Künftiger Status des Kosovo ist Haupt-Streitpunkt
2. Oktober 2003Bonn, 2.10.2003, DW-radio / Serbisch, Liljana Guslov Renke
Auch drei Jahre nach dem Sturz Slobodan Milosevics hat Serbien noch immer keine neue Verfassung. Die demokratische Regierungs-Koalition DOS hatte dieses Thema zwar nach dem Machtwechsel ganz oben auf ihre Agenda geschrieben, doch Greifbares hat sie bis heute nicht zustande gebracht. An einem neuen Verfassungs-Entwurf wird seit Monaten ohne Erfolg gearbeitet. Ljiljana Guslov Renke fasst die ebenso langwierigen wie schwierigen Diskussionen zusammen.
Serbien - eine Republik ohne Verfassung. Denn über die, die formal-juristisch noch immer in Kraft ist, will man heute lieber schweigen: Sie stammt aus dem Jahre 1989, trägt die Handschrift von Slobodan Milosevic und hat ihm juristische und politische Manipulationen ermöglicht. Die bis dahin bestehende weit gehende Autonomie der Provinzen Vojvodina und Kosovo wurde aufgehoben und bedeutete den Anfang des blutigen Endes der ehemaligen Bundesrepublik Jugoslawien. Experten beklagen, diese Verfassung verhindere heute notwendige Gesetzes-Reformen und stelle deshalb eine der größten Hürden auf dem Weg Serbiens in die Europäische Union dar.
Die DOS-Koalition hatte versprochen, den Verfassungs-Entwurf bis August dieses Jahres zu präsentieren. Doch diese Frist ist verstrichen, die Verfassungskommission ist noch immer von einem konsensfähigen Vorschlag weit entfernt: Dort blockieren die Oppositions-Parteien die Arbeit, aber auch die Regierungs-Koalition ist sich nicht einig in einigen zentralen Punkten.
Streit gibt es vor allem um die Frage, wie die Republik künftig territorial gegliedert wird. Konkret: Welchen Status sollen die einst autonomen Regionen Vojvodina und Kosovo erhalten? Der serbische Premierminister Zoran Zivkovic ist gegen eine erneute Regionalisierung - und negiert indirekt historische Fakten:
"Ich denke, dass dies der falsche Weg ist und die Einführung neuer Grenzen bedeutet. Dafür gibt es keine Grundlagen in unserer Tradition und Geschichte. Es stimmt, dass Europa diese Tradition der Regionalisierung hat, aber es stimmt auch, dass Serbien diese Tradition nicht hatte und diese jetzt auch nicht notwendig ist. Ich denke, dass wir klein genug sind und dass wir lange genug Opfer von Teilungen waren und dass weitere Teilungen falsch wären."
Das sieht der Verfassungsrechtler Stevan Lilic, der Mitglied der Verfassungskommission ist, anders: Er ist der Meinung, dass die Regionalisierung zeitgemäß und mit Blick auf die europäischen Beitrittsbestrebungen des Landes notwendig sei:
"Die neue Verfassung muss eine Rechtsgrundlage sein, die die Voraussetzungen für eine demokratische und offene Gesellschaft schafft. Und dazu gehört unter anderem auch das Recht auf lokale Autonomie."
Lilic schlägt eine serbische Verfassung nach dem Vorbild des deutschen Grundgesetzes vor. Seiner Ansicht nach ist die darin festgeschriebene Föderalisierung auf Serbien übertragbar.
Bogoljub Milosavljevic, der als erster in Serbien das deutsche Grundgesetz übersetzt und publiziert hat, zieht zudem eine historische Parallele:
"Das deutsche Grundgesetz ist in einer Zeit verabschiedet worden, die zum Teil unserer jetzigen in Serbien ähnelt. Deutschland hat damals nach dem Zweiten Weltkrieg eine Reihe von spezifischen Problemen gelöst, von denen viele den unsrigen Problemen ähnlich sind. Um nur ein Beispiel zu nennen: Entnazifizierung."
Größtes Hindernis auf dem Weg zur neuen serbischen Verfassung bleibt der künftige Status des Kosovo. Die unter Verwaltung der Vereinten Nationen stehende Region wird in der UN-Resolution 1244 als Teil Jugoslawiens betrachtet, seit der Umwandlung in einen Staatenbund gilt Kosovo als Teil Serbien-Montenegros. So steht es in der jüngst verabschiedeten serbisch-montenegrinischen Verfassungs-Charta, die auch von internationaler Seite abgesegnet wurde.
Endgültig geklärt ist damit die Status-Frage noch nicht - insbesondere nicht, wie Kosovo nun innerhalb des Staatenbundes zu Serbien steht: Die serbische Verfassungs-Kommission will Kosovo als Teil Serbiens ansehen. Das aber stößt bei albanischen Politikern im Kosovo auf heftigen Protest. Sie sehen die Zukunft nur in der vollständigen Unabhängigkeit von Belgrad.
Der Druck der Europäischen Union auf Serbien, eine Verfassung zu verabschieden, ist groß. Die Verfassungs-Kommission hat im September die Venedig-Kommission des Europarats, die sich mit Demokratisierung und Rechtsstaatlichkeit beschäftigt, um Hilfe gebeten. (fp)