Jemen: Entführungen verschärfen humanitäre Lage
30. Januar 2025Welchen Kurs schlägt die weite Teile des Jemen beherrschende Huthi-Miliz ein? In der vergangenen Woche entführte die Extremisten-Gruppe in der Landeshauptstadt Sanaa sieben Mitarbeiter der Vereinten Nationen (UN). Nur einen Tag später ließ sie die 25-köpfige Besatzung des Handelsschiffes Galaxy Leader frei, das sie im November 2023 gekapert hatten. Und noch einen Tag später ließen sie Angaben des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes zufolge zudem 153 Kriegsgefangene frei.
"Dieser Schritt erfolgt im Rahmen der Unterstützung des Waffenstillstandsabkommens in Gaza", zitierte die von Rebellen kontrollierte Nachrichtenagentur "Saba" den Führer der Huthi, Abdul-Malik al-Huthi. Bislang allerdings haben die Huthi noch keine Erklärung zur Entführung der UN-Mitarbeiter abgegeben.
"Die Huthi haben die UN-Mitarbeiter gefangengenommen, weil diese für die Aushandlung eines Abkommens besonders wertvoll sind", meint Abdulghani al-Iryani vom jemenitischen Thinktank Sanaa Center for Strategic Studies, im Gespräch mit der DW.
Ähnlich sieht es der in Washington ansässige Konflikt-Analyst Hisham Omeisy. Die Huthi wollten sich für neue Verhandlungen rüsten, meint auch er. Die Huthi spielten "ihre Karten aus und setzten auf das, was sie seit jeher am besten können, nämlich Geiselnahme und Anwendung von Gewalt", so Omeisy zur DW.
Erneute Einstufung als Terrororganisation
Omeisy glaubt, dass auch die offizielle Wieder-Einstufung der Huthi als "ausländische Terrororganisation" seitens der USA eine Rolle gespielt haben dürfte. Sie könnte die Huthi bewogen haben, zu demonstrieren, dass sie sich davon nicht einschüchtern ließen. Das entsprechende Dokument hatte US-Präsident Donald Trump nur wenige Stunden nach seiner Amtseinführung am 20. Januar unterzeichnet. Das Dekret tritt innerhalb von 30 Tagen, also Ende Februar, in Kraft.
Die für die Einstufung maßgeblichen Attacken auf Israel und die internationale Schifffahrt im Roten Meer begründen die Huthi damit, dass sie damit die Palästinenser und die in mehreren Ländern als Terrororganisation gelistete Hamas im Gaza-Krieg unterstützen wollten.
Bemerkenswert dabei: Wiederholt hatte die Gruppe versprochen, ihre Aktionen einzustellen, sobald ein Waffenstillstand in Kraft sei. Nachdem Israel und die Hamas Anfang dieses Monats jedoch tatsächlich einen Waffenstillstand vereinbarten, erklärten die Huthi jedoch zunächst, sie würden dennoch weiterhin in israelischem Besitz befindliche oder in Israel registrierte Schiffe angreifen.
Allerdings werde sie ihre Angriffe vollständig einstellen, sobald die nächsten Phasen des Friedensabkommens in Kraft seien, kündigte die Miliz an.
USA wollen Huthi zur Verantwortung ziehen
"Die jüngsten Aktionen der Huthi zeigen, wie verlogen die Erklärung der Terrorgruppe ist, sie wolle deeskalieren", kommentierte das US-Außenministerium kürzlich die jüngsten Entführungen. "Zudem zieht sie ihre Behauptung, sie vertrete die Interessen des jemenitischen Volkes, ins Lächerliche."
"Die Anordnung des Präsidenten zur Einstufung der Huthi als ausländische Terrororganisation erkennt diese Realitäten an und wird die Gruppe für ihre rücksichtslosen Angriffe und Aktionen zur Verantwortung ziehen", heißt es in der Erklärung weiter.
Es ist nicht das erste Mal, dass die USA die Huthi als Terroristen einstufen. Bereits zu Ende seiner ersten Amtszeit im Januar 2021 hatte Trump die Huthi als ausländische Terrororganisation listen lassen. Sein Nachfolger, Joe Biden, widerrief im Februar 2021 diesen Status vorübergehend in der Hoffnung auf einen Abbau von Feindseligkeiten - stufte die Miliz dann aber 2024 als "globale" Terrororganisation ein, eine ähnliche Kategorie, die aber weniger Restriktionen nach sich zieht.
Keine Sorge vor Konsequenzen bei den Huthi
Es gebe insgesamt wenig Anzeichen dafür, dass die Huthi über die erneute und verschärfte Einstufung durch das Trump-Dekret sonderlich besorgt seien, meint Omeisy: "Mit ihren Angriffen und Entführungen kamen sie bereits in der Vergangenheit durch. Ihre Aktionen hatten für sie bislang keine ernsthaften Konsequenzen."
Seit 2021 haben die Huthi wiederholt internationale Vertreter der UN, internationaler Hilfsorganisationen und diplomatischer Vertretungen entführt. Inzwischen sollen sie rund 70 Menschen als Geiseln halten. "Sie glauben, dass die UN und andere Organisationen ihre Programme nicht einstellen werden, da der restliche Jemen weiterhin auf Hilfe angewiesen ist", kommentiert Omeisy.
Ausgesetzte Hilfe betrifft Mehrheit der Bevölkerung im Jemen
Als Folge der jüngsten Entführungen haben die UN allerdings beschlossen, jegliche Form der Hilfe in den von den Huthi kontrollierten Gebieten einzustellen. Von den Auswirkungen dieser Entscheidung sind etwa 70 Prozent der jemenitischen Bevölkerung betroffen.
"Um die Sicherheit aller ihrer Mitarbeiter zu gewährleisten, haben die Vereinten Nationen alle offiziellen Bewegungen in die und innerhalb der unter der Kontrolle der De-facto-Behörden stehenden Gebiete ausgesetzt", erklärte der humanitäre Koordinator für den Jemen, Julien Harneis, in der vergangenen Woche. "Die Festnahmen stellen eine beunruhigende Störung der humanitären Operationen im Jemen dar. Zugang und Sicherheit der Helfer sind weiterhin kritisch."
Die Bevölkerung des Jemen trägt bereits seit längerem die Hauptlast des jahrzehntelangen Konflikts zwischen den Huthi und der international anerkannten Regierung des Landes.
Im Jahr 2014 hatte die Huthi-Miliz die jemenitische Regierung gestürzt und die Hauptstadt Sanaa eingenommen.
Der Krieg eskalierte 2015, als sich eine von Saudi-Arabien angeführte internationale Koalition zur Unterstützung der offiziellen jemenitischen Regierung bildete. Nach einem Waffenstillstand im Jahr 2023 endeten die Kämpfe weitgehend.
Das Land bleibt jedoch gespalten, und die Huthi kontrollieren weiterhin den größten Teil des Landes, vor allem den Norden und Westen. Die jahrelangen Kämpfe haben die jemenitische Bevölkerung in eine der weltweit schlimmsten humanitären Krisen gestürzt. Seit Beginn des Krieges wurden rund 150.000 Personen - Kämpfer ebenso wie Zivilisten - getötet und 4,8 Millionen Menschen vertrieben. Die Zahl der auf humanitäre Hilfe angewiesenen Jemeniten steigt kontinuierlich.
Jüngsten Berechnungen des UN-Büros zur Koordinierung humanitärer Angelegenheiten zufolge benötigen im Jahr 2025 rund 19,5 Millionen Menschen - die Hälfte der Bevölkerung - humanitäre Hilfe. Im Vergleich zu 2024 bedeutet dies einen Anstieg um 1,3 Millionen Personen.
Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.