Kommentar: Eher Stillstand als Aufbruch in Berlin
15. Dezember 2013Deutschland hat ab der kommenden Woche endlich wieder eine arbeitsfähige Regierung. Das wird auch Zeit, denn der Berg an Aufgaben, der vor der großen Koalition liegt, ist riesig. Die Voraussetzungen zum Start sehen auf den ersten Blick gut aus: Die Wirtschaft ist als einzige in Europa ohne große Blessuren durch die Krise gekommen. Die Exporte laufen gut, der Arbeitsmarkt erweist sich als robust und die Steuereinnahmen sprudeln. An diesem Erfolg haben viele Anteil: Clevere Unternehmer genau wie flexible Gewerkschafter, und ja: auch die im September abgewählte Regierung aus Unionsparteien und FDP.
Blättert man nun durch den Vertrag, in dem CDU, CSU und SPD ihre Ziele für die nächsten vier Jahre fixiert haben und der die Grundlage der Regierungsarbeit ist, dann muss man sich ernsthafte Sorgen machen, dass Deutschlands Erfolgsgeschichte der letzten Jahre nicht weiter geschrieben wird. Was Schwarze und Rote als Arbeitsgrundlage haben, verheißt eher Stillstand denn Aufbruch. Es ist kein wirkliches Signal, Deutschland zu einem Vorreiter technologischer Entwicklung zu machen und sich der erstarkenden Konkurrenz vor allem aus Asien zu stellen. Es ist eher ein "Weiter so".
"Super"- Minister reicht nicht
Vier Stichworte mögen genügen: Demografischer Wandel, Infrastruktur, Bildung, Energiewende. Allein die Energiewende- eigentlich eine tolle Sache, nur bislang völlig verkorkst. Jetzt soll es ein "Superminister" richten, nämlich SPD-Chef Sigmar Gabriel, der die Rolle des Wirtschafts- und Energieministers übernehmen wird. Was daran super sein soll, erschließt sich mir nicht. Das industrienahe Wirtschaftsministerium als Hort der Bekehrung großer Energiekonzerne? Gleich in der neuen Woche wird es knüppeldick kommen, wenn sich Brüssel tatsächlich dazu entschließt, ein Verfahren gegen Deutschland einzuleiten, weil es die Ökostrom-Förderung für wettbewerbswidrig hält. Da lauern die Sprengfallen gleich zum Amtsantritt.
Ähnlich verhält es sich auch mit den anderen Problemfeldern. Bei der Infrastruktur lebt Deutschland von der Substanz. Zwar ist die neue Regierung entschlossen hier gegenzusteuern, die vorgesehenen Gelder reichen aber bei weitem nicht aus, Straßen, Eisenbahntrassen und digitale Netze fit für die Zukunft zu machen. Oder der demografische Wandel: Hier muss dringend gehandelt werden, um den absehbaren Verlust von Millionen Erwerbstätigen zu verkraften. Was aber macht die neue Regierung in Berlin? Sie verteilt zuallererst milliardenteure Wohltaten wie die abschlagsfreie Rente mit 63. Echte Fortschrittsszenarien sehen anders aus.
Ich werde den Verdacht nicht los, dass diese Große Koalition Deutschland nicht wirklich voranbringen wird. Da ist viel zu viel gegenseitiger Argwohn im Spiel, und vor allem die Sozialdemokraten schielen mit ihren Plänen schon viel zu auffällig ins Jahr 2017. Dann wird der nächste Bundestag gewählt. Es muss eine ganze Menge anders werden, wenn die Bilanz am Ende nicht lauten soll: Es waren vier verlorene Jahre für Deutschland.