Kein Gedanke ist undenkbar
29. März 2025Unser Titelbild zeigt Karl Rahner (rechts). Er erhält vom Direktor der Katholischen Akademie in Bayern Franz Heinrich 1970 einen Preis verliehen.
Eine Karikatur zeigt einen „theologischen Atomphysiker“, wie er mit erhobenem Zeigefinger vor einer Gruppe steht und einen Vortrag hält. In einer weiteren Szene steht einer der vormals Zuhörenden auf einer Kanzel und spricht zu einer Menge. Unter ihnen befindet sich Jesus. Neben seinem Kopf steht: „I don’t understand“.
Diese Karikatur wurde einem der einflussreichsten Theologen des 20. Jahrhunderts zugeschickt: Karl Rahner. Am 30. März vor 41 Jahren ist er im Alter von 80 Jahren verstorben. In einem Interview mit dem ZDF aus dem Jahr 1983 reagiert Rahner mit einem Schmunzeln auf die Karikatur: „Das ist eben das Los eines Theologieschulmeisters.“
Ihm war also bewusst, dass viele seine Lehre als unverständlich abtaten. Deshalb bemühte er sich immer, seine komplexen Gedanken in alltagstaugliche Bilder zu übersetzen. Wirklich folgen konnten ihm aber nur wenige. Das lag vor allem daran, dass er in seiner Theologie kreativ und mutig war, neue Wege einschlug. Für ihn war kein Gedanke undenkbar, keine Hypothese zu gewagt.
Die Grundlage für seine theologische Atomphysik war die zwölfjährige Ausbildung bei den Jesuiten. Der Orden hatte sein Talent erkannt und sah ihn deshalb für eine Philosophie-Professur vor. Doch Rahners Doktorvater Martin Honecker forderte eine Überarbeitung seiner Promotion, weil ihm die philosophische Interpretation von Thomas von Aquin etwas fremd war. Darauf verzichtete Rahner, der in der Zwischenzeit bereits eine theologische Dissertation eingereicht hatte.
Ab 1949 war Rahner Professor für Dogmatik und Dogmengeschichte in Innsbruck. Dort arbeitete und wirkte er zusammen mit seinem Bruder Hugo Rahner, der ebenfalls Jesuit und Theologie-Professor war, allerdings im Fach Kirchengeschichte.
Im Gegensatz zu seinem Bruder sei Professor – oder wie er lieber genannt wurde: Pater Rahner – im Hörsaal weniger schwungvoll gewesen. Weggefährten beschrieben ihn eher als zurückhaltenden und bescheidenen Typ. Er sprach nicht gerne von sich. Interviews gab er nur, wenn er im Gegenzug auf ein leckeres Eis oder ein Restaurantbesuch eingeladen wurde.
1964 übernahm Rahner den Lehrstuhl für Christliche Weltanschauung an der Ludwig-Maximilians-Universität in München, später lehrte er bis zu seiner Emeritierung als Professor für Dogmatik in Münster. Bis zu seinem Tod im Jahr 1984 verfasste er zahlreiche Bücher und Texte in alle theologischen Disziplinen. Sein Gesamtwerk, das 1995 posthum veröffentlicht wurde, umfasst 32 Bände.
Eine wichtige Rolle spielte Rahner auch beim II. Vaticanum, obwohl er von dem Konzil ursprünglich nicht begeistert war. Erst als er von Kardinal König, dem damaligen Erzbischof von Wien, um eine theologische Stellungnahme zu den Textentwürfen des Konzils gebeten wurde, erkannte er dessen Chance. Zusammen mit Joseph Ratzinger bildete er ein theologisches Duo, das ihre reformfreudige Position in gemeinsamer Textarbeit zu Papier brachte.
So lässt sich rekonstruieren, dass Rahner für die Änderungen von "Die Kirche ist das Licht der Völker" zu "Christus ist das Licht der Völker" im Konzilsdokument Lumen Gentium verantwortlich war. Für ein kirchenamtliches Dokument war das eine kleine Sensation. Denn damit relativierte er die Kirche ein Stück weit. Sie war damit nicht überflüssig, aber eben auch nicht mehr der einzige Weg zum Heil.
Und doch ließ er sein ganzes Leben keinen Zweifel an seiner Kirchlichkeit. "Ich kann als katholischer Theologe an keiner Stelle davon absehen davon, was lehrt das katholische Lehramt, aber auf der anderen Seite kann ich das auch nicht einfach papageienartig repetieren", sagt Rahner 1983 im Interview mit dem ZDF. Er bemängelt: "Die traditionelle Theologie hat nicht in seltenen Fällen dort, wo man eigentlich noch weiterdenken könnte und müsste, erklärt: Hier fängt das Geheimnis an."
Rahner war also ein Theologe, der sich keinen Gedanken verbieten ließ. "Ich würde sagen, man kann in der Theologie nicht genug, nicht intensiv und nicht mutig und scharf genug denken", sagte er dem ZDF. Eine Botschaft, die wir uns auch unabhängig von seinem Todestag immer wieder vor Augen führen sollten.
Zur Autorin:
Jasmin Lobert (Jahrgang 1998) hat Religionspädagogik (B.A.) an der Katholischen Hochschule in Paderborn und Katholische Theologie (Mag. Theol.) an der Ruhr-Universität Bochum studiert. Derzeit ist sie Volontärin bei der Verlagsgruppe Bistumspresse in Osnabrück und wird an der Journalistenschule ifp in München ausgebildet.
Der Beitrag wird redaktionell von den christlichen Kirchen verantwortet.