Kann ein ehemaliger Angehöriger des bulgarischen kommunistischen Geheimdienstes persönlicher Berater des Ministerpräsidenten werden?
16. Oktober 2003Sofia, Oktober 2003, WIRTSCHAFTSBLATT, deutsch / Ivan Ganev, Herausgeber und Chefredakteur
Ist es möglich, dass ein ehemaliger hochrangiger Angehöriger des kommunistischen Geheimdienstes und angeblicher Mitarbeiter des KGB, der für den Sturz der ersten demokratischen Regierung Bulgariens im Jahr 1992 direkt verantwortlich war und momentan Abgeordneter der BSP ist, zum Berater des Ministerpräsidenten, zum Mitglied seines politischen Kabinetts sowie zum Koordinator der Nachrichtendienste ernannt wird? Ist es möglich, dass so etwas in Bulgarien im Jahr 2003, unmittelbar vor der Aufnahme des Landes in die NATO, geschieht? Es ist möglich. Der Arbeitsvertrag von Brigo Asparuchow liegt auf dem Schreibtisch des Ministerpräsidenten und könnte jeden Augenblick unterzeichnet werden, weil gerade er, der bulgarische Ministerpräsident, sich diesen Mann als Berater ausgewählt hat.
Oh, dieser unberechenbare Ministerpräsident, der bis vor einiger Zeit als König Simeon II. bekannt war! Was mag er noch für Überraschungen parat haben, die so manchen Wirbel im politischen Leben Bulgariens verursachen könnten? Man wirft ihm vor, er sei willenlos und zaghaft und ziehe Hinz und Kunz zu Rate, bevor er einen entschlossenen Schritt unternehme. Nichts dergleichen! Im Fall Brigo Asparuchow ist der Premier unerschrocken und selbstbewusst vor die Öffentlichkeit getreten, um seine Personalentscheidung zu verteidigen. Da drängt sich einem der Vergleich mit dem berühmten sowjetischen Kriegshelden Alexander Matrossow auf, der sich einst vor die Schießscharte des Feuer speienden feindlichen Bunkers geworfen hatte, um seine Kameraden zu retten. Der Ministerpräsident erklärte, Bulgarien sei ein souveräner Staat, und er als Premier könne ernennen und entlassen, wen er wolle. Dies war offenbar eine Reaktion auf die Lawine von kritischen Stimmen im In- und Ausland, unter denen sich die Äußerungen des Vorsitzenden des Amerikanischen Komitees für die NATO-Erweiterung, Bruce Jackson, und des US-Botschafters in Sofia, James Pardew, besonders abhoben. Sowohl der eine als auch der andere sind der Ansicht, der Premierminister eines souveränen Staates könne zwar jeden ernennen und entlassen, den er wolle, doch in diesem Fall würde eine solche Entscheidung dem Image Bulgariens einen nicht wiedergutzumachenden Schaden zufügen und den künftigen Status des Landes als NATO-Mitglied in Frage stellen. Selbstverständlich hat niemand öffentlich gesagt, dass sich Asparuchows Einsetzung in diese Funktion als Hindernis für den NATO-Beitritt erweisen könnte. Man darf allerdings nicht vergessen, dass bis zur eventuellen Aufnahme Bulgariens in den Nordatlantikpakt noch einige Zeit verbleibt, in der noch allerhand passieren könnte. Vor Redaktionsschluss wurde nicht mehr bekannt, ob der Druck seitens der NATO und speziell der Amerikaner den Premier bewogen hat, den Arbeitsvertrag für Asparuchow nicht zu unterschreiben.
Ist Simeon Sakskoburggotski ein politischer Hasardeur? Ja und nein. Er ist kein politischer Hasardeur, denn er beherrscht glänzend die Kunst des Taktierens und des Balancierens. Die seit seinem Amtsantritt vergangenen zwei Jahre haben dies eindeutig vor Augen geführt. Auf der anderen Seite zeigen einige überraschende und unerklärliche Schritte des Premiers - das markanteste Beispiel dafür ist die Saga um den ex-kommunistischen Geheimdienstler -, dass er manchmal, entgegen seinen Gepflogenheiten, va banque spielt, nämlich dann, wenn dies unbedingt nötig ist. Wann wäre dies wohl der Fall? Vielleicht dann, wenn bestimmte, dem breiten Publikum nicht bekannte Interessen des Premiers selbst oder des bulgarischen Staates berührt werden?
Obwohl der Ministerpräsident sich erst seit rund zwei Jahren ständig in Bulgarien aufhält, ist kaum anzunehmen, dass ihm Asparuchows skandalöser Ruf verborgen geblieben ist. Mit Sicherheit sind ihm einige wichtige Fakten bekannt, die mit der Person des Generals a. D. zusammenhängen, wie zum Beispiel seine freundschaftlichen Beziehungen mit einigen hochrangigen Angehörigen der sowjetischen und später auch der russischen Geheimdienste, darunter auch mit ihren höchsten Repräsentanten, oder der wilde Hass und die offene Feindschaft zwischen Asparuchow und den demokratischen Kräften, die ihn, vermutlich zu Recht, für den Hauptschuldigen am Scheitern der Regierung von Filip Dimitrow halten. Damals hatte Asparuchov in aller Öffentlichkeit auf die angebliche Verwicklung des Kabinetts Dimitrow in einen Skandal um Waffenlieferungen an Mazedonien hingewiesen und somit dessen Sturz verursacht. Mit Sicherheit weiß der Ministerpräsident auch von den Reaktionen innerhalb der NATO, als vor einigen Monaten bekannt geworden war, dass der General a. D. zum Chef des bulgarischen Auslandsgeheimdienstes ernannt werden solle. Der erste Versuch von Simeon Sakskoburggotski, Asparuchow Zugang zu den obersten Etagen der Macht zu verschaffen, ist fehlgeschlagen. Heute macht er einen zweiten Anlauf. Der Premier hält an seiner Entscheidung unerschütterlich fest. Das Paradoxe an der Situation ist, dass sich selbst Staatspräsident Georgi Parvanow, ein ehemaliger Parteigenosse von Brigo Asparuchow, sowohl gegen dessen Kandidatur für den Posten des Chefs des Auslandsgeheimdienstes als auch gegen seine Ernennung zum faktischen Koordinator aller Nachrichtendienste erklärt hat. Der Demokrat Sakskoburggotski hingegen, der immer wieder versichert, er stünde den Rechten viel näher als den Linken, und der sich wiederholt um die Aufnahme der von ihm geleiteten Bewegung in die Europäische Volkspartei beworben hat, hält beharrlich an dieser umstrittenen Figur fest und lässt sich von niemandem reinreden. Wie ist das "Charisma" dieses Mannes zu erklären?
Nicht sehr überzeugend klingt die These der rechten Opposition, deren Vertreter mit mehr oder weniger Nachdruck behaupten, die Entscheidung des Ministerpräsidenten zeuge von seiner Abhängigkeit von der einstigen bulgarischen Staatssicherheit oder vom ehemaligen sowjetischen Geheimdienst. Selbst wenn eine solche Abhängigkeit existierte, wäre sie wohl kaum derart offen und unverfroren demonstriert worden. In diesem Fall handelt es sich eher um eine indirekte Abhängigkeit. Überzeugender klingt für mich eine andere These, die in der Öffentlichkeit weniger diskutiert wird, nämlich, dass Simeon Sakskoburggotski in weitaus größerem Maße von den Personen abhängig ist, die ihm zur Macht verholfen haben. Unter ihnen hebt sich besonders Atanas Tilew ab, ein alter Freund des Ex-Königs. Nach mehrjährigem Exil war der Millionär Tilew nach der Wende nach Bulgarien zurückgekehrt und hatte hier eine Bank und mehrere Firmen gegründet. Nachdem diese unter skandalösen Umständen in Konkurs gegangen waren, zog er sich wieder ins Ausland zurück. In zahlreichen Publikationen wird behauptet, dass Tilew vor den Parlamentswahlen 2001 einer der Hauptsponsoren der so genannten königlichen Partei NDS II (der heute in Koalition mit der türkischen ethnischen Partei BRF regierenden Nationalen Bewegung Simeon II.) gewesen sei. Der Ministerpräsident selbst soll Gesellschafter in einer von Tilews Firmen gewesen sein, was er übrigens nicht abstreitet. Auf der anderen Seite kennen Tilew und Brigo Asparuchow einander schon lange, schon seit der Zeit, da sie zusammen das deutschsprachige Gymnasium besucht haben. Auch heute noch sind sie eng befreundet. Gegen den General a. D. war vor einiger Zeit ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden, weil der Verdacht bestand, dass er die Personalakte des ehemaligen Agenten der bulgarischen Staatssicherheit Atanas Tilew vernichtet haben soll. Es wird behauptet, dieses Verfahren sei erst nach Asparuchows Einzug ins Parlament als Abgeordneter der BSP (Bulgarische Sozialistische Partei – MD) eingestellt worden, weil er als Volksvertreter Immunität genießt. Das alles sind weder leere Behauptungen noch Szenen aus einem Kriminalroman, sondern Fakten aus der heutigen Realität in Bulgarien. Wer von wem abhängig ist, warum und wieso - es gibt wohl kaum jemanden, der diese Fragen wird jemals beantworten können.
Die Saga um den eventuellen Berater des Ministerpräsidenten hat auch einen anderen, rein psychologischen Aspekt. Dieser hängt mit dem durchaus erklärlichen Mangel an Verständnis für die Realitäten in einem Land zusammen, die man lange Zeit nur vom Hörensagen, vom Fernsehen und vom Internet her kannte. Selbst ein Ausländer, der die ersten stürmischen Jahre nach der Wende in Bulgarien miterlebt hat, würde sich in der kurzen Geschichte der Demokratie in diesem Land weitaus besser zurechtfinden als ein Bulgare, der in dieser Zeit im Ausland weilte, und sei es auch der König selbst. Das ist eine Frage des alltäglichen Kontakts mit den Ereignissen, des unmittelbaren Erlebens und des direkten Umgangs mit den "Helden der Zeit". Nur derjenige, der die in den 90-er Jahren tobende Konfrontation zwischen der eisernen Garde der Geheimdienstler, vielfach repräsentiert durch General Asparuchow, und den neuen Demokraten nicht als Zeuge miterlebt hat, kann nicht verstehen, was es heutzutage bedeutet, einen Vertreter der "alten Garde" in eine derart exponierte Stellung zu bringen - egal, ob es sich um einen Freund, um einen Freundesfreund, einen Geschäftspartner oder einfach um einen engen Vertrauten handelt.
Eine andere Version hängt mit dem sehnlichen Wunsch von Simeon Sakskoburggotski zusammen, dass die Politiker das Kriegsbeil begraben, dass den parteipolitischen Kämpfen und Auseinandersetzungen ein Ende bereitet wird und dass die Nation und die Politiker zur Einheit finden. Als Verfechter dieser These hat sich in letzter Zeit der Kandidat der NDS II für das Amt des Oberbürgermeisters von Sofia, der Sportminister Wassil Iwanov-Luciano, profiliert, der kürzlich in einem Fernsehinterview den Wunsch seines Patrons zum Ausdruck brachte, dass es in Zukunft keine politischen Parteien geben möge und dass "alle geschlossen für das Wohl des Volkes kämpfen". Dies war übrigens die ursprüngliche Idee des Ministerpräsidenten, als er sein Kabinett bildete: Er wollte die Vertreter möglichst vieler, am besten aller politischen Kräfte an der Regierung beteiligen. Nicht gar so abwegig erscheint in diesem Kontext die Vermutung, dass Sakskoburggotski durch die Aufnahme eines prominenten Repräsentanten der linken Opposition in sein politisches Kabinett das Ziel verfolgt, diese zu spalten und einen Teil von ihr auf seine Seite zu ziehen. Es fragt sich nur, ob der umstrittene General a. D. die dafür am besten geeignete Figur ist.
In den grandiosen politischen Skandal in Bulgarien wurden auch die deutschen Nachrichtendienste involviert. Einige gut bekannte Angehörige der früheren Staatssicherheit behaupten unisono, dass gegen den Geheimdienstler Asparuchow zu kommunistischen Zeiten Ermittlungen wegen mutmaßlicher Kontakte zum Bundesnachrichtendienst geführt worden seien. Der General selbst hat diese Behauptungen bereitwillig und in aller Öffentlichkeit bestätigt. Er versäumte es nur zu erklären, wie er es geschafft hat, bei einem solchen "Ermittlungsverfahren" auf der Karriereleiter emporzusteigen. Er versäumte es auch, daran zu erinnern, dass seinerzeit jeder, der Deutsch sprach, die deutsche Technik und die deutsche Kultur bewunderte oder, Gott bewahre, Westdeutschland besucht hatte, leicht in den Verdacht geraten könnte, ein "westdeutscher Spion" zu sein. Die Existenz des "sozialistischen Bruderlandes DDR" konnte die eventuellen Verdächtigungen wegen deutschfreundlicher Orientierung bis zu einem gewissen Grade entkräften, jedoch nicht ganz aus der Welt schaffen.
Ist es aber nicht auch vorstellbar, dass Brigo Asparuchow, der zweifellos ein erfahrener Profi und Geheimdienstler ist, den Ex-Monarchen über einige Fakten seiner beruflichen Laufbahn getäuscht haben könnte? Ich mag zwar keine Unterstellungen, doch ich kann in einer Atmosphäre der wiederkehrenden Verdächtigungen und der fehlenden Transparenz in Bezug auf wichtige Ereignisse im Leben des Landes einfach nicht der Versuchung widerstehen, selber eine unseriös klingende Vermutung aufzustellen. Man mag mir verzeihen, wenn ich mich irre. (fp)