"Jugoslawien sollte nicht auf formal-juristischen Mängeln bestehen"
11. November 2002Köln, 8.11.2002, DW-Radio / Serbisch
Gestern (7.11.) endete die Anhörung vor der Beschwerdekammer des Internationalen Gerichtshof (ICJ) in Den Haag. Die Beschwerde reichte Jugoslawien ein, das von Bosnien-Herzegowina wegen Völkermordes angeklagt wurde. Jugoslawien zweifelt jedoch die Zuständigkeit dieses Gerichtshofes an, da dieses Land zum Zeitpunkt, als die Klage erhoben wurde, nicht Mitglied der UN war. Der Beschluss der Kammer, ob das ICJ in diesem Fall zuständig ist, wird für Anfang nächsten Jahres erwartet. Über dieses Verfahren sprach DW-Mitarbeiter Ivica Petrovic mit der Vorsitzenden des Jugoslawischen Komitees der Juristen für Menschenrechte Biljana Kovacevic-Vuco.
Der Prozess, der vor dem ICJ von Bosnien-Herzegowina gegen Jugoslawien wegen Völkermord eingeleitet wurde, wird im Allgemeinen sporadisch und oberflächlich in den jugoslawischen Medien behandelt. Die meisten Berichte beziehen sich auf Agenturmeldungen. Darin wird angemerkt, dass das Verfahren in den Medien Bosnien-Herzegowinas ausführlich behandelt wird. Dies war auch für DW-radio der Anlass, Biljana Kovacevic-Vuco, Vorsitzende des Jugoslawischen Komitees der Juristen für Menschenrechte, JUKOM, zu fragen, ob dieser Prozess in der jugoslawischen politischen und juristischen Öffentlichkeit mit ausreichendem Ernst behandelt wird.
Antwort
: Ich muss da etwas unangenehm werden und sagen, dass in der politischen und juristischen Öffentlichkeit seit dem 5. Oktober (2000 – an diesem Tag wechselte das Regime in Belgrad und Milosevic trat zurück – MD) bis heute nichts ernst genommen worden ist. Es wird weder der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY – MD) noch wird diese Klage richtig ernst genommen. (...) Hier fand ein schrecklicher Krieg statt und es fanden schreckliche Verbrechen statt. Wir müssen dabei den moralischen, politischen und juristischen Aspekt voneinander trennen. Dabei erachte ich es als legitim und letztlich auch als Pflicht eines jeden Bürgers, sich dafür einzusetzen, dass die zu leistenden Reparationen möglichst gering gehalten werden. Ich vertrete aber gleichzeitig die Ansicht, dass moralische Forderungen bestehen, die nicht geleugnet werden dürfen.Frage
: Was erwarten Sie dann von der Verteidigung in diesem Prozess?Antwort:
Ich glaube, dass die Strategie der Verteidigung sowohl rechtlich als auch politisch schlecht durchdacht ist. Sie kann uns durchaus in eine viel schwierigere Lage versetzen, als es die damit befassten Prozessbevollmächtigten auf den ersten Blick erfassen konnten. Zunächst wirkt eine solche formal-juristische Beschwerde, die sich auf die UN-Mitgliedschaft bezieht, absurd (...). Ich würde mir zwar persönlich wünschen, dass wir keine Reparationen zu leisten hätten. Denn ich möchte nicht, dass meine Kinder für Kriegsschäden aufkommen, die wir verursacht haben. Allerdings sollten rechtliche Schritt jedenfalls mit mehr Verantwortung, moralischer Würde und politischem Ernst behandelt werden. Schließlich sind sie lediglich ein Instrument, um bestimmte politische Ziele zu erreichen. Daher darf Jugoslawien nicht auf formal-juristischen Mängeln bestehen (...). Es sollte vielmehr darauf bestehen, sich von der Politik Milosevics abzugrenzen, und neue Beziehungen, grundlegend neue Beziehungen zu den ehemaligen jugoslawischen Republiken, nun eigenständigen Staaten, aufbauen. (md)