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GesellschaftAsien

Iran: Der schleichende Verlust der Mittelschicht

28. März 2025

Die wirtschaftliche Krise im Iran trifft vor allem die Mittelschicht. Sie verschwindet schleichend. Sanktionen, Inflation und Missmanagement treiben immer mehr Menschen in die Abhängigkeit vom politischen System.

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Blick in einen Basar, Handwerker mit Schüssel, im Hintergrund Händlerinnen
Inmitten der Krise kämpfen kleine private Geschäfte ums ÜberlebenBild: Fatemeh Bahrami/Anadolu Agency/picture alliance

Die wirtschaftliche Lage im Iran hat sich in den vergangenen zwölf Monaten dramatisch verschärft. Chronisches Missmanagement, Korruption, politische Isolation und internationale Sanktionen haben Irans Wirtschaft massiv unter Druck gesetzt.

Innerhalb eines Jahres verlor der iranische Rial über 50 % an Wert. Lag der Wechselkurs im März 2024 noch bei rund 600.000 Rial pro US-Dollar, fiel er bis März 2025 auf über 1.000.000. Diese massive Abwertung treibt die Inflation weiter an, verteuert Importgüter und belastet vor allem die unteren und mittleren Einkommensschichten.

"Die wirtschaftliche Unsicherheit führt dazu, dass die Sorge um grundlegende Lebenshaltungskosten in den Vordergrund rückt und politisches Engagement abnimmt", beschreibt der Wirtschaftsexperte Mohammad Reza Farzanegan die Situation gegenüber der DW. Farzanegan ist Professor am Center for Near and Middle Eastern Studies (CNMS) der Universität Marburg und beschäftigt sich unter anderem mit wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen im Nahen Osten, insbesondere im Iran.

Wen treffen Sanktionen wirklich?

"Aus ökonomischer Sicht bestehen erhebliche Zweifel daran, dass die Schwächung der Mittelschicht zur Erreichung der Ziele internationalen politischen Drucks beiträgt", betont Farzanegan und verweist auf eine neue Studie, die er gemeinsam mit einem Experten der US-amerikanischen Brandeis University durchgeführt hat.

Die Studie zeigt, dass die wirtschaftlichen Strafmaßnahmen, die seit 2012 wegen des umstrittenen iranischen Atomprogramms gegen den Iran verhängt wurden, um den wirtschaftlichen und politischen auf die Machthaber in Teheran zu erhöhen, die Entwicklung der iranischen Mittelschicht massiv behindert haben.

Laut der Analyse wäre die Mittelschicht im Iran im Jahresdurchschnitt um elf Prozentpunkte größer gewesen, wenn die Sanktionen ausgeblieben wären.

Die Verkleinerung der Mittelschicht hat laut Farzanegan zu einer zunehmenden wirtschaftlichen Abhängigkeit von staatsnahen Institutionen geführt. "Während zahlreiche private Unternehmen unter den Sanktionen litten, konnten staatsnahe Firmen – insbesondere solche mit Verbindungen zu den Revolutionsgarden (IRGC) – profitieren. Sie bauten alternative Handelsnetzwerke über Umwege aus und stärkten so ihre Marktposition. Dadurch habe sich die wirtschaftliche Macht des Staates im Vergleich zum privaten Sektor weiter verfestigt."

Weibliches Gesicht der Armut

Unter diesem Druck leiden Frauen noch stärker als Männer. Frauen seien bei der Arbeitssuche, beim Einkommenserwerb und selbst bei der Sicherung ihres Lebensunterhalts besonders von wirtschaftlichen Herausforderungen betroffen, sagt Hadi Salehi Esfahani, Wirtschaftsexperte an der University of Illinois in Urbana-Champaign. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der politischen Ökonomie der Entwicklung, insbesondere in Bezug auf den Nahen Osten und Nordafrika.

Seine aktuelle Forschung zum iranischen Arbeitsmarkt zeigt: Geringes Wirtschaftswachstum, die anhaltende Rezession sowie kulturelle Faktoren und traditionelle Rollenbilder – nach denen Männer als Hauptverdiener gelten – führen dazu, dass Frauen leichter aus dem Arbeitsmarkt gedrängt werden. Für sie ist es heute schwieriger denn je, eine Arbeit zu finden oder ein eigenes Einkommen zu erzielen.

Hinzu kommen strukturelle Benachteiligungen und diskriminierende Faktoren wie strengere Einstellungskriterien für Frauen, fehlende Aufstiegsmöglichkeiten und ungleiche Bezahlung für gleichwertige Arbeit.

Besucherinnen und Besucher stehen an einem Basar (in Teheran) vor ausgestelltem Obst und Gemüse
Lebensmittelpreise steigen fast täglich Bild: Atta Kenare/AFP/Getty Images

Diese Krise könnte sich in den nächsten Monaten noch verschärfen. Im Februar 2025 unterzeichnete US-Präsident Donald Trump ein National Security Presidential Memorandum, das die "Maximaldruck"-Kampagne gegen den Iran wieder einführte. Ziel dieser Politik ist es, Teheran zu neuen Verhandlungen über ein umfassenderes Atomabkommen zu bewegen, indem der wirtschaftliche Druck durch verschärfte Sanktionen erhöht wird.

Die Maßnahmen zielen insbesondere darauf ab, Irans Ölexporte auf null zu reduzieren – die Hauptquelle der Staatseinnahmen.

Unorganisierte Massenproteste

Unter dem Druck der Krise plant die Regierung in Teheran, ihre Ausgaben zu senken, etwa durch die Kürzung von Energiesubventionen.

Doch das dürfte die Lage kaum entschärfen. "Im Budget des neuen persischen Jahres (21. März 2025 bis 21. März 2026) hat die Regierung die Ölexporte auf zwei Millionen Barrel pro Tag geschätzt – ein Ziel, das unter Trump höchstwahrscheinlich nicht erreicht werden wird", sagt die iranische Wirtschaftsjournalistin Mahtab Gholizadeh. "Das Haushaltsdefizit wird sich verschärfen. Die Abschaffung von Subventionen könnte das Land mit einer schweren Inflationswelle konfrontieren."

Große Rohrleitungen an einem Hafen (im Kharg Island Oil Terminal), auf einer Anhöhe im Hintergrund runde Speicher
Die Haupteinnahmequelle des Staates sind Ölexporte – allen voran nach ChinaBild: Fatemeh Bahrami/AA/picture alliance

Die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit dem politischen System ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Das Land erlebte immer wieder Massenproteste, etwa 2022 nach dem Tod der 22-jährigen Jina Mahsa Amini in Polizeigewahrsam oder 2019 aufgrund steigender Energiepreise – beide wurden brutal niedergeschlagen. Doch obwohl die Proteste Ausdruck wachsender Frustration waren, fehlte es ihnen an Organisation und Führung.

"Steigende Unzufriedenheit führt nicht zwangsläufig zu organisiertem politischem Druck", betont Farzanegan. "Wirtschaftlich geschwächte Haushalte verfügen über weniger Ressourcen, um sich politisch zu mobilisieren."

Die Schwächung der Mittelschicht durch Sanktionen führe daher nicht automatisch zu mehr Druck auf das Regime – im Gegenteil, sagt Farzanegan: "Sie untergräbt die wirtschaftliche Basis einer politisch aktiven Gesellschaftsschicht und stärkt in relativer Hinsicht die Macht des politischen Systems."