"Jugoslawien-Tribunal schließt erst, wenn alle Gesuchten ausgeliefert sind"
13. Januar 2003Köln, 10.1.2003, DW-radio / Serbisch, Liljana Renke
Die USA haben eine neue diplomatische Initiative gestartet, um die Regierungen in Belgrad, Zagreb und Sarajewo dazu zu bringen, ihre Verpflichtungen gegenüber dem internationalen Kriegsverbrecher-Tribunal in Den Haag zu erfüllen. Der für die Kriegsverbrecher-Frage zuständige Botschafter im State Departement, Pierre Richard Prosper, wird in einigen Tagen erneut zu einer Reise nach Südosteuropa aufbrechen. Im Gepäck hat er die üblichen Requisiten "Zuckerbrot und Peitsche". Mit finanziellen Anreizen will er Jugoslawien zur Auslieferung der bekanntesten Haag-Flüchtigen bewegen. Sonst droht dem Land das Ende der Hilfe und Unterstützung der internationalen Finanzinstitutionen.
Prosper hat vor seiner Abreise unterstrichen, dass das Hauptthema seiner Gespräche in Belgrad die Auffindung und Verhaftung des ehemaligen Armeechefs der Republika Srpska, Ratko Mladic, sei. Der soll sich - wie man schon seit langer Zeit sowohl in Washington als auch in Den Haag behauptet - in Serbien aufhalten. Prosper sagte in einem Gespräch mit der Deutschen Welle:
"Es gibt unterschiedliche Informationen, aber alle deuten darauf hin, dass es sich um serbisches Territorium handelt. Und wir fordern die Zuständigen auf, ihn zu verhaften oder uns bei der Suche nach ihm zu helfen. Und das ist etwas, was ohne Widerspruch zu geschehen hat."
Westliche Diplomaten in Belgrad wie auch Belgrader politische Analysten glauben, dass Mladic in Jugoslawien unter dem Schutz des Geheimdienstes der Armee lebt. Der jugoslawische Außenminister Goran Svilanovic, der auch Vorsitzender des Nationalrates für die Zusammenarbeit mit Den Haag ist, behauptet, ihm sei nicht bekannt, wo sich Mladic aufhalte. Mehr will er nicht zu diesem Thema sagen.
Die Sprecherin des Jugoslawien-Tribunals Florence Hartmann betonte in einem Interview mit der Deutschen Welle, in Den Haag werde man so lange arbeiten, bis Radovan Karadzic und Ratko Mladic verhaftet seien:
"Das Gericht wird seine Pforten noch für einige Jahre nicht schließen, solange, bis nicht auch Karadzic und Mladic ausgeliefert sind. Jede Rechnung, dass man still irgendwo in den Wäldern oder an anderen Orten abwarten könne, bis das Gericht die Türen schließt, ist eine völlig falsche Rechnung."
Die Vorsitzende des jugoslawischen Komitees für Menschenrechte, Biljana Kovacevic Vuco, sagte der Deutschen Welle, dass diejenigen, die Mladic schützen, die eigentlichen Machthaber in Serbien seien:
"Eine Operation Mladic ist keine Operation, die in Serbien zu Erschütterungen führen würde, so wie auch die Auslieferung Milosevics kein Erdbeben hervorgerufen hat. Aber der, der Mladic schützt, ist der wahre Träger der Herrschaft und das ist das wahre
Zentrum der Macht in Serbien."
Die ganze Geschichte der Tribunal-Flüchtigen konzentriert sich so auf Mladic. Aus Haag kommt allerdings die Botschaft, dass keiner der anderen Flüchtigen der Gerechtigkeit entgehen dürfe. Derzeit laufen zudem Verhandlungen zwischen Belgrad und Den Haag über die Auslieferung des ehemaligen serbischen Präsidenten Milan Milutinovic. Bei Prospers Reise geht es aber nicht nur um die Auslieferung mutmaßlicher Kriegsverbrecher, sondern auch um die Dokumente, die von Jugoslawien immer noch als Staatsgeheimnis behandelt werden.
In Zagreb reagiert man ähnlich wie in Belgrad: Die bevorstehende Ankunft Prospers will man nicht kommentieren, denn - so heißt es - man habe kein offizielle Ankündigung seines Besuches. In Kroatien soll es um die Generäle Ante Gotovina und Janko Bobetko gehen, denen Den Haag Kriegsverbrechen vorwirft. In beiden Fällen war die Regierung in Zagreb bisher nicht zu einer Auslieferung bereit. Gotovina halte sich an einem unbekannten Ort auf, und bei Bobetko müsse erst der Gesundheitszustand geprüft werden, heißt es. Beobachter halten jedoch eher den Widerstand in der Bevölkerung gegen eine Auslieferung der Generäle für den wahren Grund für die zögerliche Haltung der kroatischen Regierung in dieser Frage.
Der in Washington arbeitende politische Analyst Obrad Kesic sieht indes in Prospers Mission zwei Ziele, die für die US-Regierung derzeit von großer Wichtigkeit seien: Die erste Aufgabe sei die Zusammenarbeit der Länder auf dem Balkan bei den Vorbereitungen für einen eventuellen Krieg gegen den Irak. Bulgarien und Rumänien haben bereits ihre Luftkorridore für Nato und US-amerikanische Flugzeuge freigegeben. Und die zweite sei die Zusammenarbeit mit Den Haag:
"Die US-Administration möchte gerne weitere Auslieferungen sehen, denn aus dem Senat kommt großer Druck in dieser Frage. Wenn bis zum 31. März in diesem Sinne kein guter Wille gezeigt wird, dann wird auch die Hilfe für Serbien ausgesetzt werden. Das zweite Problem ist Kroatien. Der Fall General Bobetko wird für die amerikanisch-kroatischen Beziehungen für wichtig gehalten. Prosper hat die Absicht, in dieser Frage Druck auch auf Kroatien auszuüben." (fp)