"Japan bekommt die Kurilen"
13. Januar 2003Moskau, 13.1.2003, NESAWISSIMAJA GASETA, russ., Jewgenij Werlin
Tokio hält den gestern (12.1.) zu Ende gegangenen Besuch des japanischen Ministerpräsidenten Junichiro Koizumi in Russland für einen "epochalen". Ein Stück Wahrheit steckt da tatsächlich drin. Die Führer beider Staaten unterzeichneten nicht einfach eine weitere gemeinsame Erklärung, sondern fügten dieser auch den "Japanisch-russischen Aktionsplan" bei, eine Art "Leitkarte", wie Koizumi es ausdrückte, die auf die kardinale Änderung der Beziehungen abzielt.
Wie ein Vertreter der japanischen Delegation Journalisten mitteilte, sei der Gedanke, einen "Aktionsplan" anzunehmen, von Koizumi beim "G-8"-Gipfel in Kananaskis (Kanada, 2002 – MD) geäußert und von Putin unterstützt worden. Unseren Angaben zufolge hat jedoch eben die russische Seite Japan seit langem dazu angespornt. Andernfalls sei es nach Überzeugung von Moskau sehr schwierig, die gefährlichsten "Unterwassersteine" auf dem Wege zur Schließung des Friedensvertrages und der völligen Normalisierung der bilateralen Beziehungen zu umgehen.
Die Seiten waren bereits unter Jelzin übereingekommen, sowohl das eine als auch das andere "durch die Lösung der Frage über die Zugehörigkeit" der vier Südkurilen-Inseln zu erreichen. Im Unterschied zu vorausgegangenen Erklärungen zu diesem Thema enthält das neue Dokument jedoch keine "voreiligen" Formulierungen. Die darin festgehaltene "Entschlossenheit, durch energische Verhandlungen so bald wie möglich einen Friedensvertrag zu schließen...", bedeutet, dass die Seiten das gesetzte Ziel nicht vor Frühjahr 2004 erreichen werden, wenn Wladimir Putin zum zweiten Mal zum Präsidenten gewählt wird.
In dem Teil des russischen Establishments, der im Prinzip bereit ist, Japan die Inseln abzugeben, wird seit langem darüber gesprochen, dass das nur durch eine angemessene "Ablösung" seitens der Japaner möglich sei. Die Idee "Inseln im Austausch gegen Investitionen" sah schon wegen des ungünstigen Investitionsklimas in Russland unrealistisch aus. Wie Skeptiker mit Recht annahmen, hätte die Formel "morgens Stühle (Inseln), abends Geld (private Investitionen)" in diesem Fall nicht gegriffen. Wie auch die entgegengesetzte Variante (die von den Japanern abgelehnt wurde): "morgens Geld – abends Stühle". Ein "Aktionsplan", bemerkte Putin, wird nicht auf "Wirtschaftsvorteilen im gleichen Augenblick" aufgebaut: hier wird weiter ausgeholt, das "Inselproblem" wird allmählich gelöst werden, je nach Verlagerung des ganzen Komplexes der bilateralen Beziehungen auf ein prinzipiell neues Niveau.
Bei den Verhandlungen mit dem Gast im engen Kreis bemerkte Putin, dass es sehr wichtig sei zu wissen, wie das russische Volk darüber denkt. Hinter diesen Worten verbirgt sich das Offensichtliche: obwohl der jetzige Kremlherr versteht, dass es notwendig ist, den Japanern die Inseln zu übergeben, ist er in seinem Vorgehen eingeschränkt. Und das bedeutet, wenn die "Stühle" auch verkauft werden, so unter der Bedingung, dass von Japan eine "Vorauszahlung" in Form von großen Schritten Japans zur Verbesserung und Entwicklung der Beziehungen zu unserem Land erfolgen wird.
Koizumi bekräftigte im engen Kreis "die konsequente Position in der territorialen Frage, die darin besteht, dass erst die Frage über die Zugehörigkeit der Inseln gelöst werden muss und erst dann über die Fristen für deren Übergabe an Japan diskutiert werden kann". Wie ein Vertreter der japanischen Delegation unterstrich, wolle Tokio im Falle einer Einigung mit Russland "flexibel an die Fristen für deren mögliche Übergabe an Japan herangehen".
Die Japaner haben sich mit anderen Worten darauf eingestellt, dass es ein langer Weg sein wird. Und das bedeutet, dass zwischen der Unterzeichnung des Abkommens über die Zugehörigkeit der Inseln und deren tatsächliche Übergabe viele Jahre liegen werden. Dann kommt es womöglich auch zu einem Friedensvertrag, womöglich werden sich die Beziehungen bis zur allseitigen Partnerschaft entwickeln, die japanischen Investitionen und die Wirtschaftshilfe (eben die Entschädigung für die Inseln) greifbare Ausmaße erreichen. Und im Ergebnis wird die Rückgabe der Inseln von der russischen Gesellschaft und dem Establishment eben so ruhig aufgenommen werden, wie – auch wenn es kein exakter Vergleich ist – die Übergabe der Krim durch Chruschtschjow an die Ukraine in den 50er Jahren.
Es ist ja eine klare Sache, dass Putin sich jetzt – besonders nach der "Aufgabe" Kaliningrads – nicht mit der "Zugehörigkeit" der Südkurilen festlegen kann. In dem bis zu den Wahlen gebliebenen Jahr kann er auch keine offene PR dafür machen. Sogar die Fristen für den Besuch von Koizumi waren so gewählt worden, dass sie auf die Ferien der beiden Kammern unserer Föderalversammlung fielen: hatten doch unsere Parlamentarier im Mai 2001 nach dem Treffen von Putin mit Mori solch einen Lärm gemacht, dass schleunigst "die Bremsen angezogen werden mussten"...
Russland hat jetzt in den Beziehungen zu Japan einen Freibrief. Die Japaner möchten an der Erschließung des Fernen Ostens und Ostsibiriens teilnehmen. Sie befürchten, sollten sie zögern, werden sich die Amerikaner und die Chinesen dort "verschanzen". Moskau braucht Tokio, um die Beziehungen zu Nordkorea zu normalisieren sowie die Gefahren zu beseitigen, die von diesem Land ausgehen. Die Japaner brauchen sehr dringend russisches Erdöl und Gas – um die Abhängigkeit vom nahöstlichen Erdöl zu verringern. Und letztendlich noch die hastige Zunahme an Stärke durch den gefährlichen Nachbarn China, der ebenfalls ein ungelöstes territoriales Problem mit Tokio hat (was Japan allerdings abstreitet) – die Senkaku-Inseln.
Wie aus kundigen Kreisen berichtet wird, sind die Japaner in starke Aufregung geraten, als Moskau ihnen vorschlug, über die mögliche Teilnahme an der Realisierung der Errichtung der Erdölpipeline aus Angarsk im Pazifik – als Alternative zur "chinesischen" – nachzudenken. Sollte es ausreichend Erdölvorräte für die nördliche Route geben, um jährlich mindestens 50 Millionen Tonnen Erdöl durchzupumpen (andernfalls wäre das Projekt unrentabel), werden die Japaner bestimmt selbst investieren, vorteilhafte Kredite gewähren usw. Tokio versucht Moskau einzureden (was hier auch sonst bekannt ist), dass die Variante mit der nördlichen Route – auch wenn länger und kostspieliger – für Russland strategisch gesehen vorteilhafter ist als die chinesische. Die Hände werden nicht mehr gebunden sein und auch die Aufgaben bei der Entwicklung des russischen Fernen Ostens und dessen Versorgung mit Brennstoff werden erfolgreicher gelöst werden.
Die Japaner haben im Fernen Osten mächtige Verbündete – die Leitung dreier Regionen, die durch die chinesische Variante "benachteiligt" werden. Nicht von ungefähr stattete Koizumi der Region Chabarowsk einen Besuch ab, deren Gouverneur Wiktor Ischajew ein ebenso eifriger Anhänger der Rückgabe der Südkurilen wie Gegner der chinesischen Ansprüche auf die Inseln ist, die die zwei Flussarme des Amur bei Chabarowsk trennen.
Moskau tritt im Fernen Osten in eine Etappe des verantwortlichen Handels, sowohl wirtschaftlich als auch geopolitisch. Solange die technischen und wirtschaftlichen Begründungen auf beiden Seiten der Erdölpipeline berechnet werden, kann eine abwartende Position eingenommen werden: mal sehen, wer von den Partnern vorteilhaftere Bedingungen bieten wird, ob die Chinesen unseren Erdölpreisen zustimmen werden, ob sich Peking auf die endgültige Beilegung der "Insel-Frage" einlassen wird usw. Die Wahl muss jedoch früher oder später getroffen werden. (...) (lr)