Kosovo-Ombudsmann Nowicki beschreibt in der albanisch-sprachigen "KOHA DITORE" die Lage der Minderheiten
20. Oktober 2004Pristina, 15.10.2004, KOHA DITORE, alban.
Im März hat sich gezeigt, wie einfach es war, die relative "Ruhe" zu zerstören, die auf der Oberfläche der Gesellschaft Kosovas vorherrscht.
Während Sie dies lesen, haben Sie wahrscheinlich einen "normalen" Arbeitstag, Sie ziehen sich gerade an, trinken Kaffee oder Tee oder machen die Kinder für die Schule fertig. Unterschwellig machen Sie sich vielleicht Sorgen, Sie könnten spät dran sein. Vielleicht brauchen Sie Hilfe beim Bezahlen Ihrer Rechnungen oder im Haushalt. Dann gibt es unter Ihnen Menschen, die arbeitslos, frustriert oder besorgt sind, die nach Arbeit oder Aufträgen in Zeitungen oder durch Kontakte mit Freunden suchen.
Für nicht-albanische Gemeinschaften in Kosova, besonders die Kosova-Serben, löst der normale Alltag viel direktere Ängste aus, Sorgen und Befürchtungen über die Sicherheit.
An einem gewöhnlichen Tag bedeutet das Vorbereiten der Kinder auf die Schule, auf eine Eskorte zurückzugreifen, manchmal durch das Kosova Schutzkorps, die KFOR oder die Ortspolizei. Es ist noch nicht lange her, da war es normal, serbische Kinder lachend und sorglos zur Schule gehen zu sehen, während ein gepanzertes Fahrzeug nur ein paar Meter dahinter folgte.
Zur Arbeit gehen heißt auch nicht viel. Zu wenige Nicht-Albaner sind in der wahren Bedeutung des Wortes beschäftigt. Diejenigen, die beschäftigt sind, sind eingeschränkt durch das, was sie außerhalb ihrer dörflichen Enklaven tun können, vorausgesetzt eine Eskorte steht zur Verfügung. Andere haben Ackerland, um das sie sich unter den wachsamen Augen der KFOR-Truppen kümmern.
Eine militärische Präsenz steht nicht immer bereit, was Familien dazu zwingt, darauf zu verzichten, ihre Kinder zur Schule zu schicken, wenn sie außerhalb der dörflichen Enklave liegt. Ohne Schutz neigen serbische Bauern dazu, ihrem Land fern zu bleiben, von dem viel bereits aufgrund von Sicherheitsbedenken aufgegeben wurde. In einigen Fällen wird das Land von bewaffneten albanischen Bauern aus der Nachbarschaft bearbeitet. Wir sprechen über das Jahr 2004, nicht 1999.
Ethnische Spannungen schaffen ein sehr reales Sicherheitsproblem in Kosova, das sich für die verwundbaren Nicht-Albaner durch den empfundenen Mangel an Sicherheit verschärft. In den letzten fünf Jahren verließen sich die Kosova-Serben und die anderen Nicht-Albaner in starkem Maße auf den militärischen Schutz durch die KFOR, um sich sicher zu fühlen. Es ist entscheidend, sich darüber klar zu werden, warum und wie dieser Punkt erreicht wurde. Es ist von besonderer Bedeutung, wenn man daran denkt, dass die Friedenstruppen nur für einen begrenzten Zeitraum in der Provinz bleiben werden. Was dann?
Das Gefühl der Unsicherheit unter den Kosova-Serben und den anderen Nicht-Albanern basiert auf den schlimmen Gewalterfahrungen. Wie sicher können sich Menschen fühlen in den dörflichen Enklaven, wenn sie in den letzten fünf Jahren eine Reihe von Gewalttaten erlebt haben? Zusätzlich zu willkürlichen Morden gab es Überfälle, Bombenanschläge, Diebstähle und Fälle von Brandstiftung und Steinigung. Selten wurden die Täter ermittelt oder vor Gericht gestellt, was zu dem Eindruck beiträgt, dass diese Taten straflos begangen wurden.
Einer meiner serbischen Übersetzer, der nicht weit von Prishtina entfernt lebt, wurde in den letzten Jahren fast ein Dutzend Mal ausgeraubt. Er war ein wohlhabender Bauer, aber jetzt ist seine gesamte Ausrüstung, sein Maschinenpark und sein Vieh bis zur letzten Kuh gestohlen worden. Er zeigte den Diebstahl bei der Polizei an, aber der gelang es nicht einen Täter zu ermitteln. Wiederholtes Versagen wie in diesem Fall durch die Sicherheitskräfte hat jede Perspektive der Sicherheit und des Vertrauens in diesem Segment der Gesellschaft weiter untergraben.
Während vieler Diskussionen über die Sicherheit in Kosova habe ich zu oft, sogar von Politikern, gehört, dass Sicherheit die Verantwortung der KFOR und der Polizeikräfte der Mission der Vereinten Nationen in Kosova oder UNMIK, wie sie genannt wird, sei. Natürlich spielen die Behörden von KFOR und UNMIK eine bedeutende Rolle in dieser Hinsicht, aber echte Sicherheit kann nur von den Nachbarn und den umliegenden Gemeinden geschaffen werden.
Ein Appell der bedrängten Ashkali aus Vushtrri (serb.: Vucitrn – MD) hob vor kurzem diesen Punkt hervor. Nachdem sie im Jahre 2002 nach einem Aufruf der UNMIK zurückgekehrt waren, wurden sie im März erneut aus ihren Häusern vertrieben und verloren erneut alle materiellen Besitztümer. Seit sechs Monaten leben diese Familien zu ihrem eigenen Schutz in den engen Grenzen eines französischen Militärstützpunkts.
Nach gescheiterten Versuchen einer Neuansiedlung außerhalb Kosovas appellierten mehrere dieser Familien an die Gemeindeführer Kosovas und baten nicht etwa um zusätzliche Sicherheitsvorkehrungen, sondern einfach um Akzeptanz durch ihre Nachbarn. Sie haben Recht. Ihre Nachbarn können die einzigen wahren Wächter ihrer Sicherheit sein.
Der Aufbau eines Sicherheitsgefühls ist ein langwieriger Prozess. Die gewaltsamen Vorfälle vom März haben Maßnahmen zum Aufbau von Vertrauen erheblich (wenn nicht gar irreparabel) beschädigt. Die jüngste Welle der Gewalt hat traumatische emotionale Spuren hinterlassen und die nicht-albanischen Gemeinschaften schmerzhaft an 1999 erinnert, als gewalttätige Racheaktionen gegen Serben und Roma ihren Höhepunkt erreichten. Mehrmals haben Opfer der März-Gewalt mir gegenüber erklärt, sie würden sich in ihren frisch wiederaufgebauten Häusern nicht sicher fühlen.
Während eines Besuchs in Kosova vor kurzem erklärte der Hohe Vertreter der EU, Javier Solana: "Schulen und Häuser sind wiederaufgebaut, aber ich möchte Menschen zurückkehren und dort leben sehen. Wenn in diesen Häusern keine Menschen leben, dann bleibt die Arbeit unvollendet. "Diese ‚unvollendete Arbeit‘ hat direkt mit dem Sicherheitsempfinden zu tun. Sie bedeutet auch zusätzliche Anstrengungen, um dieses Empfinden zu ändern. Dies ist ein langer, komplizierter und vielschichtiger Prozess.
Die März-Ereignisse haben gezeigt, dass die Gewalt in Kosova sich jederzeit wiederholen kann. Gewalttaten auf niedrigem Niveau und Angriffe sind an verschiedenen Orten unvermindert weiter gegangen, obgleich die KFOR-Truppen die Sicherheitslage als "relativ ruhig" bezeichnet und ihre Truppenpräsenz zugunsten anderer globaler Prioritäten heruntergeschraubt haben.
In der abschließenden Analyse hat der März gezeigt, wie einfach es war, die relative "Ruhe" zu zerstören, die auf der Oberfläche der kosovarischen Gesellschaft vorherrscht. Aus einer Nach-März-Perspektive können wir erkennen, dass sie sich für viele der internationalen Mitwirkenden als trügerisch erwiesen hat. (MK)