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Industriestrompreis: Entlastung oder Energiewende-Bremse?

Nadine Mena Michollek
19. Mai 2025

Die neue Regierung in Deutschland will Firmen helfen. Kritiker sehen darin ein Risiko für Markt und Klimaziele.

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Geschmolzenes Metall wird von einem Arbeiter in Form gegossen.
Die Gießerei Lößnitz braucht viel Energie, um Metalle zu schmelzenBild: Nadine Mena Michollek/DW

Vor der Bundestagswahl im Februar schlug die deutsche Industrie Alarm: Der Strompreis sei zu hoch, Deindustrialisierung, Unternehmensschließungen und die Abwanderung ins Ausland würden folgen.

Tatsächlich scheint die Industrie Gehör gefunden zu haben: Die neue Regierung ist jetzt im Amt und plant weitreichende Entlastungen. Doch manche Expertinnen und Experten warnen vor negativen Folgen.

Wie hoch ist der Industriestrompreis? 

Eine pauschale Angabe ist schwierig, da Entlastungen je nach Größe und Branche variieren. 

Laut einer Studie der Vereinigung der Bayrischen Wirtschaft (vbw) lag der deutsche Industriestrompreis 2022 im europäischen Mittelfeld. Da der Angriff Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 Auswirkungen auf den Strompreis hatte, eignet sich das Jahr aber nur eingeschränkt für Vergleiche. 

Aktuelle EU-Daten zeigen: Bei den Strompreisen für Nicht-Haushalte liegt Deutschland an dritter Stelle. Diese Kategorie umfasst jedoch auch öffentliche Einrichtungen wie Schulen und Verwaltungen - Rückschlüsse auf die Industrie sind kaum möglich.

Günstiger in China und USA 

Beim Börsenstrompreis - ohne Steuern und Abgaben - liege Deutschland im internationalen Vergleich im Mittelfeld, so Bruno Burger, Energieexperte am Fraunhofer Institut für Solare Energiesysteme, gegenüber der Frankfurter Rundschau. 

Klar ist jedoch: In den USA und China zahlen Unternehmen deutlich weniger. 2023 lag der Industriestrompreis in den USA bei rund sieben Cent pro Kilowattstunde (ifo Institut), in China bei acht (vbw) - in Deutschland waren es rund 20 Cent (ifo Institut). 

Was plant die neue Regierung? 

Die neue, von den Parteien CDU und SPD geführte Regierung unter Bundeskanzler Friedrich Merz plant weitreichende Entlastungen für den Industriestrompreis. Der Industriestrompreis setzt sich aus dem Börsenstrompreis, der Stromsteuer, Umlagen und Netzentgelten zusammen. Netzentgelte sind eine Gebühr, die für das Nutzen des Stromnetzes erhoben werden. Umlagen finanzieren konkrete Vorhaben. 

Geplant ist, Unternehmen dauerhaft um fünf Cent pro Kilowattstunde zu entlasten - durch eine Reduktion der Stromsteuer auf das europäische Mindestmaß sowie durch niedrigere Umlagen und Netzentgelte. 

Auch die Strompreiskompensation soll dauerhaft verlängert und auf weitere Branchen ausgeweitet werden. Die Strompreiskompensation gleicht die verursachten Kosten durch den CO2-Preis für energieintensive Unternehmen aus. Der CO2-Preis fällt für die Nutzung fossiler Brennstoffe in Deutschland und in der EU an, um klimaschädliche Brennstoffe zu verteuern.

Ist das eine gute Idee

"Aus Sicht der Stromverbraucher sind die umfangreichen Entlastungen positiv", sagt Andreas Fischer der DW, Ökonom für Energie und Klimapolitik im arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft.

Der Geschäftsführer Max Jankowsky steht mit Schutzhelm in seiner Gießerei in Lößnitz, im Hintergrund wird Metall gegossen.
Der Geschäftsführer Max Jankowsky in seiner Gießerei in Lößnitz, DeutschlandBild: Nadine Mena Michollek/DW

Auch Max Jankowsky, Geschäftsführer der Gießerei Lößnitz und Präsident der Industrie- und Handelskammer Chemnitz, begrüßt die Pläne: "Die Dringlichkeit wurde erkannt.“ 

Doch es gibt auch Kritik. 

Risiko für Energiewende 

"Ein pauschal gesenkter Strompreis widerspricht den Anforderungen eines Systems mit erneuerbaren Energien“, sagt Swantje Fiedler, wissenschaftliche Leiterin beim Forum ökologisch-soziale Marktwirtschaft. Stattdessen brauche es Anreize für Energiespeicher und Flexibilität. 

Denn mit Sonne im Sommer und Dunkelheit im Winter schwankt das Stromangebot bei erneuerbaren Energien oft stark.

Ein Offshore Windpark in Schweden - im Bild 11 nebeneinander stehende Windräder vor der Küste
Ohne Wind und Sonne schnellt der Strompreis bisher nach obenBild: Dalibor Brlek/Zoonar/picture alliance

"Gleichzeitig ist es wichtig zu berücksichtigen: Wie flexibel kann wer sein?", gibt der IW-Ökonom Fischer zu bedenken. Nicht alle Unternehmen könnten schnell auf Änderungen reagieren.

Niedriger Strompreis: Vor- und Nachtteile 

Ein niedrigerer Strompreis kann Anreize zur Effizienz für einen geringeren Stromverbrauch senken, sagt Wissenschaftler Leonhard Probst vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme, der dort unter anderem die Datenplattform Energy-Charts betreut

Zugleich könne aber günstiger Strom helfen, Prozesse zu elektrifizieren, so Probst und Fischer gegenüber der DW. 

So wie bei Jankowsky, der gerne von Kokskohle auf einen Elektroschmelzofen umstellen würde - doch die hohen Strompreise bremsen ihn: "Das fühlt sich an wie ein Rennen ins offene Messer." 

Deckelung des Börsenstrompreises? 

Der Koalitionsvertrag der Regierungsparteien sieht zudem zusätzliche Entlastungen für energieintensive Unternehmen vor. Unklar ist, ob damit eine Deckelung des Börsenstrompreises gemeint ist. Einige Experten gehen davon aus.

Denn wie an der Grafik zu erkennen ist: Steuern und Umlagen machen bereits jetzt nur einen kleinen Teil des Endpreises aus. 

Der Fraunhofer Wissenschaftler Probst warnt vor Verzerrungen: "Wenn Strom knapp ist, aber günstig abgegeben wird, verschärft sich die Knappheit und es wird noch teurer." 

Verstoß gegen EU-Recht 

Eine Preisdeckelung wäre ein Eingriff in die Preisbildung - und ist beihilferechtlich in der EU kaum machbar“, sagt Dr. Sebastian Bolay, Bereichsleiter für Energie, Umwelt und Industrie bei der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK). 

Außerdem sei eine Preisdeckelung auch teuer für den Steuerzahler, so Probst: Viele Unternehmen würden profitieren, die keine Entlastung bräuchten, da der Anteil der Energiekosten an der Wertschöpfung sehr gering ist 

Was wäre sinnvoller? 

"Der schnellere Ausbau der Erneuerbaren drückt langfristig den Preis“, sagt Fiedler. Gezielte Förderungen seien wirksamer als pauschale Entlastungen, ergänzt Probst - etwa durch spezielle Stromtarife für Wärmepumpen. 

Auch Jankowsky fordert passgenaue Maßnahmen für den Mittelstand, denn von vielen Entlastungen und Förderungen sei sein Unternehmen bisher ausgenommen. "Und das muss möglichst schnell passieren."