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Kriegsberichterstattung: Die Suche nach der Wahrheit

17. Oktober 2001

Kriegsberichterstattung ist schwierig. Journalisten sind auf die Angaben der Militärs und Behörden angewiesen, deren Informationspolitik aber allzuoft eher einschränkt.

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Diese Fernsehbilder lassen Gewalt seltsam abstrakt erscheinen.Bild: AP

Als am 11. September die Flugzeuge ins World Trade Center rasten, war die Welt live dabei. Das hatten die Terroristen wohl auch so eingeplant. Die Öffentlichkeit bekam genau das zu sehen, was sie nach dem Willen der Täter sehen sollte.

Mit Beginn der Militärschläge gegen Afghanistan geht es weiter: Journalisten müssen aufpassen, dass ihre Berichterstattung nicht von den Konfliktparteien gesteuert wird. Richtig nah ran an die Schauplätze, kommt dieser Tage wohl kaum jemand. Die Journalisten sind auch in Pakistan wieder abhänig von den Informationen, die ihnen andere liefern.

Kriegsberichterstattung ist ein heikles Geschäft. Jede Seite gibt bekannt, was sie die Welt glauben machen will. Es mag die Wahrheit sein, oder nicht. Krieg wird oft nicht mehr nur mit Waffen, sondern auch mit Hilfe der Medien geführt. Militär und Politik sind sich der Macht der Bilder bewußt.

Oberstes Gebot für jeden Journalisten sollte es deshalb vor allem in Kriegszeiten sein, die Quelle der Information zu nennen. Wenn der arabische Sender Al Dschasira beispielsweise zerstörte Häuser in Kabul zeigt, kommen Zweifel auf, ob die Gebäude nicht schon vor den US-Angriffen in Trümmern lagen. Wenn das Pentagon über Erfolge berichtet, erfährt erstmal niemand etwas über Fehlschläge und Niederlagen, über Opferzahlen unter Zivilisten.

Rückblick

Die Kriege in Kosovo, Tschetschenien und im Golf beweisen, dass die Medien zum Arsenal der Militärs gehören.

Der Golfkrieg 1991 war auch ein Krieg der Bilder. Das, was die Zuschauer allabendlich zu sehen bekamen, war meistens durch die Militärzensur gefiltert: Die Bomben auf dem Bildschirm waren nur abstrakte Videoaufzeichnungen, die mehr an Computerspiele denn an reale Zerstörung erinnerten.

Vorgeblich todesmutige Reporter berichteten damals direkt aus dem Kriegsgebiet - und waren doch meist nur Handlanger der Militärpropaganda. Vom eigentlichen Schlachtfeld ferngehalten bekamen sie nur die Informationen, die das Pentagon freigab. Wir waren wie "Angestellte des Verteidigungsministeriums" resumierte einer der Berichterstatter später.

Auch der Kosovo-Krieg 1999 wurde mediengerecht verkauft. Immer freundlich, immer auskunftsbereit erklärte NATO-Sprecher Jamie Shea jeden Morgen das Kriegsgeschehen nach dem gleichen Muster: Grafiken, Videoaufzeichnungen - viel Show mit wenig Informationsgehalt. Unter den Tisch fiel meist das, was daneben ging - nämlich die Fehlschläge der NATO, wie zum Beispiel der Angriff auf einen Flüchtlingstrek im Kosovo. Im NATO-Jargon hiess das Kollateralschaden - es wurde später zum Unwort des Jahres erklärt.

Auch bei Rußlands Offensive in Tschetschenien blieb die Wahrheit oft auf der Strecke. Rußland war nicht an einer differenzierten Sicht der Dinge interessiert. Die Leiden der Zivilbevölkerung und die Misshandlungen durch das Militär wurden höchstens in westlichen Medien gezeigt.

Afghanistan 2001

Die Informationsmaschinerie der US-Regierung kontrolliert genauestens die Nachrichten über den Verlauf der Angriffe. Wie einst aus dem Irak flackern jetzt aus Afghanistan amtlich freigegebene Satellitenfotos und Aufnahmen mit Nachtsicht-Geräten über die Bildschirme, deren Informationswert gleich Null ist. Wie der Boden eines Aquariums sehe es aus, mäkelte ein Reporter der TV-Gesellschaft Fox über den grün schimmernden Brei.

"Geheim selbst bei Erfolg" solle der Krieg geführt werden,
kündigte Präsident Bush an. "Jeder, der vertrauliche Informationen enthüllt, könnte buchstäblich Menschenleben gefährden."

Verteidigungsminister Donald Rumsfeld bemühte Winston Churchill als Kronzeugen für das Argument, dass in Kriegszeiten Informationen als Waffe eingesetzt werden könnten. Rumsfeld zitierte den ehemaligen britischen Premier mit den berühmten Worten, dass "in Kriegszeiten die Wahrheit so kostbar ist, dass sie stets von einer Leibwache aus Lügen beschützt werden sollte". Er fügte dann allerdings flugs hinzu, er selbst habe nicht die Absicht, zu lügen.

Da sich nur wenige US-Journalisten vor Ort in Afghanistan
aufhalten und andere wenige in Pakistan oder Usbekistan, sind die dürren Zahlen des Pentagons über Angriffsziele und Zahl der angreifenden Flugzeuge oder Marschflugkörper so gut wie die einzige Information.

Wäre nicht der arabische Sender Al Dschasira, gäbe es keinen direkten Draht nach Kabul und zu dem von den USA als Topterroristen gesuchten Osama bin Laden. Über diesen Kanal kamen die einzigen Video-Erklärungen Bin Ladens und seines Sprechers.

Umgehend wurde die US-Regierung tätig, um diese Verbindung für den Gegner zu entwerten. Sie appellierte an die Fernsehgesellschaften des Landes, solche Videos nicht mehr zu senden. Außenministerium und Weißes Haus äußerten die Befürchtung, die von der Terror-Organisation
El Kaida produzierten Videos könnten verschlüsselte Nachrichten und Aktionsaufrufe an Terroristen-Zellen außerhalb Afghanistans enthalten. "Bestenfalls" enthielten die Aufzeichnungen Propaganda. Der Nachrichtensender CNN versprach daraufhin, sie nicht mehr live und damit unredigiert auszustrahlen.

Regierung contra Medien

Verteidigungsminister Rumsfeld hat sich bisher die neun Prinzipien noch nicht zu Eigen gemacht, die nach dem Golfkrieg zwischen Pentagon und Presse für die Kriegsberichterstattung vereinbart worden waren. Sie sehen grundsätzlich eine "offene und unabhängige Berichterstattung" und "Zugang zu allen bedeutenden Militäreinheiten" vor. Sie kamen nach den frustrierenden Erfahrungen aus dem Golfkrieg zu Stande.

Seinerzeit hatte im Pentagon Richard Cheney das Sagen, der heutige Vizepräsident. Er würde alles wieder so machen, sagte er nach dem Krieg zu den Beschwerden. Kriegsführung und Aktualitätsbedürfnis der Medien seien nun einmal nicht unter einen Hut zu bringen.

Diese Auffassung herrscht im US-Militär spätestens seit dem Vietnamkrieg. Damals hatten Journalisten mit Enthüllungsgeschichten und blutvollen Berichten das offizielle Kriegsbild korrigiert und mit dafür gesorgt, dass die Kriegsunterstützung der Bevölkerungsmehrheit in Opposition
umschlug.

Mit der Argumentation, dass es sich um einen völlig neuen Krieg gegen einen völlig neuen Gegner handele, könnte der Zensor diesmal zusätzlich an Statur gewinnen.

Marlin Fitzwater, ein früherer Sprecher des Weißen Hauses unter dem Vater von Präsident Bush, meinte: "Ich glaube, dieser Konflikt erfordert eine zumindest seit dem Zweiten Weltkrieg nicht gesehene Aufhebung von Freiheitsrechten."

Anders als die Kongress-Politiker, die sich teils lautstark über
die Informationssperre beschwerten und einen Kompromiss durchsetzten, hat die "vierte Gewalt" der Presse keine besonders guten Karten. Denn ihr Publikum ist meist der Meinung der Regierung, dass aus Gründen der Nationalen Sicherheit die Informationsfreiheit zurückstehen sollte.