"Können wir uns wenigstens in der Atomenergie halten?"
27. Dezember 2002Moskau, 27.12.2002, ISWESTIJA, russ., Sergej Leskow
Diese Woche hat eine russische Delegation mit dem Atomenergieminister der Russischen Föderation Aleksandr Rumjanzew an der Spitze der Islamischen Republik Iran einen Besuch abgestattet. Die wichtigsten Fragen der Verhandlungen waren der Bau des AKW Buschehr, die Fristen für die Lieferung von atomarem Brennstoff und der mögliche Bau neuer Atomreaktoren. Äußerst komplizierte technische Fragen. Nicht weniger kompliziert war auch der politische Hintergrund des russischen Besuchs. In den amerikanischen Medien waren Satellitenbilder geheimer Atomanlagen aufgetaucht, in denen der Iran angeblich Atombomben bauen wolle. Dabei wird Russland mit seinem friedlichen AKW ungewollt zum Helfershelfer. Ein "Iswestija"-Korrespondent hat den Iran aufgesucht und versucht herauszufinden, was das Atomprogramm dieses islamischen Staates darstellt. (...)
Die Aufnahmen wurden von Satellitenspionen gemacht. (...) Unklar ist jedoch, was man anhand der Dächer von Gebäuden erraten kann. "Das ist mir ebenfalls unklar", sagte Minister Aleksandr Rumjanzew gegenüber "Iswestija". "Diese Aufnahmen zeigten die Amerikaner mir bereits im September. Ich versprach, beim Besuch im Iran entsprechende Fragen zu stellen. Zwei Wochen vor dem Besuch leiteten sie jedoch die Information an die Presse weiter. Das ist keine Sensation, sondern eine politische Aktion, die darauf gerichtet ist, den Bau des AKW in Buschehr durch Russland zu vereiteln. Die Iraner antworteten sofort: soll die IAEA kommen und alles überprüfen. Experten der IAEA treffen im Februar im Iran ein."
Minister aus Russland haben des öfteren den Iran besucht, der seit langem die diplomatischen Beziehungen zu den USA abgebrochen hat. Wieso sind die USA, was diesen Besuch betrifft, so überempfindlich? Weil das russische Atomkraftwerk insoweit fertig ist, dass die Frage über die Einfuhr von atomarem Brennstoff aktuell wird. Der Brennstoff ist schon bereit. Er liegt in Nowosibirsk. Das AKW soll im Dezember 2003 angefahren werden. In der Regel muss der Brennstoff einige Monate lang in Lagern des AKW selbst technologischen Verfahren unterzogen werden. Die Iraner behaupten, dass die Lager bereits im Januar fertig sein werden. Es ist ja klar, dass ein Land, das über 90 Tonnen atomaren Brennstoff - auch wenn friedlichen - verfügt, seinen politischen Status prinzipiell erhöht. Und dass es sich – worüber unendlich gestritten wird – dem Ziel aggressiver Regime (für das sich der Iran nicht hält) nähert: der Herstellung von Atomwaffen. (...)
"Welche Objekte werden die IAEA-Experten zu sehen bekommen", fragte der Iswestija"-Korrespondent den iranischen Vizepräsidenten Gholamresa Akasadeh. "Stimmt es, dass es sich – wie die Amerikaner behaupten – um geheime Reaktoren handelt, die schweres Wasser produzieren werden, das bei der Herstellung von Atomwaffen benötigt wird?" (...)
"Iran ist vollberechtigtes Mitglied der Internationalen Atomenergiebehörde. Nach dem IAEA-Statut sind alle Mitglieder berechtigt, Atomtechnologien im Rahmen des wissenschaftlichen Fortschrittes zu entwickeln. Die IAEA ist verpflichtet, alle seine Mitglieder ohne Ausnahme dabei zu unterstützen und deren Tätigkeit zu kontrollieren. Um so mehr muss sich die IAEA den Staaten widersetzen, die deren Mitglieder bei der Entwicklung von atomaren Technologien behindern. (...) Die Beschuldigungen der USA enthalten weder für uns noch für die IAEA etwas neues. Der Iran wird alle Unterlagen rechtzeitig vorlegen und am 25. Februar den Experten die Objekte zeigen, für die sich diese interessieren. (...)"
Stein des Anstoßes ist also das Atomkraftwerk, das Russland am Persischen Golf errichtet. Die USA fordern Russland mit einer Hartnäckigkeit, die der eines Kindes auf dem Weihnachtsmarkt entspricht, auf, das Projekt einzustellen, das bald fertig ist und mit über 1 Milliarde Dollar bewertet wird. Auch wenn das Projekt völlig mit dem internationalen Recht übereinstimmt, soll es eingestellt werden. Soll doch die IAEA mehr als 60 Delegationen auf den Bau entsenden, mehr als es Wochen im Jahr gibt, der Bau soll trotzdem eingestellt werden. Dabei bieten uns die USA weder Geld noch irgendwelche Präferenzen für den Rückzug aus Buschehr. (...)
Im Herbst ist auf dem Bau in Buschehr mit der Montage des Reaktors begonnen worden. Ein kritischer Punkt beim Bau eines AKW. Wie der Generaldirektor des Baus Aleksandr Ljutyj sagte, haben die Iraner, als in Buschehr schwere Anlagen auftauchten, verstanden, dass wir das AKW nicht im Stich lassen werden. (...)
Eben Buschehr hat etwa 3000 Unternehmen der Branche vor dem finanziellen Untergang gerettet. Erst dann folgten Abkommen mit China und Indien. Es gibt die Hoffnung, dass auch in Russland selbst der Bau der eingefrorenen Reaktoren aufgenommen wird. "Buschehr deckte 70 Prozent unserer Aufträge ab", sagte Jewgenij Sergejew, der Direktor des Unternehmens "Ischorskije sawody", in dem der Reaktor gebaut wurde. "In diesem Jahr ist der Durchschnittslohn im Betrieb fast um das Vierfache gestiegen. Um 3,5mal mehr Steuern haben wir an den Haushalt überwiesen." (...)
Was die Befürchtungen der USA angeht, die Einführung des unberechenbaren fundamentalistischen Regimes in die Welt hoher Technologien könnte dieses in ein potentiell gefährliches Regime verwandeln, darf nicht vergessen werden, dass auf diesem Gebiet mit dem Iran nicht nur Russland zusammenarbeitet. Wenn der Umfang der Zusammenarbeit Russlands mit dem Iran dem stellvertretenden Minister für wirtschaftliche Entwicklung der Russischen Föderation, Wladimir Karastin, zufolge 1 Milliarde Dollar im Jahr erreicht, so übersteigt dieser bei vielen westlichen Ländern 3 und sogar 5 Milliarden Dollar im Jahr. Amerika kann es sich natürlich nicht erlauben, ein so schmackhaftes Stück aus seinem Einflussbereich zu verlieren. (...)
Können denn aus atomarem Brennstoff für Atomkraftwerke Atomwaffen hergestellt werden? Ja. Um jedoch Uran von 4 Prozent auf 92 Prozent anzureichern, müssen einige Betriebe, eigentlich ganze Städte mit qualifiziertem Personal von einigen zehntausend Leuten errichtet werden. Eben die Anreicherungsprozesse gelten bei der Herstellung von Atombomben als die kompliziertesten. Minister Rumjanzew sagte gegenüber "Iswestija": "Für die allgemeine Sicherheit ist es am sichersten, es dem reichen Iran nicht zu erlauben, sich abzukapseln. Ferner müssen dessen Programme kontrolliert werden." (...)
Russland bedeutet für den Iran sehr viel. Der erste Chauffeur des Schahs war ein russischer Offizier, die ersten Autoschlosser waren Russen, der erste Fotograf war ebenfalls ein Russe. Die erste europäisch ausgebildete Militäreinheit waren nach Persien eingeladene Kosaken. Einmal hat der Schah, der vom russischen Ballett begeistert war, seinen ganzen Harem in Ballettröckchen einkleiden lassen. Mit neuen Eisenbahnen kann man heute niemanden mehr beeindrucken, und das Fischereiwesen haben wir aus Dummheit abgegeben. Die wichtigste Frage heute ist, ob wir uns wenigstens in der Atomenergie halten können. (lr)