Die Verfolgung iranischer Künstler nimmt zu
5. März 2025Der iranische Film "Ein kleines Stück vom Kuchen" ("My Favourite Cake") scheint auf den ersten Blick eine harmlose Geschichte über zwei ältere Menschen zu sein, die nach dem Verlust ihrer jeweiligen Partner zu Intimität und Zuneigung miteinander finden. Doch jetzt stehen die Regisseure Behtash Sanaeeha und Maryam Moghaddam sowie die Hauptdarstellerin Lily Farhadpour in Teheran vor Gericht, weil sie "gegen den öffentlichen Anstand und die Moral" verstoßen, "Ausschweifungen propagiert" und "Propaganda gegen die Islamische Republik" betrieben haben sollen.
Der Film wurde im Februar auf der Berlinale mit dem Preis der Ökumenischen Jury und dem FIPRESCI-Preis ausgezeichnet, doch wurden die Filmemacher an der Teilnahme gehindert und ihre Pässe im Iran beschlagnahmt.
Die Darsteller und das Team, so wird vermutet, müssen sich unter anderem deshalb vor dem Revolutionsgericht verantworten, weil Farhadpour in einigen Szenen des Films keinen Hidschab trägt.
Niederschlagung der Proteste 2022
Die Reaktion des Regimes steht offenkundig im Zusammenhang mit den Massenprotesten des Jahres 2022, als viele Menschen unter der Parole "Frau, Leben, Freiheit" auf die Straße gingen, um gegen die Tötung der 22-jährigen Kurdin Jina Mahsa Amini im Polizeigewahrsam zu demonstrieren. Die junge Frau war von der Sittenpolizei festgenommen worden, weil sie ihre Haare nicht ausreichend bedeckte.
Auch die willkürliche Unterdrückung der Redefreiheit und der künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten ist seither ein großes Thema in Iran. So geriet der Rapper Toomaj Salehi - ein Musiker mit internationalem Ruf, allein auf Instagram folgen ihm gut drei Millionen Fans - in die Mühlen der Justiz. Wegen seiner Lieder zur Unterstützung der Amini-Solidaritätsbekundungen befand ihn ein Gericht unter anderem der "Verbreitung von Propaganda gegen das Regime" für schuldig.
Im April 2023 verurteilte ihn das Islamische Revolutionsgericht dann zum Tode. Das Urteil wurde zwar später aufgehoben, doch der Rapper musste im Gefängnis bleiben und sieht sich neuen Anklagen ausgesetzt.
In einem im Internet veröffentlichten Video beschrieb Salehi, wie er während seiner Verhaftung gefoltert wurde. Die Hände und Beine des Musikers wurden gebrochen. Er fügte hinzu, dass er acht bis neun Monate in Einzelhaft verbrachte.
Iranische Künstler sind Folter ausgesetzt
Doch ist die Unterdrückung des Rechts auf freie Meinungsäußerung im Iran nicht neu: Kunstschaffende, die es wagen, sich für Demokratie und Menschenrechte einzusetzen, trifft die ganze Härte des Regimes. "Meine Freunde und ich haben jahrelang wegen unserer Kunst im Gefängnis verbracht", sagt etwa der iranische Komponist Mehdi Rajabian der Deutschen Welle und berichtet von allein drei Jahren und drei Monaten in absoluter Isolation, in Einzelhaft. Eines seiner Verbrechen habe darin bestanden, dass er Alben produzierte, die verbotene Künstler unterstützten, darunter auch Sängerinnen, denen es im Iran verboten ist, solo zu singen. Seitdem ist es Mehdi Rajabian untersagt, im Iran Musik zu produzieren. Gleichwohl arbeitet er weiter online mit Künstlern auf der ganzen Welt zusammen.
Rajabian wurde erstmals 2013 wegen Blasphemie, Propaganda gegen das Regime und unerlaubter künstlerischer Aktivitäten für drei Monate inhaftiert. Im Jahr 2015 wurde der Komponist zu sechs Jahren Haft verurteilt und kam auf Bewährung frei, nachdem er zwei Jahre im berüchtigten Evin-Gefängnis in Teheran gesessen hatte. Hier trat er in einen 40-tägigen Hungerstreik, bei dem er schwer unterernährt war.
Im Jahr 2020 wurde Rajabian erneut verhaftet, weil er mit Tänzerinnen und Sängerinnen zusammenarbeitete. Auch sein letztes Album "Middle Eastern", das hundert Künstler aus dem gesamten Nahen Osten zusammenbrachte, um den Frieden in der Region zu fördern, erregte den Unmut des Regimes. Der Musiker verbüßt derzeit eine Bewährungsstrafe und darf den Iran nicht verlassen. "Alles steht für mich auf Messers Schneide", schrieb Rajabian der DW in einer E-Mail aus der Provinz Mazandaran im Norden Irans. Seine Musik war im Januar dieses Jahres in einer Werbung für Mercedes Benz zu hören.
Der Bruder des Musikers, der Filmemacher Hossein Rajabian, verbüßte zur gleichen Zeit eine zweieinhalbjährige Haftstrafe im Evin-Gefängnis wegen "Propaganda gegen den Staat" und "Beleidigung des Islam". Der Regisseur schloss sich dem Hungerstreik seines Bruders im Gefängnis an, bis dieser freigelassen wurde und den Iran in Richtung Paris verließ, wo er heute lebt. Beide Brüder wurden im Gefängniss gefoltert, was auch von der Menschenrechtsorganisation Amnesty Internationaldokumentiert worden ist.
Gesicht zeigte Hossein Rajabian im Mai 2024 während der Filmfestspiele in Cannes, als er gemeinsam mit anderen verfolgten iranische Künstlern - Abdolreza Kahani, Keywan Karimi und Sepideh Farsimit - auf Plakaten für das Projekt "Woman Life Freedom" warb.
Iranischen Künstlern eine Stimme geben
Die anhaltende Verfolgung hat iranische Künstler nicht davon abgehalten, im Untergrund zu arbeiten. Sie machen Musik und setzen sich für Menschen- und Bürgerrechte ein. So veröffentlichte die iranische Sängerin Parastoo Ahmadi ein Video, in dem sie ein Konzert in einem leeren Saal ohne Kopftuch gibt. Das Video wurde auf YouTube mehr als 2,5 Millionen mal aufgerufen.
Im Begleittext erklärt die Sängerin: "Ich möchte für die Menschen singen, die ich liebe. Das ist ein Recht, das ich nicht ignorieren konnte: für das Land zu singen, das ich leidenschaftlich liebe."
Einige Tage später eröffnete ein iranisches Gericht ein Verfahren gegen Parastoo Ahmadi. Die Begründung: Der Auftritt verstoße gegen das Scharia-Gesetze des Landes. Sie wurde angeklagt und in Erwartung ihres Prozesses gegen Kaution freigelassen.
Erst kürzlich kündigte das iranische Regime an, die Ausgaben für staatliche Propaganda aufzustocken. Währenddessen finden regimekritische Künstler weiterhin Wege, sich auszudrücken.
So ließ sich der iranische Regisseur Mohammad Rasoulof, der zur Zeit im deutschen Exil lebt, für seinen Film "Die Saat des heiligen Feigenbaums" von den Massenprotesten im Iran im Jahr 2022 inspirieren. Der Film ist ein Thriller über staatliche Gewalt, Paranoia und Zensur. Die meisten Szenen drehte Rasoulof, dem 2017 ein Berufsverbot auferlegt wurde, geheim. Er musste den Set verlassen und floh zu Fuß über die Grenze aus dem Land. Gerade wurde er zu acht Jahren Gefängnis und einer Auspeitschung verurteilt.
Der in Hamburg produzierte und von deutschen Filmstiftungen geförderte Film vertrat Deutschland gerade erst im Rennen um den Auslands-Oscar, ging aber leer aus.
Auch die Darsteller und Macher des Films "Ein kleines Stück vom Kuchen" setzen ihren Kampf um Meinungsfreiheit fort, trotz der Anklagen im Iran. Prominente Unterstützung erhalten sie aus der internationalen Filmwelt: So haben die französische Schauspielerin Juliette Binoche und der spanische Regisseur Pedro Almodovar - neben 3000 weiteren Künstlerinnen und Künstlern - eine Petition unterzeichnet, in der sie die Einhaltung der Menschenrechte fordern. "Wir stehen geschlossen an der Seite von Maryam und Behtash und fordern für sie das Recht, zu schaffen und sich auszudrücken, so wie es jedem Filmemacher und Künstler möglich sein sollte", heißt es in der Petition der internationalen Organisation "International Coalition for Filmmakers at Risk".
Aus dem Englischen adaptiert von Anastassia Boutsko