Israels Armee räumt "Total-Versagen" bei Hamas-Überfall ein
28. Februar 2025Die Streitkräfte in Israel sind davon ausgegangen, dass die seit 2007 im Gazastreifen herrschende Terrororganisation Hamas nicht an einem großangelegten Krieg interessiert ist. Folglich hat sich die Armee auch nicht entsprechend vorbereitet, wie aus einer umfassenden internen Untersuchung hervorgeht, über die israelische Medien berichten.
Geheimdienstmaterial sei trotz Warnsignalen über Jahre hinweg missinterpretiert worden. Geheimdienstmitarbeiter hätten es auch versäumt, eigene Annahmen zu hinterfragen, heißt es weiter. Israelische Soldaten stellten demnach auch in der Nacht vor dem Terrorüberfall am 7. Oktober 2023 zwar ungewöhnliche Aktivitäten der Hamas fest, wie etwa die Aktivierung israelischer SIM-Karten durch hochrangige Mitglieder der palästinensischen Islamistenorganisation. Den bevorstehenden Großangriff hätten sie jedoch nicht erkannt.
Truppen am Grenzzaun reduziert
Zudem sei die Armee davon ausgegangen, dass der Grenzzaun zu Israel nicht überwindbar sei. Truppen entlang der Grenze zum Gazastreifen habe man deshalb reduziert. Zu Beginn des Terrorangriffs seien auf israelischer Seite nur 767 Soldaten dort stationiert gewesen. Die für das Grenzgebiet zuständige Gaza-Division sei bei dem Angriff "überrannt" worden und habe nicht verhindert, "dass Terroristen die Kontrolle übernahmen und in den Gemeinden und Straßen des Gebiets Massaker verübten", führt der Bericht aus.
Mehr als 5000 Terroristen überfielen den Süden Israels
Der Angriff der Hamas und verbündeter islamistischer Gruppen erfolgte dem Untersuchungsbericht zufolge in drei Wellen. In der ersten Welle seien "mehr als tausend Terroristen" einer Hamas-Eliteeinheit nach Israel gelangt, während zeitgleich ein massiver Raketenangriff vom Gazastreifen aus gestartet worden sei. Die zweite Welle umfasste demnach 2000 Angreifer, die den Süden Israels überfielen. Anschließend hätten hunderte weitere Islamisten und Zivilisten israelisches Territorium betreten. "Insgesamt sind während des Angriffs rund 5000 Terroristen in israelisches Gebiet eingedrungen", erklärte die Armee.
Bei dem Überfall auf Ortschaften und ein Musikfestival wurden laut israelischen Angaben fast 1200 Menschen ermordet, die meisten von ihnen waren Zivilisten. 251 Menschen wurden als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Der Angriff löste den Krieg in Gaza aus, bei dem nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums mehr als 48.000 Menschen getötet und Zehntausende verletzt wurden. Die Vereinten Nationen (UN) halten die Zahlen für glaubwürdig.
Kurz nach der Veröffentlichung des Untersuchungsberichts übernahm der israelische Armeechef Herzi Halevi nochmals die Verantwortung für das "Versagen" der Streitkräfte. "Ich war der Kommandeur der Armee am 7. Oktober und ich trage auch für Sie alle die volle Verantwortung", sagte Halevi in einer Videobotschaft. Er hatte deshalb bereits im Januar seinen Rücktritt eingereicht. Halevi ist aber noch bis zum 6. März im Amt.
"Netanjahu klammert sich an die Macht"
Israelische Medien kritisieren derweil, dass die Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu die Einrichtung einer unabhängigen staatlichen Kommission zur Untersuchung des Terrorüberfalls blockiere. Kritiker werfen Netanjahu vor, keine persönliche Verantwortung für das politische und militärische Versagen zu übernehmen und sich an die Macht zu klammern.
se/wa/fab (afp, ap, dpa)