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Jugoslawiens Präsident sieht keinen Grund für die Ablösung des Militärsicherheitsdienst-Chefs

25. März 2002

- Blic-Interview mit Vojislav Kostunica zur Spionageaffäre und zur künftigen Staatengemeinschaft Serbien und Montenegro

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Belgrad, 22.3.2002, BLIC, serb.

Der Präsident der Bundesrepublik Jugoslawien hat gegenüber "Blic" auf die Forderungen des DOS-Präsidiums geantwortet, General Aleksandar Tomic, den Chef des militärischen Sicherheitsdienstes, abzulösen. Dies sollte wegen der Rolle geschehen, die er bei der Beschattung und der Festnahme des nun bereits ehemaligen serbischen Vize-Ministerpräsidenten spielte. Kostunica erklärt dazu: "Ich würde General Tomic in dem Falle entlassen, wenn ich sicher wäre, dass gegen geltende Vorschriften verstoßen wurde. Es weist allerdings alles darauf hin, dass dies nicht der Fall war und dass General Tomic, der Sicherheitsdienst und die Armee Jugoslawiens nach geltenden Vorschriften verfuhren. Vielleicht sind diese Vorschriften nicht so, wie sie sein sollten. Allerdings ist es manchmal besser, sogar ein schlechtes Gesetz zu befolgen, als etwas zu befolgen, was kein Gesetz ist. Denn dann ändert sich die Lage und es wird die Anarchie geachtet. Dies würde sicherlich nicht zur Stabilität des Landes beitragen, die für uns mehr als notwendig ist. Nach den Angaben, über die ich augenblicklich verfüge, wurde im Einvernehmen mit den geltenden Bestimmungen verfahren". Präsident Kostunica sagte ferner: "All dies wird nochmals zur Sprache kommen, und wir werden in einigen Tagen ein vollkommenes Bild erhalten, wenn der Oberste Verteidigungsrat zusammenkommt und ein detaillierter Bericht vorgelegt wird".

Frage: Manche könnten Ihnen erneut vorwerfen, dass Sie ein bestimmtes Problem auf die Einhaltung der Regeln übertragen.

Antwort: Wir sollten die Tatsache nicht aus den Augen verlieren, dass wir in diesem Fall mit einer neuen Situation konfrontiert sind. Mein erster Eindruck war sehr betrüblich. Denn in dem Moment, als wir ein Abkommen über die Beziehungen zwischen Serbien und Montenegro erzielt hatten, und wir eine stabile Lage benötigten, um mit der Umsetzung des Vereinbarten zu beginnen, ereignete sich die Spionage-Affäre, in die General Perisic verwickelt ist. Selbstverständlich könnte man jetzt sagen, ähnliche Dinge geschehen in allen Staaten. Nur ertragen sie Staaten schlechter, die noch nicht geordnet sind und die noch nicht ihren Staatsstatus geregelt haben... Die erste Sache, die betrachtet werden muss, ist, wie es mit den Vorschriften aussieht. Sie wurden beachtet, und selbstverständlich könnten sie anders aussehen. Andererseits setzen sich viele dafür ein, dass der Geheimdienst vollkommen unter zivile Aufsicht gestellt wird und dass seine Arbeit transparent wird. Allerdings muss man sich dann die Frage stellen, in wie fern er dann noch ein Geheimdienst ist...

Frage: Premier Zoran Djindjic sagte, dass Tomic nicht abgelöst werden müsse, sondern auch pensioniert werden könne.

Antwort: Wenn solche Erklärungen abgegeben werden, wäre es korrekt zu erwähnen, was sich der General bei den geltenden Bestimmungen hat zu Schulden kommen lassen. Das ist der springende Punkt. Erklärungen und Einschätzungen wie, dass der militärische Geheimdienst sich der Kontrolle entzogen hätte, dass er niemandem Rechenschaft über seine Arbeit ablegt, dass er über dem Staat steht, wirken ziemlich pauschal. Man sollte wissen, wie dieser Dienst funktioniert, was allerdings nicht bedeutet, dass nichts bezüglich seiner Funktionsweise geändert werden müsste. Seine Funktionsweise wird durch ein Gesetz aus dem Jahre 1976, also aus Broz‘ Zeiten geregelt (Josip Broz Tito, Präsident des sozialistischen Jugoslawien seit seiner Gründung 1943 bis zu seinem Tode 1980 – MD). Dies alles spricht dafür, wie die Verhältnisse im Lande sind, weist aber gleichzeitig darauf hin, dass es nur eine Adresse gibt, wo dies gelöst werden kann, und zwar das Bundesparlament. Daher verwundern mich auch die bitteren Reaktionen auf die zivile und parlamentarische Kontrolle der Armee Jugoslawiens, die gerade von einzelnen Bundesabgeordneten stammen. Keinem von ihnen ist in den Sinn gekommen, dass dies ihre Arbeit ist und dass sie nicht erwarten können, dass Lösungen vom Himmel fallen oder aus einer anderen Hauptstadt der Welt kommen. Bedauerlicherweise fehlen uns noch viele Vorschriften und ich hoffe, dass aufgrund des Abkommens zwischen Serbien und Montenegro beziehungsweise aufgrund der Verfassungscharta dieser Prozess in Gang gesetzt wird, damit die Zuständigkeiten der Mitgliedrepubliken, des Bundesstaates, aber auch des militärischen Sicherheitsdienstes, seine Funktion und Kontrolle definiert werden.

Frage: Einige behaupten, Sie hätten aufgrund Ihrer Funktion von der vorgenommenen Beschattung des Generals Perisic, die mehrere Monate dauerte, wissen müssen.

Antwort: Es gibt bestimmte Vorkommnisse, über die ich im Hinblick auf die Lage bei der Armee Jugoslawiens vertraut sein muss. Und damit war ich auch vertraut. Beispielsweise wenn die Gefahr von Terrorismus in Südserbien oder in Kosovo und Metohija besteht, wenn Fälle von Korruption und Kriminalität in der Armee auftauchen, die als Militärgeheimnis einzustufen sind. Also mit all diesen Vorkommnissen, einschließlich des zuletzt genannten, war ich vertraut. Alles Übrige obliegt der Zuständigkeit der einzelnen Dienste, einschließlich des militärischen Sicherheitsdienstes, der nach den geltenden Regeln funktioniert. Damit er eine Operation starten kann, ist die Zustimmung des Generalstabschefs erforderlich. Im Übrigen muss auch die Staatssicherheit bei einer ähnlichen Aktion in ihrem Zuständigkeitsbereich die Zustimmung des Obersten Gerichtshofes erhalten. Alles, was darauf folgt, ist Angelegenheit der Leute, die für den Sicherheitsdienst arbeiten. Sie können im Laufe einer Operation weder gegenüber den Kontrollorganen noch gegenüber dem Parlament Rechenschaft ablegen, sondern sie legen erst Rechenschaft ab, wenn die übernommene Aktion beendet ist. Das Problem besteht darin, dass wir keine zivile Staatssicherheit auf der Ebene des gesamten Staates haben. Die Ressorts des Staatssicherheitsdienstes befinden sich in beiden Republiken. Daher ist der militärischen Sicherheit die größte Aufgabe zugefallen, wenn es um die Sicherheit im Bereich der militärischen Fragen und der Militärspionage geht. Es bestand aber auch nicht der politische Wille, eine bessere Kooperation zwischen der militärischen und der zivilen Staatssicherheit herzustellen. Daher ist die Idee entstanden, dass ein Nationaler Sicherheitsrat gegründet wird, der diese Dienste und die Leute, in deren Zuständigkeitsbereich sie fallen - darunter die Premiers der Republiken – im Rahmen eines Organs vereint und eine bessere Koordination, Kooperation und einen besseren Informationsfluss ermöglicht. Gerade die verspätete Information über die Verhaftung von General Perisic und des amerikanischen Diplomaten war sehr umstritten.

Frage

: Lassen Sie uns doch noch das Dilemma auflösen: Hatten Sie nun Kenntnis über die gesamte Beschattungsaktion und hat Generalstabschef General Nebojsa Pavkovic den Befehl für diese Operation erteilt? Denn er hat erklärt, dass er nichts von der Verhaftung gewusst habe.

Antwort

: Ich war nicht mit den Einzelheiten der Aktion vertraut. Mit der gesamten Operation müsste der Generalstabschef der Armee Jugoslawiens vertraut gewesen sein.

Frage

: General Pavkovic hat erklärt, er habe nichts davon gewusst. Bezieht sich das auf die gesamte Operation oder lediglich auf den Augenblick, als die Verhaftung durchgeführt wurde?

Antwort

: Seine Aussage bezieht sich lediglich auf die Verhaftungsaktion, er war aber über die gesamte Operation informiert.

Frage

: Und er hat die Erlaubnis gegeben, dass sie durchgeführt wird?

Antwort

: Ja. Nach den Reglementierungen besteht allerdings nicht die Pflicht, den Generalstabschef über den eigentlichen Zeitpunkt der Ausführung der Aktion zu informieren, in diesem Falle über die Verhaftung, falls dies die Umstände verhindern. Selbstverständlich ist das eine Frage der Einschätzung, ob es in diesem Falle die Umstände verhindert haben.

Frage

: Hat die Verhaftung des amerikanischen Diplomaten ernsthafte Folgen für die Beziehungen zu den USA hinterlassen und ist der amerikanische Diplomat aus der Bundesrepublik Jugoslawien abgezogen worden?

Antwort

: Sie haben gesehen, dass nach ein bis zwei scharfen Reaktionen aus Washington beruhigende Töne folgten und dass gesagt wurde, dass es sich nicht um etwas handelt, was die bilateralen Beziehungen gefährden könnte. Uns ist sehr daran gelegen, gute Beziehungen zu den USA zu hegen. Dieser Zeitpunkt ist delikat. Aber in dieser friedlichen Atmosphäre wird auch das Problem um den amerikanischen Diplomaten gelöst. Dies ist augenblicklich nichts Öffentliches und soll es auch nicht sein. Bedauerlicherweise wurde die Identität und die Staatsangehörigkeit des Diplomaten in den Medien veröffentlicht, was nicht hätte geschehen dürfen. Dies zeigt, dass einige Leute im Staatsapparat sich nicht bewusst sind, wie sensibel mit einer solchen Situation umgegangen werden muss und welche Regeln befolgt werden müssen.

Frage

: Westliche Medien und Analytiker nennen Sie am häufigsten im Zusammenhang mit dem "Fall Perisic" und behaupten, es handle sich um einen versuchten Staatsstreich gegen die Regierung Serbiens.

Antwort

: Ein Teil der westlichen Medien, der Nicht-Regierungsorganisationen, die doch nicht neutral sind, sondern regierungsnah sind und als Propagandazentren ihrer Regierungen wirken, haben bestimmte Stereotype über die politischen Verhältnisse in Serbien geschaffen. Diese Stereotype enthalten sehr viel Altes, Autoritäres, ja sogar Kommunistisches. Daher auch die Schwarz-Weiß-Aufteilungen in Patrioten und Verräter, in Reformverfechter und Anti-Reformkräfte, prowestliche und antiwestliche politische Führer... Tatsache ist aber, dass die Regierung im Lande das Mandat auch für eine Politik der Öffnung zum Westen und für Reformen erhalten hat. Das heißt, ein Teil der Menschen im Westen konstruiert diese Aufteilungen und geht in die Richtung, die bereits geebnet ist, und interpretiert jedes Ereignis und jede Streitigkeit bei uns im Rahmen der vorgegebenen Klischees, und manchmal reagieren sie wie ein Affe auf Bananen.

Frage

: Eine ähnliche Beziehung hat ein Teil der westlichen Öffentlichkeit zu Ihnen auch bei der Kooperation mit dem Internationalen Haager Kriegsverbrechertribunal, insbesondere, wenn das berühmte Datum, der 31. März genannt wird?

Antwort

: Es ist wirklich interessant, wie bewiesen werden kann, dass die Zusammenarbeit gebremst wird, wenn Sie sich dafür einsetzen, dass ein Gesetz verabschiedet werden soll, wodurch eine Zusammenarbeit ermöglicht werden soll. Dieses Gesetz ist eine Kompromisslösung, da Kompromisse bei Problemlösungen notwendig sind, wie es sich auch beim Abkommen über die Beziehungen zwischen Serbien und Montenegro gezeigt hat. Das heißt, wir haben einen Teil der Öffentlichkeit, der sich dafür einsetzt, dass das Gesetz komplett im Bundesparlament verabschiedet wird. Und ein anderer Teil, es handelt sich dabei um die montenegrinische Koalition "Gemeinsam für Jugoslawien", vertritt die Ansicht, dass dieses Gesetz lediglich zu einem Teil auf Bundesebene geregelt werden dürfte, wobei der übrige Teil in die Zuständigkeit der Republiken fiele. Dadurch würde dann auf gewisse Weise vermieden, die Verantwortung zu übernehmen. Aber das Gesetz kann auch auf diese Weise zugeschnitten werden. Schlussendlich gibt es noch eine Strömung in Serbien, die diesen Kompromiss nicht annehmen will.

Frage

: In den Medien und auch teilweise in der Öffentlichkeit laufen bereits "Wettannahmen", wer als nächster Kandidat für Den Haag gilt. Kann es passieren, dass noch, während dieses Gespräch für die Veröffentlichung vorbereitet wird, oder einen Tag später, jemand nach Den Haag "abreist" aufgrund des Statuts des Tribunals, für dessen Anwendung sich einige führende DOS-Mitglieder einsetzen?

Antwort

: Ich glaube auch weiterhin, dass diese Lösung nicht richtig ist und dass wir ein Gesetz brauchen. Ein beachtlicher Teil der Einwände, die gegen mich als Staatspräsidenten aus dem Ausland erhoben werden, scheint einfach unglaublich. Im Endeffekt sieht es so aus, als ob der Beschluss über die Auslieferung unserer Bürger als direkte Form der Zusammenarbeit etwas wäre, was allein in meiner Macht steht und was ich veranlassen oder verhindern könnte.

Frage

: Sie haben erklärt, dass das Abkommen über die Beziehungen zwischen Serbien und Montenegro ermutigend sei. Sie haben zuvor Ihr Mitarbeit bei den Wahlen und in der DOS an den Fortbestand der Föderation geknüpft. Besteht sie denn nun fort oder haben wir etwas erhalten, was auf drei Jahre begrenzt ist?

Antwort

: Ich glaube, wir haben die Föderation erhalten. Es fiel mir sehr schwer, mich an der Schaffung eines Abkommens zu beteiligen, das in mancher Hinsicht im Gegensatz zu meinem ersten Aufruf stand. Da gibt es viele Bestandteile, die aus der Politik hervorgehen. Wir standen allerdings vor dem Dilemma, ob wir diesem Staat die Chance geben, sich noch stärker als bislang zu integrieren und zu erreichen, dass er von niemandem mehr angefochten wird, was außerordentlich wichtig ist. Es spricht niemand mehr von einer sogenannten Regierung und einem sogenannten Präsidenten (wie es die montenegrinische Regierung zuvor tat, die den bestehenden Bund in dieser Form ablehnte – MD). Es wird eine Verfassungscharta verabschiedet, hinter der alle stehen werden. Es werden Wahlen abgehalten, die die politischen Schlüsselkräfte in Montenegro nicht boykottieren werden (wie sie es bei den letzten Parlamentswahlen taten – MD), was weitaus besser ist, als das, was wir zuvor hatten. Ein Staat, der seine Organe und Gesetze für alle Bürger hat, ist ein föderaler Staat. Selbstverständlich existieren auch einige konföderative Bestandteile...

Frage

: Ohne eine gemeinsame Währung, mit dem angekündigten Zoll an der Grenze zu Montenegro, ohne einheitliche Steuerpolitik ist es schwierig, von einem föderalen Staatssystem zu sprechen...

Antwort

: In diesem Sinne schon. Im Hinblick auf die politischen Institutionen und Integrationen haben wir mehr erreicht als auf wirtschaftlicher Ebene, wo wir eine ererbte Situation vorfanden. Es ist allerdings wichtig, dass wir von der Welt unterstützt werden. Es liegt an uns, konstruktiv zu handeln, und es wird die Möglichkeit bestehen, viel zu erreichen. Schlussendlich sind wir die Schmiede unseres Glücks, denn Europa hat das Seine getan. Im Hinblick auf die Befristung sollte klar sein, dass sie sein kann, aber nicht sein muss. Dies ist eine Möglichkeit, die offen geblieben ist, aber zu nichts verpflichtet. Wenn sich die Dinge in eine positive Richtung entwickeln, glaube ich, dass es sich herausstellen wird, dass es nicht mehr nötig sein wird, den Staat auf seine Funktionsweise zu überprüfen.

Frage

: Die Medien in Podgorica haben gemeldet, es sei vereinbart worden, dass Filip Vujanovic der erste Präsident von Serbien und Montenegro wird. Ist das richtig?

Antwort

: Wir haben uns mit dieser Frage nicht beschäftigt. Ich muss allerdings daran erinnern, dass ich mich, bevor ich die Kandidatur zum Präsidenten der Bundesrepublik Jugoslawien annahm, auch bereit erklärt hatte, mich zurückzuziehen, falls jemand aus Montenegro die Kandidatur annehmen wollte. Da nämlich auch die drei vorherigen Präsidenten der Bundesrepublik Jugoslawien aus Serbien waren, wäre es vollkommen logisch gewesen, dass Montenegro den folgenden Präsidenten stellt. Es ist nun mal eingetroffen, dass auch der vierte aus Serbien kommt und mein Standpunkt ist vollkommen eindeutig – diesmal sollte es jemand aus Montenegro werden.

Frage

: Heißt das, dass Sie Ihre Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen in Serbien ankündigen?

Antwort

: Das heißt, dass ich augenblicklich keinen größeren Wunsch habe, als dass die Verfassungsfrage im Lande gelöst wird. Darüber hinaus denke ich nicht. Dies bestätigen auch meine Worte, dass ich mein Amt niederlegen werde, falls das Abkommen nicht in allen drei Parlamenten angenommen wird. (md)