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Korruptions-Prozess: Le Pen-Szenario auch in Tschechien?

Lubos Palata (aus Prag)
7. April 2025

Der tschechische Oppositionspolitiker Andrej Babis will im Herbst zurück an die Macht. Doch ihm droht eine Verurteilung und - ähnlich wie der französischen Politikerin Marine Le Pen - ein politisches Betätigungsverbot.

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Ein Mann und eine Frau stehen nebeneinander. Der Mann im Bildhintergrund (Andrej Babis) ist nur verschwommen zu sehen, die blonde Frau im Bildvordergrund (Jana Nagyova) ist deutlich zu erkennen
Andrej Babis und Jana Nagyova wurden vom Stadtgericht von Prag zunächst freigesprochen, doch das Urteil wurde später wieder aufgehobenBild: Roman Vondrous/CTK Photo/IMAGO

Bereits seit rund zehn Jahren bewegt der Fall Capi hnizdo (Storchennest) die Tschechische Republik. Wenige Monate vor den Parlamentswahlen im kommenden September geht der Fall um mutmaßlich missbräuchliche Verwendung von EU-Zuschüssen nun in seine möglicherweise letzte Runde. Voraussichtlich im Juni wird der Oberste Gerichtshof der Tschechischen Republik über die Schuld oder Unschuld von Oppositionsführer Andrej Babis und seiner Mitangeklagten, der Europaabgeordneten Jana Nagyova, entscheiden.

Vor wenigen Tagen hat das Europäische Parlament Nagyovas Immunität aufgehoben und damit den Weg für die Fortsetzung des Prozesses freigemacht. Nur zwei Tage nach der Aufhebung der Immunität nahm das Gericht die unterbrochenen Verhandlungen wieder auf.

Der Fall zeigt viele Ähnlichkeiten mit dem Prozess gegen Marine Le Pen in Frankreich. Die Spitzenpolitikerin des rechtspopulistischen Rassemblement National wurde am 31.03.2025 wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder des EU-Parlaments zu vier Jahren Haft und dem Entzug des passiven Wahlrechts für fünf Jahre verurteilt.

Eine blonde Frau (Marine Le Pen) eilt mit verkniffenem Gesicht aus einem Saal. Neben der Tür steht auf einem Schild in französischer Sprache: "Eintritt verboten. Anwälte und zivile Partei"
Marine Le Pen verlässt am 31.03.2025 vorzeitig den Gerichtssaal in ParisBild: Stéphane Geufroi/OUEST FRANCE/MAXPPP/IMAGO

Auch das tschechische Gericht könnte gegen Andrej Babis im Fall seiner Verurteilung ein politisches Betätigungsverbot verhängen. Damit wäre seine Hoffnung, nach vier Jahren in der Opposition wieder an die Macht zurückzukehren, zunichte gemacht. 

Milliardär, Oligarch, Spitzenpolitiker

Der im slowakischen Bratislava geborene Andrej Babis ist Multimilliardär und gilt als zweitreichster Mann Tschechiens. Er ist Gründer der Holdinggesellschaft Agrofert, zu der Firmen im Agrar-, Lebensmittel- und Chemiebereich gehören. Seit 2011 steht er an der Spitze der ANO-Bewegung (Aktion unzufriedener Bürger), mit der er  2017 die Parlamentswahl gewann und Regierungschef wurde. Die Wahl 2021 verlor er jedoch und musste in die Opposition gehen. Im Januar 2023 trat er als Kandidat zur Präsidentschaftswahl an, unterlag jedoch seinem Rivalen, dem populären Ex-NATO-General Petr Pavel.

Ein Holzsteg über einen See führt geradewegs auf eine Halle zu, die mit Holzstämmen verkleidet ist, die sie wie ein gigantisches Storchennest aussehen lässt
Die Reithalle des Luxusresorts Storchennest, die dem Anwesen ihren Namen gabBild: Dreamstime/IMAGO

In dem Fall, der vor dem Obersten Tschechischen Gericht verhandelt wird, geht es um das etwa dreißig Kilometer von Prag entfernte Wellness-Anwesen Capi hnizdo, das Babis als repräsentative Residenz dient. Es wurde 2008 formell aus dem Agrofert-Konzern ausgegliedert, um in den Genuss von EU-Subventionen für kleine Unternehmen zu kommen. Jahre später wurde es dann wieder in den Konzern eingegliedert. Das Storchennest erhielt etwa zwei Millionen Euro Unterstützung aus Brüssel. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft handelt es sich um einen Subventionsbetrug.

Freispruch und neuer Prozess

Am 9.01.2023 wurde Babis vor dem Stadtgericht von Prag freigesprochen, doch schon im November des gleichen Jahres wurde das Urteil aufgehoben und der Fall zur Neuverhandlung an das Oberste Gericht verwiesen. Neben Babis wurde auch seine ehemalige Mitarbeiterin Jana Nagyova angeklagt. Sie hatte den Subventionsantrag für das Storchennest eingereicht. Durch ihren Einzug ins Europaparlament erhielt sie jedoch parlamentarische Immunität, und so musste der Prozess zunächst unterbrochen werden.

Ein Mann in dunklem Anzug und mit tschechischer Flagge am Revers
Im Jahr 2023 trat Andrej Babis als Präsidentschaftskandidat an, unterlag jedoch seinem Rivalen Petr PavelBild: Lukas Kabon/AA/picture alliance

Nach dem Strafgesetzbuch drohen Babis und Nagyova bis zu 10 Jahre Haft. Außerdem kann ein Verbot der politischen Tätigkeit verhängt werden, so wie im Fall des wegen Korruption verurteilten ehemaligen Gesundheitsministers David Rath von den Sozialdemokraten. Er wurde im Jahr 2022 zu einer siebenjährigen Haftstrafe und einem achtjährigen Berufsverbot verurteilt.

Politisches Betätigungsverbot?

Der Politikwissenschaftler Stanislav Balik von der Masaryk-Universität in Brünn bezweifelt jedoch, ob das Gericht auch im Fall Babis so verfahren wird. "Im tschechischen Recht haben wir zwar die Möglichkeit, öffentliche Tätigkeiten zu verbieten, aber die Gerichte treffen nur sehr selten solche Entscheidungen", sagt er der DW. "In Frankreich ist das anders. Dort wurde zum Beispiel kürzlich ein ehemaliger Premierminister verurteilt, und auch Bürgermeister und andere Politiker werden häufig vor Gericht gestellt. Die Urteile beinhalten in der Regel ein Verbot der politischen Tätigkeit."

Sechs Männer und vier Frauen stehen vor einem Plakat der tschechischen ANO-Partei. In der Mitte an einem Rednerpult der Parteivorsitzende Andrej Babis
Der ANO-Vorsitzende Andrej Babis und die EU-Kandidaten seiner Partei nach dem Einzug ins Europäische ParlamentBild: Michaela Rihova/CTK Photo/IMAGO

In der Tschechischen Republik scheue man vor einem Verbot politischer Betätigung meistens zurück. Das liege an den Erfahrungen mit dem kommunistischen Regime der Vergangenheit, das diese Strafe missbräuchlich verhängt habe, um Oppositionelle mundtot zu machen und aus der Politik zu verbannen.

Deutlicher Vorsprung in den Umfragen 

Es ist auch fraglich, wie eine Verurteilung von Babis und Nagyova auf die Anhänger von ANO wirken würden. Aktuelle Umfragen sehen die rechtspopulistische Partei, die im Europaparlament Mitglied der rechtsextremen Fraktion "Patrioten für Europa" ist, bei mehr als 30 Prozent Zustimmung. Damit liegt sie zehn Prozentpunkte vor der Mitte-Rechts-Dreierkoalition des tschechischen Premierministers Petr Fiala. Dies liege auch an der langen Dauer der Strafverfolgung im Fall Capi hnizdo von 2008 bis heute, so Balik. Für Anhänger und Gegner des Oligarchen sei der Fall bereits in Vergessenheit geraten.

Sollte Babis im September also trotz seiner Verwicklung in Korruption und Strafverfolgung die Wahl gewinnen, wird Präsident Petr Pavel ihn mit der Regierungsbildung beauftragen.

In einem Interview mit der Nachrichtenwebseite Seznam.cz sagte das Staatsoberhaupt: "Wenn jemand nicht nur die Wahlen gewinnt, sondern auch in der Lage ist, eindeutig die Unterstützung im Parlament zu gewinnen, dann gibt es keinen Grund, ihn nicht mit der Regierungsbildung zu beauftragen."

Porträt eines Mannes mit blondem Haar, er trägt ein weißes Hemd und ein blau-schwarz kariertes Sakko
Lubos Palata Korrespondent für Tschechien und die Slowakei, wohnhaft in Prag