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PolitikEuropa

Faktencheck: Behauptungen von Vance zur Meinungsfreiheit

18. Februar 2025

Der US-amerikanische Vizepräsident J.D. Vance teilt aus: Europas Meinungsfreiheit sei in Gefahr. Er nennt Beispiele, in denen sich Menschen nicht mehr frei äußern oder beten dürften. Stimmt das?

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US-Vizepräsident JD Vance spricht auf der Münchener Sicherheitskonferenz
Auf der Münchener Sicherheitskonferenz teilte Vance gegen Europa aus: Die Meinungsfreiheit sei auf dem RückzugBild: Leah Millis/REUTERS

Bei seinem jüngsten Deutschlandbesuch auf der Münchener Sicherheitskonferenz hielt der US-amerikanische Vizepräsident J.D. Vance eine vielbeachtete Rede: Die Meinungsfreiheit in Europa sei in Gefahr. Das DW-Faktencheck-Team hat sich einige seiner Beispiele genauer angeschaut.

Behauptung:  Die Regierung in Schottland habe angeblich Bürger davor gewarnt, dass Gebete zuhause strafbar sein könnten. "Die schottische Regierung hat Briefe an diejenigen Bürger verschickt, deren Häuser in einer so genannten Sicherheitszone liegen und sie gewarnt, dass auch private Gebete in ihren eigenen Häusern strafbar sein könnten", sagte Vance. Die Regierung habe die Bürger darüber hinaus noch dazu aufgefordert, andere anzuzeigen, die der "Gedankenverbrechen" verdächtigt werden.

DW Faktencheck: Irreführend.

Zwar stimmt es, dass Schottland im September 2024 Sicherheitszonenvon 200 Metern um Abtreibungskliniken eingeführt hat, in der "stilles Gebet" sowie anderweitige Aktivitäten, die Druck auf Frauen ausüben könnten, von Abtreibungen abzulassen, verboten sind. Stille Gebete zuhause, die niemand anderen in Bedrängnis bringen, gehören nicht dazu.

Allerdings sagt das Gesetz auch ganz klar, dass Aktivitäten, die innerhalb dieser Sicherheitszone gesehen oder gehört werden können und "vorsätzlich oder rücksichtslos" auf Privatgrundstücken abgehalten werden, strafbar sein könnten.

Es ist eine oft genutzte Taktik von US-amerikanischen Abtreibungsgegnern, sich vor Abtreibungskliniken zu versammeln. Dort verteilen sie Flyer, zeigen Fotos von Föten oder schüchtern Frauen auf dem Weg zur Klinik unter dem Vorwand des Gebets ein - und üben so Druck aus, damit die Frauen das Baby behalten.

Vance verbreite "schockierende und schamlose" Falschinformationen, sagte die schottische Parlamentsabgeordnete Gillian Mackay, die das Sicherheitszonengesetz zur Abstimmung eingebracht hatte.

Zwar ermutige der Brief Bürger dazu, Dinge anzuzeigen, bei dem sie glaubten, dass sie gegen das Gesetz verstießen - aber dies gelte nicht nur für dieses Gesetz, sondern für alle Gesetze im Land.

"Der Brief wurde an die Haushalte verschickt, um sie darüber zu informieren, was diese Zonen für sie bedeuten," schrieb sie auf X. "Stilles Gebet oder Beten im eigenen Zuhause sind nicht illegal, wie vom Vizepräsidenten behauptet," so Mackay. "Das ist reine Angstmacherei."

Pro-Life-Gruppe steht vor einer Abtreibungsklinik in Plainfield, New Jersey
Abtreibungsgegner stellen sich vor Kliniken - wie hier im Bundesstaat New Jersey - und üben so Druck auf Frauen ausBild: picture alliance/ZUMA Press

Behauptung: Ein Brite wurde zu einer hohen Geldstrafe verurteilt, weil er vor einer Abtreibungsklinik im stillen Gebet für seinen ungeborenen Sohn war, den er mit einer Exfreundin abgetrieben hatte, sagte Vance. "Vor etwas mehr als zwei Jahren hat die britische Regierung Adam Smith-Connor angeklagt, einen 51-jährigen Physiotherapeuten und Armeeveteran, weil er das schreckliche Verbrechen begannen hatte, 50 Meter entfernt von einer Abtreibungsklinik zu stehen und dort für drei Minuten still zu beten." Er wurde schuldig gesprochen, weil er gegen das "neue Sperrzonen-Gesetz der Regierung" verstoßen habe und musste "tausende Pfund an Prozesskosten an die Staatsanwaltschaft bezahlen."

DW Faktencheck: Irreführend.

Adam Smith-Connor wurde verurteilt, weil er im November 2022 in einer Sicherheitszone vor einer Abtreibungsklinik in Bournemouthgebetet hatte und mehrmals dazu aufgefordert worden war, die Gegend zu verlassen. Weil er die Strafe von 100 Pfund nicht zahlte, ging es vor Gericht. Das Strafmaß: Zwei Jahre auf Bewährung und Prozesskosten von 9.000 Pfund.

Die sogenannte Public Spaces Protection Orderwurde im Oktober 2022 eingeführt, um Sperrzonen um Abtreibungskliniken zu errichten, damit Frauen vor Belästigungen geschützt sind und nicht mehr durch Mahnwachen hindurch zur Klinik laufen müssen.

Die Abtreibung des Sohnes, für den Smith-Connor angeblich betete, war vor über 20 Jahren. Smith-Connor wird unterstützt von einer US-amerikanischen, christlich-konservativen Gruppe, die als "Hate Group"bekannt ist. Smith-Connor hat mitgeteilt, dass er in in Berufunggegangen ist.

Menschen protestieren vor dem schottischen Parlament in Edinburgh
Abtreibungsgegner protestieren für ihre Rechte – aber was ist eigentlich mit den Rechten der Frauen?Bild: Andrew Milligan/PA

Behauptung: "Ich schaue nach Brüssel, wo die EU-Kommissare Bürger davor warnen, dass sie vorhaben, die Sozialen Medien bei zivilem Ungehorsam abzuschalten, sobald sie ihrer Meinung nach 'hasserfüllte Inhalte' sehen", sagte Vance in München.

DW-Faktencheck: Irreführend.

Vances Behauptung über EU-Kommissare, die vor Abschaltungen der sozialen Netzwerke warnen, lassen sich auf Medienberichtevon Juli 2023 zurückführen. Dort wurde der ehemalige EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton damit zitiert,dass das EU-Gesetz zur Moderierung von Inhalten die Möglichkeit eines Shutdowns nur "in extremen Fällen" vorsähe – und auch nur, wenn das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit eingehalten werde und sie problematische Inhalte während Ausschreitungen nicht unter Kontrolle bekämen. Im Zuge dessen nennt Breton das Gesetz über digitale Dienste (Digital Services Act, DSA), das 2022 verabschiedet wurde und seit 2024 in Kraft ist.

Bretons Kommentare waren eine Antwort auf Aussagen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Der brachte die Möglichkeit einer Blockade der Sozialen Medien ins Spiel, als es in Frankreich Unruhen gab, nachdem der 17-jährige Nahel Mezouk von der Polizei in einem Pariser Vorort erschossen wurde. Die britische Menschenrechtsorganisation Article 19und andere hatten damals Bedenken gegen Bretons Kommentare geäußert.

Social Media - Facebook, TikTok, Twitter Instragram und Youtube auf Smartphone Display
Kann die EU einfach so Soziale Netzwerke abschalten?Bild: Dado Ruvic/REUTERS

Aber erlaubt das Gesetz über digitale Dienste den EU-Mitgliedsstaaten überhaupt, Soziale Medien im Zuge von Unruhen abzuschalten, wie es Vance behauptet? Das Gesetz regelt Online-Vermittler und Online-Plattformenwie Soziale Netzwerke, Content-Sharing-Plattformen und App-Stores und schaut dabei auf Themen wie illegale Inhalte, transparente Werbung und Desinformation. "Der zentrale Fokus liegt darauf, illegale oder schädliche Online-Aktivitäten sowie die Verbreitung von Desinformation zu verhindern," heißt es auf den Seiten der Europäischen Kommission.

In Kapitel 4, Artikel 51, wird die Rolle eines Koordinators beschrieben. Dies sind von EU-Mitgliedsstaaten bestimmte Autoritäten, die die Anbieter von den Vermittlerdiensten beaufsichtigen und die Regulierung durchsetzen. In Artikel 51, Abschnitt 3b heißt es sinngemäß: Wenn die Koordinatoren der Auffassung sind, dass ein Verstoß, der schweren Schaden verursacht und eine Straftat darstellt, die eine Bedrohung für das Leben oder die Sicherheit von Personen darstellt, nicht behoben wurde, so können sie eine zuständige Justizbehörde ersuchen, die vorübergehende Einschränkung des Zugangs der Empfänger zu dem von dem Verstoß betroffenen Dienst anzuordnen. Wenn dies technisch nicht möglich ist, kann die Online-Schnittstelle des Anbieters, auf der der Verstoß stattfindet, eingeschränkt werden.

Diese Maßnahme ist jedoch die letzte einer Reihe von Mechanismen gegen Plattformen, die den EU-Rechtsrahmen nicht einhalten. Das bedeutet, dass alle anderen im DSA vorgesehenen Maßnahmen ausgeschöpft sein müssen, bevor ein Koordinator die Nutzung einer Plattform einschränken kann. Zuerst muss auch dem Management der Plattform die Möglichkeit gegeben werden, einen Aktionsplan zur Beendigung des Verstoßes zu verabschieden (Artikel 51, Abschnitt 3a).

Und wie wirkt sich dies auf die Sozialen Medien aus? Das Gesetz schreibt den "sehr großen Online-Plattformen" - also Plattformen und Suchmaschinen, die 45 Millionen oder mehr Nutzer in Europa erreichen - besondere Verpflichtungen vor. Die Liste dieser Online-Plattformen umfasst unter anderem Dienste von Anbietern wie Google, Meta, TikTok, Twitter International Unlimited Company (X.com). Die Aussage, dass EU-Kommissare Soziale Medien bei Hasskommentaren einfach so abschalten könnten, ist demnach irreführend.

Redaktion: Rachel Baig

 

Sarah Steffen Autorin und Redakteurin mit Interesse an KI-Themen und Krisen, die zu wenig Aufmerksamkeit erhalten.