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Politik

Das Ende der Pöbel-Taktik

2. Oktober 2016

Das gescheiterte Referendum zeigt, dass sich Viktor Orbans Getöse nun auch langsam in Ungarn abnutzt. Der EU kann das nur Recht sein, meint Max Hofmann.

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Ungarn Referendum
Bild: picture-alliance/dpa/S. Ujvari

Wer Sonntagabend genau hinhorchte, hätte vielleicht ein schadenfrohes Lachen aus dem Gebäude der EU-Kommission in Brüssel hören können. Klar hätte auch ein gültiges ungarisches Referendum keinen großen Einfluss auf den Lauf der europäischen Flüchtlingspolitik gehabt, aber so hat Viktor Orban wenigstens vom eigenen Volk einen vor den Latz bekommen und nicht nur von den Granden der EU-Institutionen. Selbst in Ungarn lockt Orbans Angstmacherei keine Mehrheit mehr in die Wahllokale. 


Eigentlich war das Ziel ja eindeutig. Die Ungarn sollten noch einmal allen in Europa klar machen, dass sie keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, selbst wenn es laut aktueller Rechtslage nur 2300 wären. Damit das auch jeder in der EU kapiert: alle Minister haben es gesagt, Viktor Orban hat es gesagt, jetzt sollte es auch noch das Volk sagen. Nur: die meisten hatten keine Lust dazu. Von den rund 45 %, die gewählt haben, war zwar eine überwältigende Mehrheit auf Orbans Seite. Trotzdem: der Paukenschlag aus Budapest bleibt mangels Gültigkeit des Referendums aus. 

 

Abgestumpft von den Parolen?


Was lernen wir jetzt eigentlich aus diesem Referendum? Ob gültig oder nicht, in der Praxis bestätigt es nur, was wir aus Umfragen ohnehin schon lange wissen (Die meisten Ungarn wollen keine Flüchtlinge aufnehmen, s.o.). Aber es zeigt noch einmal, dass Viktor Orban bereit ist seinen europäischen Kollegen solange auf die Nerven zu gehen, wie er damit zuhause Erfolg hat. Doch genau damit scheint es jetzt langsam zu Ende zu sein. Rund 40 Millionen Euro hat das Referendum gekostet. Orban hat Ungarn mit Aufrufen zur Wahl plakatieren lassen. Dennoch kamen am Sonntag nicht genug Menschen zur Wahl. Manche Ungarn haben wohl inzwischen auch die Nase voll vom ewigen Orbanschen Getöse. 

Deutsche Welle Studio Brüssel Max Hofmann
Max Hofmann leitet das DW-Studio in BrüsselBild: DW/B. Riegert


Das ganze Referendum war also eigentlich nur eine Geldvernichtungsmaschine, mit dem Ziel, Brüssel noch einmal symbolisch den Vogel zu zeigen. Orbans sinnlose Abstimmung hat aber gezeigt, dass er mit seiner Pöbel-Taktik langsam am Ende ist. Um die Wirkung seines populistischen Cocktails zu erhalten, muss er die irrationale Angst vor dem Ende des Abendlandes immer weiter schüren. Mit anderen Worten: er muss die Dosis erhöhen, so wie er das mit dem Referendum getan hat, um den gewünschten Effekt herbeizuführen. Dem Wähler war die Dosis wohl jetzt schon zu niedrig: eine Mehrheit scheint abgestumpft von den ständigen Parolen ihres Premiers und bleibt Sonntags lieber zuhause, Flüchtlinge hin oder her. 

Alles Böse kommt aus Brüssel


Vielleicht liegt es auch daran, dass die Ungarn - im Gegensatz zu den Briten - ihre EU-Mitgliedschaft nämlich eigentlich ganz gut finden, zumindest die Milliardenzahlungen, die aus Brüssel kommen. Deshalb hat Orban ja auch zwei Gesichter. Wenn er bei den anderen Regierungschefs vorbeischaut, versucht er dem Vernehmen nach ein bisschen mitzumachen. Auf dem Gipfel im slowakischen Bratislava Mitte September trug er hinter den Kulissen alles mit, hatte sogar ein eigenes Konzept erarbeitet - "flexible Solidarität in der Flüchtlingspolitik"-, aber ganz ohne Kritik ging es dann doch nicht. Das Treffen sei ein Misserfolg gewesen, meinte er am Schluss. Seine Kooperation während des Gipfels im Kreise der anderen Staats- und Regierungschefs ist die eine Seite Orbans, hinterher alles Schlechtreden für die heimische Kulisse die andere.


Genau da liegt auch das Problem. Der ungarische Premier hat einen bekannten Mechanismus perfektioniert: alles Böse kommt aus Brüssel (oder Berlin), alles Gute aus dem eigenen EU-Mitgliedsland. Ein selbsterhaltender Kreislauf, der solange zu funktionieren schien, wie sich die Europäische Union irgendwie durchwurschtelte. Aber spätestens seit dem Brexit-Referendum ist klar, dass diese Art mit Europa umzugehen direkt in den Abgrund führt. Ein bisschen bei den EU-Gipfeln mitmachen und zuhause Volksabstimmungen gegen rechtskräftige EU-Beschlüsse durchführen ist mit Sicherheit nicht zielführend. Es ist höchste Zeit, dass Viktor Orban das versteht. Das gescheiterte Referendum macht Hoffnung, dass sich diese Erkenntnis bei vielen ungarischen Bürgern bereits durchgesetzt hat. Zum Wohle der EU.

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