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"Komplott zur Zerschlagung Jugoslawiens"

31. August 2004

Milosevic beginnt Plädoyer vor Haager Kriegsverbrecher-Tribunal

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Bonn, 31.8.2004, DW-RADIO, Peter Philipp, aus Den Haag

Vor dem Kriegsverbrecher-Tribunal in Den Haag hat am Dienstag (31.8.) der Angeklagte Slobodan Milosevic mit seiner Verteidigung begonnen. Ihm werden Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord während der kriegerischen Auseinandersetzungen im ehemaligen Jugoslawien vorgeworfen. Peter Philipp hat sein Plädoyer verfolgt.

Kaum jemand dürfte dem ehemaligen jugoslawischen Staatschef Slobodan Milosevic widersprechen, wenn er zu Beginn seiner Verteidigung erklärt, was im ehemaligen Jugoslawien geschah, sei "das größte internationale Verbrechen" gewesen. Milosevic meint es aber anders: Die Geschehnisse, wegen derer er sich vor dem Internationalen Tribunal [ICTY] im niederländischen Den Haag zu verantworten hat, seien die folgerichtige Fortsetzung langjähriger Feindseligkeiten gegenüber dem Vielvölkerstaat gewesen. Feindseligkeiten, die es bereits vor dem Zweiten Weltkrieg gegeben habe, die dann von den Nazis weiter intensiviert und nach dem Krieg von der Bundesrepublik wieder aufgegriffen worden seien.

Deutschland und der Vatikan werden von Milosevic hervorgehoben als Vertreter des - so Milosevic – "internationalen Komplotts zur Zerschlagung Jugoslawiens". Und da vor allem der damalige deutsche Außenminister Hans Dietrich Genscher und der Papst. Genscher habe im Dezember 1991 den Vatikan besucht, und danach sei die Kampagne zur Unterstützung der Slowenen und Kroaten verstärkt worden, die sich aus dem Staat Jugoslawien loslösten. Der ehemalige Bundeskanzler Helmut Kohl habe ebenfalls bereits 1966 in einem Artikel geschrieben, dass Jugoslawien aufgelöst werden müsse. Und seit Klaus Kinkel - der spätere Bundesaußenminister - Chef des Bundesnachrichtendienstes geworden sei, habe man dieses Ziel ganz bewusst weiter verfolgt.

Es ist Milosevics "große Stunde": Zweieinhalb Jahre nach Beginn des Prozesses gegen den ehemaligen Staatschef, dem unter anderem Völkermord vorgeworfen wird, kann er seine eigene Verteidigung beginnen. Zwei Jahre lang hatte die Anklage gebraucht, die verschiedenen Etappen der jugoslawischen Tragödie aufzuarbeiten - in Kroatien, Bosnien-Herzegowina und im Kosovo. Immer wieder unterbrochen durch Ausfälle des kranken Milosevic. Auch der Auftakt der Verteidigung musste deswegen verschoben werden.

Aber der Angeklagte zeigt sich entschlossen, der Anklage mindestens ebenso viel entgegenzusetzen, wie das, was diese bisher vorgetragen hatte. Deswegen auch gleich seine Bitte an den vorsitzenden Richter, er müsse doch mindestens zwei Tage sprechen und nicht nur die ihm genehmigten vier Stunden: (Einblendung Milosevic) "Herr Robinson, ich brauche für meine einführende Rede auch den morgigen Tag. Ich erinnere daran, dass die andere Seite (= die Anklage) drei Tage Zeit hatte. Deshalb erwarte ich, dass Sie mir den heutigen und den morgigen Tag zur Verfügung stellen."

Der vorsitzende Richter Patrick Robinson lässt sich nicht beeindrucken: Das gehe nicht, er - Milosevic - habe bereits wiederholt mehr Redezeit bekommen, als ihm zugestanden habe: (Einblendung Robinson) "Herr Milosevic, das ist schon die dritte Rede-Zeit, die Sie haben. Nach der Verlesung der Anklage-Schrift zum Kosovo hatten Sie acht Stunden - also zwei Verhandlungs-Tage. Und bei der Eröffnung der Verhandlung zu Bosnien-Herzegowina und Kroatien wurden Ihnen dreieinhalb Stunden gewährt. Das ist jetzt Ihr drittes Mal. Fahren Sie bitte fort."

Die Richter und auch die Vertreter der Anklage hören dem Angeklagten mit versteinerter Mine zu. Ihnen ist nicht anzumerken, was sie von dem halten, was Milosevic da vorträgt. Ihnen muss klar gewesen sein, dass Milosevic nicht nur das Gericht und den Prozess erneut als illegal und unrechtmäßig bezeichnen würde. Sondern auch, dass er hier die große politische "Abrechnung" mit den vermeintlichen Feinden Jugoslawiens machen will.

Der Angeklagte enttäuscht diese Erwartungen nicht: Die internationale Gemeinschaft - unter Führung der USA, aber unter maßgeblicher Beteiligung Deutschlands und des Vatikans - habe sich in Jugoslawien mit faschistischen, islamistischen und anderen verbrecherischen Gruppen verbündet, um ein Ziel zu erreichen: die Zerstörung Jugoslawiens.

Milosevic will weit über 1 000 Zeugen aufrufen, darunter wichtige Politiker dieser internationalen Gemeinschaft. Er wird zurückstecken müssen, denn das Gericht hat ihm 150 Verhandlungstage zugestanden - immerhin auch fast zwei Jahre. Damit wird wohl der Prozess zu einem der längsten dieser Art werden. (md)