Großbritannien: Starmers stille Rückkehr auf die Weltbühne
9. April 2025Es ist ein Bild, das die Briten lange nicht gesehen haben: Ihr Regierungschef ist plötzlich wieder mittendrin. Eingerahmt von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen gab der britische Premier Keir Starmer auf diversen Gipfeltreffen im Frühjahr den Anführer der sogenannten "Koalition der Willigen", die der Ukraine im Falle eines Waffenstillstands militärische Unterstützung versprach. Man sei an einem "Wendepunkt der Geschichte" angekommen, verkündete er.
Seit dem Brexit vor mehr als fünf Jahren war Großbritannien ein etwas unglücklicher Außenseiter in Europa. Doch seit die USA der Ukraine vorübergehend ihre Unterstützung entzogen haben, scheint Keir Starmer der Mann der Stunde zu sein: "Die Entschlossenheit, mit der er die Ukraine unterstützt, ohne die USA zu verprellen, ist beeindruckend", so Bronwen Maddox, Direktorin des außenpolitischen Think Tanks Chatham House. Das Vereinigte Königreich ist neben Frankreich die einzige europäische Atommacht und will, so Maddox, die "europäische Zukunft" mit absichern: "Trump hat Amerikas Verbündete näher zusammengebracht. Die EU und Großbritannien haben viele Gründe, über ihre gemeinsamen Interessen nachzudenken, nicht nur im Bereich der gemeinsamen Sicherheit."
Britische Unternehmen wollen profitieren
Seit seinem Amtsantritt im vergangenen Sommer hat Starmer einen "Reset" angekündigt: engere Zusammenarbeit, um vor allem Handelsbarrieren weiter abzubauen. Bei einem Gipfeltreffen Ende Mai wollen die EU und Großbritannien ihre neue Freundschaft formalisieren, ein Veterinärabkommen etwa, das zur Senkung der Lebensmittelpreise beitragen könnte, scheint in greifbarer Nähe. Ein großer Wurf wäre das natürlich noch nicht, denn der Brexit hat das Land wirtschaftlich schwer getroffen.
Interessanter erscheint eine engere Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich. Starmer will britischen Firmen den Zugang zum neuen europäischen Rüstungsprogramm sichern - bisher müssen die 150 Milliarden Euro aus dem europäischen Rüstungsfonds in den EU-Mitgliedsländern ausgegeben werden, Großbritannien gehört nicht mehr dazu. Fred Thomas, Labour-Abgeordneter im britischen Unterhaus und Mitglied des Verteidigungsausschusses, ist zuversichtlich, dass beim Gipfel im Mai eine Einigung erzielt werden kann: "Wir müssen zusammenarbeiten, denn gemeinsam ist Europa sehr stark.
Status als Drittstaat
Großbritannien mit seiner militärischen Erfahrung könne helfen, Effizienzen zu finden. Doch auch wenn Großbritannien militärisch ein attraktiver Partner sei, gebe es diesen Zugang nicht zum Nulltarif, erklärt der deutsche Botschafter in London, Miguel Berger, im Gespräch mit der DW. Schließlich sei Großbritannien jetzt ein Drittstaat, eine Sicherheits- und Verteidigungspartnerschaft müsse erst geschlossen werden. Er hoffe, dass man sich bis zum Gipfel einigen könne. Aber: "Großbritannien muss natürlich auch einen eigenen Beitrag leisten, wie das bei Industriekooperationen üblich ist."
Dabei arbeiten britische Rüstungsunternehmen bereits mit europäischen Partnern zusammen. Und der Labour-Abgeordnete Fred Thomas, der selbst bei der Marineinfanterie gedient hat, erzählt begeistert von einer Reise des Verteidigungsausschusses nach Estland und Finnland. Dort hätten führende Militärs großes Interesse an einer engeren Zusammenarbeit gezeigt - dass Großbritannien nicht mehr Mitglied der EU ist, habe dabei keine Rolle gespielt.
Donald Trump spielt bei all dem eine Schlüsselrolle. Zwar gibt sich Starmer alle Mühe, dem Präsidenten öffentlich zu schmeicheln. Bei seinem jüngsten USA-Besuch bezeichnete Starmer Trump als "wahren Freund", überraschte ihn im Namen von König Charles mit einer Einladung zu einem weiteren Staatsbesuch. Trump nannte Starmer im Gegenzug einen "ganz besonderen Mann" und das Vereinigte Königreich ein "wunderbares Land". Die USA sind seit Jahrzehnten der wichtigste Partner, die sogenannte "special relationship" gilt nach wie vor als schützenswert.
Rückkehr in die Europäische Union?
Doch seit die USA der Ukraine kurzfristig die Unterstützung entzogen haben, sind die Karten neu gemischt. "Das war ein gefährlicher Moment für unsere Freunde in der Ukraine", räumt der Abgeordnete Fred Thomas ein, es habe Menschenleben gekostet. Die USA seien kein verlässlicher Verbündeter mehr, warnt Bronwen Maddox vom Think Tank Chatham House, ihr Rückzug lasse Zweifel an der Abschreckungsfähigkeit der NATO aufkommen.
Offiziell betrachten die Briten die USA immer noch als ihren wichtigsten Verbündeten. Tatsächlich aber wachsen die Zweifel, schließlich basiert die gesamte Verteidigungsstrategie auf engster Kooperation, die Raketen auf den britischen Atom-U-Booten werden in den USA hergestellt und gewartet. Großbritanniens Nähe zu Amerika könnte sich also in Zukunft als Schwäche erweisen.
Kein Wunder also, dass sich Keir Starmer seit dem Rauswurf Selenskyjs aus dem Weißen Haus mehr und mehr Europa zuwendet. In der Bevölkerung kommt das gut an, seine schlechten Umfragewerte haben sich dadurch erholt. Doch wer glaubt, Großbritannien könne in absehbarer Zeit in die EU zurückkehren, der irrt. Bei aller Europafreundlichkeit - Keir Starmers "Reset" sieht keine erneute EU-Mitgliedschaft vor.