Ulrich Blumenbach - deutscher Übersetzerstar
26. Februar 2014Der Schreibtisch von Ulrich Blumenbach steht ganz oben unterm Dach. Der Arbeitsplatz des Übersetzers wirkt aufgeräumt. Die zwölf Meter lange seitliche Wand nimmt zur Gänze ein Bücherregal ein. Beim Blick aus dem großen Fenster lässt sich ein Streifen Rhein erhaschen, auf der anderen Flussseite ragt das St. Albans-Tor empor, ein Überbleibsel der alten Baseler Stadtmauer. Der Liebe wegen ist Blumenbach von Berlin in die südlichere Stadt umgezogen. Seit zehn Jahren lebt er mit seiner Frau, einer Schweizerin, und den beiden Kindern in dem modernen Reihenhaus in Flussnähe, das ihm den einzigartigen Ausblick ermöglicht.
Arbeiten am liebsten allein
Eine Bürogemeinschaft käme für den großgewachsenen, sportlichen wirkenden Mann nicht infrage. "Ich muss mir beim Übersetzen manchmal Sachen vorsprechen, um herauszufinden, ob der Rhythmus stimmt, was andere Leute für neurotisch halten könnten", sagt er und lacht. Ein scheuer Einzelgänger ist Ulrich Blumenbach deswegen nicht, wohl aber einer der besten Übersetzer im Land, einer, den eine gewisse Besessenheit auszeichnet.
Sechs Jahre hat er in dem hellen, freundlichen Raum mit "Infinite Jest", dem Großroman des amerikanischen Kultautors David Foster Wallace, zugebracht, zuweilen einen ganzen Tag über einen der mit Fachvokabular gespickten Endlossätze gebrütet. Eine gigantische Anstrengung, vor allem aber eine große Lust. 2009 ist "Unendlicher Spaß" auf Deutsch erschienen, über 1500 Seiten dick.
Eine mühsame Arbeit
Blumenbach, der dem 2008 von eigener Hand gestorbenen Wallace nie begegnet ist, erinnert sich: "Es war unglaublich mühsam. Ich bin oft nicht so vorangekommen, wie gewünscht. Dem gegenüber stand ein Lustgefühl, wenn ich einen Satz geknackt hatte, mir eine Passage gelungen war." Es sei einfach beglückend, ein so gutes Buch zu übersetzen, sagt Blumenbach. Wallace habe einen riesigen Wortschatz: "Ich konnte beim Übersetzen so tief in den Kisten meiner Muttersprache wühlen wie wohl so bald nicht wieder. Dass Sprache so dicht, so sinnlich und schön sein kann, habe ich vorher nicht geglaubt."
Der 1964 in Hannover in eine bildungsbürgerliche Familie hineingeborene Ulrich Blumenbach, der über die Beschäftigung mit Joyce während des Studiums in Berlin zum Übersetzen kam, ist für die deutsche Fassung von "Unendlicher Spaß" gerühmt und mit Preisen überhäuft worden. Der Roman hat sein Leben verändert.
Spezialist für schwierige Bücher
"Ich bin jetzt ein sichtbarer Übersetzer. Das war ich vorher nicht oder zumindest nicht in dem Maße", sagt er. "Nicht nur, dass ich Interviews geben muss, mir werden auch andere Bücher angeboten als früher." Seit Blumenbach Reichtum wie Genauigkeit der Sprache des genialen Amerikaners derart eindrucksvoll auf Deutsch nachgebildet hat, gilt er als Spezialist für schwierige, hochliterarische Texte.
"Um einen Unterhaltungsroman muss ich mich jetzt aktiv bei Verlagen bewerben, weil in den meisten Lektoraten das Vorurteil herrscht, ich würde so etwas nicht machen wollen. Aber das ist Unsinn. Es wird mir einfach nicht angeboten." Nicht dass Blumenbach nach "Infinite Jest" die Anstrengung scheut, das Problem ist ein anderes: "Das Honorar für die anspruchsvollen Bücher hält nicht Schritt mit dem Schwierigkeitsgrad."
Mehr Geld bei hohen Auflagen
Die Übersetzung von "Der Garten der Dissidenten", des neuen Romans des Amerikaners Jonathan Lethem, der jetzt auf Deutsch erschienen ist und die Geschichte der jüdischen Linken in den USA vom Zweiten Weltkrieg bis in die heutige Zeit erzählt, hat ein halbes Jahr in Anspruch genommen. Auf rund 13.000 Euro summiert sich das feste Honorar. Sollte das Buch ein Verkaufserfolg werden, wird der Übersetzer zudem an den Erlösen beteiligt.
Ulrich Blumenbach hofft also auf viele Leser. Doch all diese Gedanken um Auflagen und Geld werden nebensächlich, sobald er sich auf einen Text einlässt. Für ihn ist es selbstverständlich, dass man sehr viel über ein Buch wissen muss, um es adäquat übersetzen zu können. Die größte Herausforderung bestand für Blumenbach - anders als bei der Beschäftigung mit Wallace -, nicht in der überkomplexen Sprache, sondern in einer umfangreichen Recherche.
Experte für Sport und Musik
"Er spickt seine Romane mit Populärkultur. Da musste ich oft erst mal rauskriegen, was überhaupt gemeint ist", sagt sein penibelster deutscher Leser. Ulrich Blumenbach ist so unter anderem zum Experten für Baseball und amerikanische Musik geworden. Dem deutschen Text kommt diese Arbeitshaltung zugute, problematisch ist sie jedoch hinsichtlich des finanziellen Ertrags. Seit der Reform des Urheberrechts 2002 streiten Verleger und Übersetzerverband um die Höhe der Honorare. Während die einen beteuern, nicht mehr zahlen zu können, beklagen die anderen den finanziellen Notstand.
Der Wahlschweizer hat sich notgedrungen längst mit besser bezahlter und zugleich weitaus weniger fordernder Arbeit beholfen: Noch bevor er sich regelmäßig ab neun Uhr auf Autoren wie Wallace oder Lethem einschwingt, übersetzt er Anlegerinformationen für eine Bank. "Das sind ganz kurze Texte, sehr standardisiert, in einem baukastenartigen Stil geschrieben", sagt Blumenbach mit wegwerfendem Gestus. Der Abstand zu dem Glücksempfinden, das die Beschäftigung mit Wallace hervorgerufen hat, ist enorm. Trotzdem bedauert Ulrich Blumenbach, dass die Zahl der Börsentexte zuletzt zurückgegangen ist, denn er braucht das zusätzlich verdiente Geld. "Im Moment habe ich wieder ein bisschen Zukunftsangst", sagt er ernst.
Zum weiterlesen: Jonathan Lethem: Der Garten der Dissidenten, aus dem amerikanischen Englisch von Ulrich Blumenbach, Tropen Verlag bei Klett-Cotta, Stuttgart 2014, 476 Seiten, 24,95, ISBN 978-3-608-50116-2.