Kriegsangst in Tigray: Welche Rolle spielt Eritrea?
11. Juli 2025"Wir können gerade gar nichts tun, geschweige denn vorausplanen. Schon morgen könnte ein Krieg ausbrechen." So wie diese Frau beschreiben viele Einwohner von Mekelle, der Hauptstadt der äthiopischen Provinz Tigray, die Stimmung gegenüber der DW. "Das Leben ist auch sehr teuer geworden. Es muss eine friedliche Lösung geben, damit wir mit der Arbeit und unseren Leben weitermachen können."
Die Kriegsangst in Tigray steigt seit Monaten - es gibt Berichte über Truppenbewegungen und Scharmützel mit wechselnden Beteiligten. Die Erinnerungen sind noch frisch an den zweijährigen Krieg, der im November 2022 mit dem Waffenstillstandsvertrag von Pretoria beendet schien. Je nach Schätzungen starben zwischen 162.000 und 600.000 Menschen in dem äußerst brutalen Machtkampf zwischen der lokalen Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF) und den letztlich siegreichen Streitkräften der äthiopischen Zentralregierung.
Auf der Seite von Ministerpräsident Abiy Ahmed kämpften damals auch Soldaten aus dem nördlichen Nachbarland Eritrea. Kritiker monierten schon damals, dass Eritrea in Pretoria nicht am Verhandlungstisch saß - denn für einen dauerhaften Frieden hätte auch der dortige Langzeitherrscher Isaias Afewerki einbezogen werden müssen.
Tatsächlich ist nun Eritrea einer von mehreren Gründen für die neuen Kriegssorgen.
Interne Spaltungen in Tigray
Ein anderer ist die innenpolitische Lage in Tigray: Nach Machtkämpfen ist die TPLF gespalten - und diesen Keil könnte sich Eritrea zunutze machen.
Nach der Spaltung wurde der bisherige Chef der im Krieg unterlegenen paramilitärischen Tigray Defense Forces (TDF), General Tadesse Werede, Chef der Interimsregierung in Mekelle. Er rief zur Vorsicht vor falschen Analysen auf - und gelobte: "Es wird keinen Krieg und keine Provokation von Seiten Tigrays geben."
Auf der anderen Seite des Zerwürfnisses innerhalb der TPLF steht ihr Vorsitzender Debretsion Gebremichael. Dieser Fraktion wird Zusammenarbeit mit Eritrea vorgeworfen, was sie zurückweist. Debretsion fordert eine politische Lösung auf Basis des Abkommens von Pretoria: "Wir rufen die internationale Gemeinschaft auf, ihren Beitrag zu leisten, die äthiopische Regierung und ihre Agenten und Verbündeten von Kriegsvorbereitungen abzuhalten."
Trotz dieser Beteuerungen wächst in der Zivilbevölkerung die Angst, einmal mehr zwischen die Fronten zu geraten. "Die Leute heben ihr Geld von den Banken ab und kaufen Öl und Teff (eine lokal gebräuchliche Getreide-Art, Anmerkung der Redaktion)", sagt ein Bewohner von Mekelle der DW. Er forderte beide Fraktionen in Tigray auf, sie sollten "zurücktreten oder ihre Macht dafür einsetzen, gemeinsam mit der Zentralregierung alle Probleme zu lösen und einen Krieg zu verhindern".
Eritrea hat ein Interesse an der Destabilisierung Äthiopiens
Auseinandersetzungen auf Stellvertreterebene seien wahrscheinlicher als ein formaler, zwischenstaatlicher Krieg, glaubt Gerrit Kurtz, Experte für das Horn von Afrika bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.
Eritrea habe ein Interesse daran, einzelne bewaffnete Gruppen im großen Nachbarland zu unterstützen, sagt Kurtz im DW-Interview: "Äthiopien ist dann geschwächt, wenn es fragmentiert ist und es überall diese internen Konflikte gibt, zu denen Eritrea auch beiträgt. Deswegen sind die unterschiedlichen innenpolitischen Konflikte, die wir seit mehreren Jahren erleben und die teilweise auch auf eritreische Unterstützung treffen, durchaus im Interesse von Eritrea."
Beobachtern zufolge bildet die eritreische Armee bewaffnete Gruppen im Nachbarland aus - zum Beispiel mutmaßlich die Fano-Miliz in der Provinz Amhara. Fano-Kämpfer haben sich im März eine zweitägige Schlacht mit äthiopischen Soldaten geliefert. Der Darstellung aus Addis Abeba zufolge wurden dabei mehr als 300 Milizionäre getötet.
Neue Betätigungsfelder - und neue Waffen für Eritrea
Eritrea blickt auf eine wechselvolle Geschichte mit seinem Nachbarn zurück: Anstatt nach dem Rückzug der italienischen Kolonialherren unabhängig zu werden, wurde es 1952 zunächst in einer Föderation mit Äthiopien vereinigt und dann gegen seinen Willen vollständig integriert. Nach Unabhängigkeitskämpfen spaltete es sich 1993 endgültig ab - wodurch Äthiopien über Nacht seinen Seezugang verlor. Das eigenständige Eritrea entwickelte sich unter Afewerki schnell in Richtung einer repressiven und international isolierten Diktatur. 2010 verhängten die Vereinten Nationen ein Waffen-Embargo gegen das Regime.
Die US-Organisation The Sentry, die regelmäßig zu Kriegsverbrechen recherchiert, hat in einem neuen Bericht nachgezeichnet, wie Eritrea in den letzten Jahren seine Position gestärkt hat. Gerade durch seine Verstrickungen in Tigray. "Man sieht zwei klare Muster", sagt Charles Cater, Investigativ-Chef von The Sentry im DW-Interview: "Einerseits die systematischen Plünderungen in Tigray während des Konflikts, wo ganze Fabriken abgebaut und über die Grenze gebracht wurden. Alles von Wert wurde aus Tigray nach Eritrea gebracht." Auf der anderen Seite habe Eritrea auch illegalen Handel betrieben - mit unrechtmäßig in Tigray abgebautem Gold, Sesam, Kulturgütern, aber auch im Bereich Menschenhandel.
Die Devisen aus diesen Quellen dürften Eritrea für seine Ziele in Äthiopien durchaus gelegen kommen.
Ebenso wichtig dürfte in der Rückschau das kurze Tauwetter zwischen beiden Regierungen 2018 sein: Der damals frisch ins Amt gekommene Abiy erntete für den formellen Frieden mit Eritrea den Friedensnobelpreis. Den wollte man Afewerki damals nicht zugestehen - wohl aber die Aufhebung des UN-Waffenembargos. The Sentry zeichnet auch nach, wie Asmara in der Folge Waffen unter anderem aus Russland kaufte.
Der eritreische Informationsminister Yemane Ghebremeskel kritisierte die Darstellung in dem Bericht als "fabriziertes Narrativ", mit dem Eritrea als "Sündenbock" dargestellt werden sollte.
Misstrauen gegenüber Abiy Ahmed
Eritreas Armee soll ihre Stellungen im Grenzgebiet zu Tigray jüngst verstärkt haben. Laut "The Sentry" sind die Streitkräfte auch bis zu zehn Kilometer über die Grenze hinaus präsent; einen neu verhandelten Grenzverlauf hatten beide Seiten im Zuge der Tauwetter-Periode ein paar Jahre zuvor akzeptiert.
Der Abzug nicht-föderaler Truppen aus Tigray - also auch eritreischer -, war eigentlich Teil des Pretoria-Abkommens. Hier muss die äthiopische Regierung politische Lösungen suchen - genau wie im Umgang mit der TPLF, meint SWP-Wissenschaftler Gerrit Kurtz: "Abiy hat im Prinzip ein Interesse, alle möglichen innenpolitischen Gegner so schwach zu halten, dass sie ihm nicht gefährlich werden können und dass sie sich nicht gegen ihn verbünden. Deshalb muss er sich teilweise mit einigen versuchen zu verbünden und andere zu bekämpfen. Aber das ist eben auch ein sehr aufwändiges Spiel."
Für Abiy stehen im kommenden Jahr Wahlen an. Damit ist das latente Risiko verbunden, dass die Lage in Tigray Teil eines politischen Kalküls wird - so wie die seit 2023 immer wieder erhobenen Forderungen Abiys nach einem eigenen Zugang zu den Weltmeeren. Manche Beobachter befürchteten zeitweilig einen Einmarsch in Eritrea, mit Somalia führte die Hafen-Frage bereits zu massivem Streit. Immerhin: Zuletzt beteuerte Abiy mehrfach, eine friedliche Lösung anzustreben.
Mitarbeit: Azeb-Tadesse Hahn, Eshete Bekele, Million Haileselassie