der Ausschluss von Menschen aus dem politischen Prozess sei "besonders besorgniserregend" gerade angesichts der "aggressiven und korrupten Justizverfolgung" gegen Präsident Donald Trump. Der nannte das Pariser Urteil "eine sehr große Sache" und meinte: "Das klingt sehr nach diesem Land".

Klassizistische Fasse in der Abendsonne
Wie politisch sind Gerichte? Supreme Court der USABild: Mark Alfred/ZUMA Press/picture alliance

Die Reaktionen aus den USA zeigen nach Meinung von Charlotte Schmitt-Leonardy aber etwas anderes: "Über die aus den USA kommende 'Sorge über den Ausschluss aus dem demokratischen Prozess' kann man sich angesichts des automatischen Verlusts des aktiven Wahlrechts bei Verurteilung zu einer Gefängnisstrafe nur wundern." Das betreffe erhebliche Teile der männlichen afroamerikanischen Bevölkerung, die man dauerhaft aus dem demokratischen Prozess ausschließe.

"Im Hinblick auf den Fall Le Pen zeigen diese Solidarisierungsbekundungen aber vor allem, wie normal die Dämonisierung schlichter Rechtsanwendung geworden ist. Derartige Statements aus dem rechten Lager der Republikaner, die bekanntlich seit vielen Jahren, teilweise erfolgreich, versucht haben, systematisch Posten in der Justiz nach politischen Kriterien zu besetzen, geben einem doch sehr zu denken." 

Ein AfD-Verbotsantrag wäre etwas anderes

In Deutschland gibt es immer wieder Vorstöße, die in Teilen rechtsextreme Partei Alternative für Deutschland (AfD) zu verbieten, die nach der jüngsten Bundestagswahl zweitstärkste Partei im Bundestag ist. Hier geht es allerdings nicht um Strafprozesse gegen Personen, sondern um die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Partei. Aber auch in diesem Fall sehen AfD-Politiker dies als Versuch anderer Parteien, die AfD mithilfe der Justiz als politischen Konkurrenten auszuschalten.

Menschenmenge vor dem Brandenburger Tor, dazu das Schild "AfD-Verbot jetzt!"
Anhänger der AfD glauben, durch einen Verbotsantrag solle die Partei als Konkurrent ausgeschaltet werdenBild: Liesa Johannssen/REUTERS

Sie sei ambivalent, sagt Charlotte Schmitt-Leonardy dazu. "Klar ist, dass das Märtyrernarrativ des Kaltstellens eines politischen Konkurrenten immer greifen und extreme Lager immer stärken kann. Andererseits kann uns das natürlich nicht von der Anwendung des Rechts abhalten."

Die komplexe Frage eines AfD-Verbotsverfahrens sei aber anders gelagert als der Fall Le Pen. "Im Hinblick auf Le Pen ist alles schlichter. Es geht nicht um die Frage des Ausschlusses aus dem demokratischen Prozess aufgrund von Verfassungsfeindlichkeit, sondern es geht um die nüchterne Anwendung von Strafrecht mit Konsequenzen für ihre politischen Ambitionen."

Christoph Hasselbach
Christoph Hasselbach Autor, Auslandskorrespondent und Kommentator für internationale Politik