Israels Präsenz im Süden Libanons sorgt für Unruhe
20. Februar 2025Die Forderung war eindeutig: Israel müsse seine Truppen wie vereinbart vollständig aus dem Libanon zurückziehen, hieß es in einer zu Wochenbeginn gemeinsam von Staatspräsident Joseph Aoun, Premierminister Nawaf Salam und Parlamentssprecher Nabih Berri verfassten Erklärung. Die libanesische Armee sei bereit, "sämtliche ihrer Pflichten entlang der Grenze" zu erfüllen.
Zugleich bezeichnete die neue libanesische Regierung die andauernde israelische Präsenz als "Besetzung des Libanon". Der Libanon werde sich an den UN-Sicherheitsrat wenden. Dieser solle dabei helfen, "die israelischen Vertragsverletzungen anzusprechen und Israel dazu zu zwingen, sich zurückzuziehen".
Am Mittwoch meldete die staatliche libanesische Nachrichtenagentur NNA, Israel habe im südlichen Libanon ein Fahrzeug beschossen. Dabei sei eine Person getötet worden. Vorfälle wie diese könnten die ohnehin angespannte Lage zusätzlich anheizen.
Mahnung der UN
Inzwischen haben sich auch die Vereinten Nationen zum Abzug geäußert. "Heute endet die gesetzte Frist für den Abzug der israelischen Armee und die parallele Stationierung der libanesischen Armee im Süden Libanons", erklärten die UN-Gesandte für den Libanon, Jeanine Hennis-Plasschaert, und die UN-Friedenstruppe UNIFIL am Dienstag in einer gemeinsamen Stellungnahme. Beide Seiten müssten sich an die Vereinbarung halten.
Das zwischen Israel und der libanesischen Hisbollah-Miliz im November vergangenen Jahres geschlossene Waffenruheabkommen soll den Krieg beenden, der mit dem Angriff der proiranischen Miliz auf Israel am 8. Oktober 2023 begann.
DieHisbollah wollte die militant islamistische Hamas unterstützen, die am 7. Oktober 2023 einen großangelegten Terrorangriff auf Israel mit mehr als 1100 Toten verübt hatte. Das Abkommen sieht zudem vor, dass anstelle der abziehenden israelischen Truppen künftig die libanesische Armee mit mindestens 5000 Soldaten den südlichen Libanon kontrolliert.
Israel wirft der libanesischen Armee jedoch vor, sie entsende die dafür vorgesehenen Soldaten nicht schnell genug. Darum könnten diese die Sicherheit im Süden nicht gewährleisten.
Israel befürchtet, die Hisbollah-Miliz könnte nach dem Auslaufen des Waffenruheabkommens Ende Januar ihre Angriffe auf Orte im Norden Israels wieder aufnehmen. Die schiitische Hisbollah wird vom Iran unterstützt. Die USA, Deutschland und mehrere sunnitische Staaten stufen sie als Terrororganisation ein.
"Entscheidung verletzt UN-Beschluss 1701"
Aufgrund der Höhenlage der gehaltenen Orte und der damit verbundenen Überwachungsmöglichkeiten habe Israel einen taktischen Vorteil, wenn dessen Truppen dort weiterhin stationiert seien, meint Merin Abbass, Leiter des Libanon-Projekts der Friedrich-Ebert-Stiftung in Beirut. Auch die Begründung, das Heer müsse die grenznahen israelischen Siedlungen schützen, sei nachvollziehbar. "Aber diese Entscheidung verletzt natürlich eindeutig das Waffenruheabkommen", so Abbass im DW-Interview.
Dem Sprecher der israelischen Armee (IDF), Nadav Shoshani, zufolge wurden diese Standorte aufgrund ihrer sicherheitspolitischen Bedeutung wie auch ihrer geografischen Nähe zu israelischen Gemeinden ausgewählt. Sie böten Aussichtspunkte, von denen aus die israelischen Streitkräfte Angriffe der Hisbollah oder neue Versuche, sich in der Nähe der israelischen Grenze zu verschanzen, überwachen und verhindern könnten.
In einem Artikel für die Nachrichtenagentur Jewish News Syndicate wertet der israelische Militäranalyst Yaakov Lappin dies als Gefährdung der Sicherheit Israels. "Es scheint klar, dass seitens der Hisbollah keinerlei Bereitschaft besteht, sich an das Abkommen zu halten und auf den Wiederaufbau ihrer militärischen Infrastruktur in Grenznähe zu verzichten. Es liegt vielmehr in erster Linie an den israelischen Streitkräften, die erneute Verankerung der Hisbollah mit Gewalt zu verhindern", heißt es in seinem Kommentar .
Anders sieht das der libanesische Politikwissenschaftler Daoud Ramal. Er nimmt an, Israel ziele durch die Besetzung der fünf Ortschaften darauf ab, die Blaue Linie, also die Demarkationslinie zwischen Israel und dem Libanon, vollständig außer Kraft zu setzen.
"Unter dem Vorwand, an diesen als strategisch bezeichneten Orten zu bleiben, knabbert Israel an weiterem libanesischen Territorium", so Ramal zur DW. "Damit verfolgt Israel aber kein militärstrategisches Ziel, denn solange es über sein Spionagesystem verfügt, allen voran seine Satelliten, kann es den gesamten Libanon überwachen."
Die Reaktion der Hisbollah
Auch die Hisbollah hat sich geäußert. Israel müsse sich am Dienstag vollständig aus dem Libanon zurückziehen, sagte deren Chef Naim Kassem in einer Rede am Sonntag. Israel könne keine Vorwände präsentieren, um im Libanon zu bleiben. Der libanesische Staat müsse Israel daran hindern, nach Dienstag im Land zu bleiben, so Kassem. So sei es im Waffenruheabkommen vorgesehen.
Die Hisbollah habe ihre Existenz immer mit der israelischen Präsenz im Libanon legitimiert, sagt Abbass. "Insofern dürfte ihr die derzeitige Situation durchaus entgegenkommen. Sie rief bereits zu Demonstrationen auf, nachdem ein ziviler Flug aus dem Iran nach Beirut gestrichen wurde. Die libanesischen Behörden hätten dem Flugzeug die Landeerlaubnis verweigert, wurde behauptet - daraufhin blockierten Hisbollah-Anhänger Straßen in Richtung des Flughafens mit brennenden Reifen. Damit wollte die Hisbollah zeigen, dass sie noch hohe Mobilisierungskraft besitzt."
Daoud Ramal weist darauf hin, dass die anhaltende Präsenz Israels im Libanon wie in den 1980er und 1990er Jahren zur Bildung bewaffneter libanesischer Gruppierungen führen könnte. Derartige Gruppen waren damals mit säkularen oder islamischen libanesischen Parteien verbunden und führten auf libanesischem Gebiet Operationen gegen die israelische Seite durch. "Das ist natürlich nicht im Interesse der internationalen Sicherheit und des Friedens." Eine militärische Reaktion der Hisbollah erwarte er allerdings nicht.
"Ein Problem der Regierung, nicht der Hisbollah"
Eine solche hält auch Merin Abbass aufgrund der militärischen Schwäche der Hisbollah für unwahrscheinlich. Die anhaltende israelische Präsenz im Libanon berge allerdings ein anderes Problem, nämlich die innenpolitische Destabilisierung des Landes.
"Sie schwächt im Libanon natürlich erheblich das Ansehen von Präsident Joseph Aoun und damit das der neuen libanesischen Regierung. Diese steht nun nicht nur seitens der Hisbollah unter Druck, sondern von der gesamten libanesischen Gesellschaft. Und das, obwohl das Problem jetzt keines mehr zwischen der Hisbollah und Israel, sondern zwischen dem libanesischen Staat und Israel ist. Sollte sich dieses verschärfen, dürfe das kaum im Interesse der internationalen Staatengemeinschaft sein."