Keine Pressefreiheit in Russland
23. September 2004Bonn, 22.9.2004, DW-Radio, Udo Taubitz
Freie und unabhängige Medien sind ein wichtiges Element der Zivilgesellschaft. Denn sie tragen zur demokratischen Meinungsbildung bei. Aber Journalisten sind in keinem Land der Welt besonders beliebt. Denn was sie berichten, gefällt den Machthabern des öfteren nicht. Die Menschen in Russland kennen das besonders gut, denn bis zum Zerfall der Sowjetunion gab es in dem kommunistischen Staat keine Pressefreiheit. Erst 1991 wurde sie in der russischen Verfassung festgeschrieben. Seitdem dürfen und sollen die Medien über alles berichten, auch über Missstände. Zumindest theoretisch. Denn die Pressefreiheit, die sich das Land nach dem Ende der kommunistischen Diktatur mühsam erobert hatte, geht derzeit wieder verloren. Dem russischen Establishment, das die politischen Umwälzungen der vergangenen Jahre erstaunlich unversehrt überlebt hat, war die neu errungene Pressefreiheit von Anfang an ein Dorn im Auge. Unter der Regierung von Präsident Putin sind die Medien verstärkt unter Druck geraten. Udo Taubitz berichtet:
Anfang September, beim Geiseldrama in der Schule in Beslan, starben Hunderte Menschen. Gleichzeitig starb das Vertrauen des russischen Volkes in die freie Berichterstattung. Eine repräsentative Umfrage ergab: 92 Prozent der Zuschauer des russischen Fernsehens fühlten sich belogen. Kein Wunder: im russischen Fernsehen wird ohne Einverständnis der Machthaber keine wichtige Nachricht gesendet. Denn die Fernsehsender gehören den Mächtigen. Ein Skandal, meint der russische Medienexperte Aleksej Simonow:
"Die wichtigste Informationsquelle ist heute das Fernsehen. Fünf der sechs großen Kanäle gehören dem Staat. Der sechste gehört der Moskauer Regierung. Wenn es einen siebten Kanal gäbe, wäre das der populärste. Denn der könnte all das berichten, was die anderen sechs verschweigen. Aber leider lässt die Lage im Land das nicht zu."
Aleksej Simonow ist in Russland ein berühmter Mann. Denn seine Stiftung "Glasnost Defense Foundation" verteidigt die Presse- und Meinungsfreiheit. Simonow berät Medien, deren Rechte beschnitten werden. Zurzeit hat er sehr viel zu tun. Denn die Pressefreiheit wird in Russland Stück für Stück wieder abgebaut. Soeben setzte der Fernsehsender NWT die letzte regierungskritische Sendung ab, die wöchentliche Diskussionsrunde "Swoboda slowa" (Freiheit des Wortes). Auch die letzte regierungskritische Zeitung Tschetscheniens stellte auf Druck russischer Behörden ihr Erscheinen ein. Präsident Putin sieht sich sogar von Korrespondenten aus dem westlichen Ausland bedroht. Sie arbeiten aus seiner Sicht gegen Bezahlung für feindliche Regierungen oder Geheimdienste.
Viel Misstrauen erfuhr auch Dirk Sager, der bis März als Korrespondent des deutschen Fernsehsenders ZDF aus Russland berichtete. Seine Erfahrung: Die Journalisten bekommen häufig gar keine oder falsche Informationen - was den Kommunisten recht war, ist Präsident Putin billig. Dirk Sager:
"Der Versuch, solchermaßen die Arbeit von Journalisten einzuschränken, das ist ja nicht irgendeine ornamentale Frage eines Staatswesens. Wir erleben heute in Russland, wie die Einschränkung der Pressefreiheit den Staat in seinem grundsätzlichen Kern verändert. Und wenn es vielleicht in den 90er Jahren noch die Hoffnung gegeben hat, dass Russland sich zu einer Demokratie hin entwickelt, dann hat die Erfahrung der letzten Jahre gezeigt, dass das nicht der Fall ist."
Die Blütenträume von Glasnost und Perestroika zerplatzen. Die Medien werden wieder systematisch dem Machtapparat unterworfen. Diese Erfahrung machte Olga Kitowa am eigenen Leib. Die russische Zeitungsjournalistin wurde zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt, weil sie in einem Bericht über eine Vergewaltigung angeblich gelogen hatte. Tatsächlich aber hatten die Machthaber in der russischen Provinz Belgorodskaja nur einen Anlass gesucht, um Olga Kitowa mundtot zu machen. Denn sie hatte es immer wieder gewagt, die Zeitungsleser über politische Missstände in der Region aufzuklären.
(Kitowa) "Wenn man irgend etwas Kritisches schreibt, dann wird es gleich als oppositionell gewertet. Und oppositionell bedeutet in Russland gleich feindlich. Und von der Einstufung als Feind ist es nur noch ein halber Schritt dazu, dass dieser Feind, wenn er nicht aufgeben will, vernichtet werden muss."
Olga Kitowa darf sich fast glücklich schätzen, dass sie nur zu Gefängnis verurteilt wurde. Denn immer mehr Journalisten werden Opfer gewalttätiger Übergriffe. Besonders gefährdet ist, wer in den Provinzen, fernab von Moskau, über Korruption und Machtmissbrauch berichtet. Seit dem Amtsantritt von Präsident Putin im Jahr 2000 wurden mehr als 20 Journalisten getötet. Keines dieser Verbrechen ist bisher aufgeklärt worden. Immerhin: Dass Olga Kitowa zu Unrecht verurteilt wurde, hat der Oberste Gerichtshof Russlands gerade bestätigt. Zurück an ihre alte Arbeitsstelle kann sie trotzdem nicht. Es wäre zu gefährlich. Seit Anfang September lebt sie in Deutschland, als Gast der "Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte".
Die deutsche Sektion der internationalen Organisation "Reporter ohne Grenzen" hat derweil einen offenen Brief an den russischen Präsidenten geschrieben. Darin wird Putin aufgefordert, die Unterdrückung der Medien in seinem Land zu beenden. Aber Olga Kitowa ist sehr skeptisch - ihre einzige Hoffnung sind die Radio- und Fernsehsender aus dem Ausland, wie zum Beispiel die russischen Programme der Deutschen Welle.
(Kitowa) "Die westlichen Medien werden in Russland wieder zur einzigen Quelle unabhängiger Information. Sie sind die einzigen, von denen man wirklich erfahren kann, was im eigenen Land passiert." (TS)