Korruptions-Prozess: Le Pen-Szenario auch in Tschechien?
7. April 2025Bereits seit rund zehn Jahren bewegt der Fall Capi hnizdo (Storchennest) die Tschechische Republik. Wenige Monate vor den Parlamentswahlen im kommenden September geht der Fall um mutmaßlich missbräuchliche Verwendung von EU-Zuschüssen nun in seine möglicherweise letzte Runde. Voraussichtlich im Juni wird der Oberste Gerichtshof der Tschechischen Republik über die Schuld oder Unschuld von Oppositionsführer Andrej Babis und seiner Mitangeklagten, der Europaabgeordneten Jana Nagyova, entscheiden.
Vor wenigen Tagen hat das Europäische Parlament Nagyovas Immunität aufgehoben und damit den Weg für die Fortsetzung des Prozesses freigemacht. Nur zwei Tage nach der Aufhebung der Immunität nahm das Gericht die unterbrochenen Verhandlungen wieder auf.
Der Fall zeigt viele Ähnlichkeiten mit dem Prozess gegen Marine Le Pen in Frankreich. Die Spitzenpolitikerin des rechtspopulistischen Rassemblement National wurde am 31.03.2025 wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder des EU-Parlaments zu vier Jahren Haft und dem Entzug des passiven Wahlrechts für fünf Jahre verurteilt.
Auch das tschechische Gericht könnte gegen Andrej Babis im Fall seiner Verurteilung ein politisches Betätigungsverbot verhängen. Damit wäre seine Hoffnung, nach vier Jahren in der Opposition wieder an die Macht zurückzukehren, zunichte gemacht.
Milliardär, Oligarch, Spitzenpolitiker
Der im slowakischen Bratislava geborene Andrej Babis ist Multimilliardär und gilt als zweitreichster Mann Tschechiens. Er ist Gründer der Holdinggesellschaft Agrofert, zu der Firmen im Agrar-, Lebensmittel- und Chemiebereich gehören. Seit 2011 steht er an der Spitze der ANO-Bewegung (Aktion unzufriedener Bürger), mit der er 2017 die Parlamentswahl gewann und Regierungschef wurde. Die Wahl 2021 verlor er jedoch und musste in die Opposition gehen. Im Januar 2023 trat er als Kandidat zur Präsidentschaftswahl an, unterlag jedoch seinem Rivalen, dem populären Ex-NATO-General Petr Pavel.
In dem Fall, der vor dem Obersten Tschechischen Gericht verhandelt wird, geht es um das etwa dreißig Kilometer von Prag entfernte Wellness-Anwesen Capi hnizdo, das Babis als repräsentative Residenz dient. Es wurde 2008 formell aus dem Agrofert-Konzern ausgegliedert, um in den Genuss von EU-Subventionen für kleine Unternehmen zu kommen. Jahre später wurde es dann wieder in den Konzern eingegliedert. Das Storchennest erhielt etwa zwei Millionen Euro Unterstützung aus Brüssel. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft handelt es sich um einen Subventionsbetrug.
Freispruch und neuer Prozess
Am 9.01.2023 wurde Babis vor dem Stadtgericht von Prag freigesprochen, doch schon im November des gleichen Jahres wurde das Urteil aufgehoben und der Fall zur Neuverhandlung an das Oberste Gericht verwiesen. Neben Babis wurde auch seine ehemalige Mitarbeiterin Jana Nagyova angeklagt. Sie hatte den Subventionsantrag für das Storchennest eingereicht. Durch ihren Einzug ins Europaparlament erhielt sie jedoch parlamentarische Immunität, und so musste der Prozess zunächst unterbrochen werden.
Nach dem Strafgesetzbuch drohen Babis und Nagyova bis zu 10 Jahre Haft. Außerdem kann ein Verbot der politischen Tätigkeit verhängt werden, so wie im Fall des wegen Korruption verurteilten ehemaligen Gesundheitsministers David Rath von den Sozialdemokraten. Er wurde im Jahr 2022 zu einer siebenjährigen Haftstrafe und einem achtjährigen Berufsverbot verurteilt.
Politisches Betätigungsverbot?
Der Politikwissenschaftler Stanislav Balik von der Masaryk-Universität in Brünn bezweifelt jedoch, ob das Gericht auch im Fall Babis so verfahren wird. "Im tschechischen Recht haben wir zwar die Möglichkeit, öffentliche Tätigkeiten zu verbieten, aber die Gerichte treffen nur sehr selten solche Entscheidungen", sagt er der DW. "In Frankreich ist das anders. Dort wurde zum Beispiel kürzlich ein ehemaliger Premierminister verurteilt, und auch Bürgermeister und andere Politiker werden häufig vor Gericht gestellt. Die Urteile beinhalten in der Regel ein Verbot der politischen Tätigkeit."
In der Tschechischen Republik scheue man vor einem Verbot politischer Betätigung meistens zurück. Das liege an den Erfahrungen mit dem kommunistischen Regime der Vergangenheit, das diese Strafe missbräuchlich verhängt habe, um Oppositionelle mundtot zu machen und aus der Politik zu verbannen.
Deutlicher Vorsprung in den Umfragen
Es ist auch fraglich, wie eine Verurteilung von Babis und Nagyova auf die Anhänger von ANO wirken würden. Aktuelle Umfragen sehen die rechtspopulistische Partei, die im Europaparlament Mitglied der rechtsextremen Fraktion "Patrioten für Europa" ist, bei mehr als 30 Prozent Zustimmung. Damit liegt sie zehn Prozentpunkte vor der Mitte-Rechts-Dreierkoalition des tschechischen Premierministers Petr Fiala. Dies liege auch an der langen Dauer der Strafverfolgung im Fall Capi hnizdo von 2008 bis heute, so Balik. Für Anhänger und Gegner des Oligarchen sei der Fall bereits in Vergessenheit geraten.
Sollte Babis im September also trotz seiner Verwicklung in Korruption und Strafverfolgung die Wahl gewinnen, wird Präsident Petr Pavel ihn mit der Regierungsbildung beauftragen.
In einem Interview mit der Nachrichtenwebseite Seznam.cz sagte das Staatsoberhaupt: "Wenn jemand nicht nur die Wahlen gewinnt, sondern auch in der Lage ist, eindeutig die Unterstützung im Parlament zu gewinnen, dann gibt es keinen Grund, ihn nicht mit der Regierungsbildung zu beauftragen."