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PolitikIndonesien

Indonesien: Was steckt hinter den Massenprotesten?

Fika Ramadhani | Rakha Susanto | Joan Aurelia Rumengan alle in Jakarta
4. September 2025

Indonesien erlebt die schlimmsten Unruhen seit Jahrzehnten. Grund dafür sind unter anderem wirtschaftliche Probleme. Die Zivilgesellschaft stellt klare Forderungen an die Politik.

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Protest vor dem Parlament in Jakarta, 28.8.25
Proteste in Indonesien: Polizei und Militär gehen mit Gewalt gegen Demonstranten vor. Szene aus Jakarta, 28.8.25Bild: Willy Kurniawan/REUTERS

Die Bilder vom Tod des jungen Affan Kurniawan in der vergangenen Woche schockierten die indonesische Öffentlichkeit. Sie zeigen, wie paramilitärische Elitepolizisten den 21-jährigen Auslieferungsfahrer mit einem gepanzerten Wagen überfuhren.

Umgehend wurden die Bilder online gepostet und sorgten dafür, dass die Protestbewegung in Jakarta nicht mehr friedlich blieb. Bei gewalttätigen Auseinandersetzungen starben mindestens acht Menschen. Hunderte wurden verletzt und mehr als 1240 Personen verhaftet. Mindestens 20 Personen gelten als vermisst. Das berichtet die Menschenrechtsorganisation KontraS.

Die Menschen, die sich am Montag vor dem Parlament versammelten, sahen sich einem massiven Militäraufgebot gegenüber. Auch aus anderen Städten Indonesiens wurden Zusammenstöße gemeldet, so etwa in Surabaya, Bandung, Yogyakarta und Makassar. Die Armee war Berichten zufolge jeweils entlang der Hauptstraßen in Stellung gebracht worden.

Doch diese Militärpräsenz kann nicht verhindern, dass sich die Zivilgesellschaft in dem südostasiatischen Archipel mobilisiert. Über soziale Medien und in den Straßendemonstrationen hat sich eine starke kollektive Bewegung gebildet. Entsprechende Aufrufe im Netz verbreiten sich rasch, auch dank einiger Influencer und Personen des öffentlichen Lebens. Am Ende entstand ein Forderungskatalog, dessen einzelne Punkte die Regierung innerhalb einer Woche erfüllen soll.

Die indonesischen Behörden reagierten restriktiv: Sie deaktivierten die Livestream-Funktion von TikTok. Diese hatte sich zu einer wichtigen Plattform für Informationsaustausch und Protestmobilisierung entwickelt.

Die Wurzeln des Protests

Die Kundgebungen finden vor dem Hintergrund langjähriger Missstände statt. Zunehmende wirtschaftliche Not und eine Politik, die als gleichgültig gegenüber den Problemen der einfachen Bürgerinnen und Bürger wahrgenommen wird, haben den Unmut vieler in Indonesien seit geraumer Zeit wachsen lassen. Daten der Weltbank zufolge arbeiten rund 60 Prozent der indonesischen Erwerbstätigen ohne ein stabiles Einkommen im so genannten informellen Sektor, in dem eine soziale Absicherung fehlt. Die Preise für Lebensmittel sind stark gestiegen, während sich gleichzeitig die Beschäftigungsmöglichkeiten verringern. Zudem schrumpft die Mittelschicht, was die Lage noch weiter verschärft: Millionen Menschen sind in niedrigere Einkommensklassen oder gar in völlige Armut abgerutscht. Allein in den vergangenen fünf Jahren haben, wie das Zentrum für Wirtschafts- und Rechtsstudien (CELIOS) belegt, fast zehn Millionen Menschen in Indonesien einen sozialen Abstieg erlebt.

Indonesien Jakarta 2025 | Studentenproteste gegen Parlamentsabgeordneten-Bezüge
Wachsender Unmut: Demonstranten vor dem Parlament in Jakarta, 28.8.25Bild: Willy Kurniawan/REUTERS

Seit Anfang dieses Jahres verloren mehr als 42.000 Arbeitnehmer ihre Jobs. Im Juni stellte die indonesische Regierung dann die Veröffentlichung offizieller Arbeitsmarktdaten ein. Sie begründete dies mit der Sorge vor "öffentlicher Panik".

Parlamentarier erhalten üppige Vergütung 

Inmitten aller Empörung ging dann ein besonderes Video online. Es zeigte Abgeordnete, die auf einer Parlamentssitzung tanzten. Viele Bürger sahen darin das Sinnbild elitärer Abgehobenheit. Der Zorn wuchs noch an, als sich die Parlamentarier eine Erhöhung ihres Wohngeldes um bis zu 50 Millionen Rupiah (ca. 2600 Euro) pro Monat genehmigten und damit ihre ohnehin schon üppigen Vergütungen weiter steigerten. Zum Vergleich: Das monatliche Pro-Kopf-Einkommen in Indonesien lag Regierungsdaten zufolge im Jahr 2024 bei durchschnittlich 6,5 Millionen Rupiah (knapp 340 Euro).

Ein Erlass des Finanzministeriums aus dem Jahr 1994 gewährt staatlichen Repräsentanten auch noch einen besonderen Steuerfreibetrag, der sie von der Zahlung der persönlichen Einkommensteuer befreit.

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Der Tod des Auslieferungsfahrers Affan Kurniawan brachte am Donnerstag vergangener Woche das Fass zum Überlaufen. Der junge Mann, der mit seinem bescheidenen Einkommen ums tägliche Überleben gekämpft hatte, wurde in den Augen vieler Bürger zum Sinnbild der Not, in die weite Teile der Bevölkerung angesichts des wirtschaftlichen Drucks geraten sind.

Die Forderungen der Demonstranten

Die Protestierenden formulierten ganz konkrete Forderungen. So soll etwa die geplanten Erhöhung der Zulagen für Parlamentsabgeordnete zurückgenommen werden. Die neue Bewegung "17+8" fordert die Regierung ferner auf, innerhalb einer Woche 17 dringende Aufgaben zu lösen. So soll sie einen Untersuchungsausschuss zum Tod von Affan Kurniawan bilden, den Einsatz des Militärs gegen Demonstranten beenden, bei Kundgebungen verhaftete Bürger aus dem Gefängnis entlassen und Beamte strafrechtlich verfolgen, die illegale Gewalt gegen die Protestierenden ausübten.

Das von den Protestierenden verfasste Papier enthält zudem Forderungen nach strukturellen Veränderungen, so etwa eine Reform des Parlaments, der politischen Parteien und der Polizei. Diese Aufgaben soll die Regierung innerhalb eines Jahres umsetzen. "Zumindest die Punkte zur Parlamentsreform müssen umgesetzt werden. Andernfalls wird sich die Lage auch in den kommenden Jahren nicht verändern", sagt Jovial da Lopez, ein Teilnehmer der Massendemonstrationen, der DW.

Der indonesische Präsident Prabowo Subianto bei einer Ansprache im August 2025
Kein Gefühl für die Anliegen der einfachen Menschen, so lautet der Vorwurf. Der indonesische Präsident Prabowo Subianto, hier bei einer Ansprache im August 2025Bild: Yasuyoshi Chiba/AFP

Die Reaktion der Regierung

Am Sonntag berief der indonesische Präsident Prabowo Subianto sein Kabinett in den Staatspalast ein und äußerte sich zu den Demonstrationen. Einige Aktionen der Demonstranten bezeichnete Prabowo als "Verrat und Terrorismus". Der Präsident habe die derzeitige strukturelle Krise noch nicht verstanden, sagt Kunto Adi Wibowo, Experte für politische Kommunikation der Padjadjaran-Universität in der Stadt Sumedang auf Java. "Der Präsident hat es versäumt, die Ursachen der Kundgebungen zu untersuchen. Er will nicht sehen, dass es eine Krise gibt und betrachtet die Tragödie, die den Protesten zugrunde liegt, als nicht-strukturelles Problem."

Prabowo wies die indonesische Nationalpolizei und die indonesischen Streitkräfte an, entschlossen gegen jene Personen vorzugehen, die während der Demonstrationen an Gewalt beteiligt gewesen sein sollen. "Das Militär ist nicht darauf eingestellt, auf friedliche Proteste zu reagieren", sagt Wirya Adiwena, stellvertretender Direktor von Amnesty International Indonesien, im DW-Gespräch. "Die Armee ist für Kriegsführung und Landesverteidigung ausgebildet. Das bereitet sie aber nicht für den angemessenen Umgang mit zivilen Demonstranten vor." 

Militärpersonal führt auch nächtliche Patrouillen durch. Präsident Prabowo versprach außerdem, Polizisten zu befördern, die bei der Sicherung der Demonstrationen verletzt wurden. "Prabowo stellt sich auf die Seite der repressiven Kräfte, indem er Polizei- und Militärangehörigen Privilegien gewährt. Dies hat die Zivilbevölkerung zusätzlich verärgert. Zudem zeugt es von mangelnder Sensibilität", so Adiwena.

Die Armee patrouilliert nach einer Demonstration. Szene aus Jakarta, 31. August 2025
Die Armee auf Patrouille nach einer Demonstration. Szene aus Jakarta, August 2025Bild: Levie Wardana/DW

 Der militaristische Ansatz des Staates könne dazu führen, dass die Sicherheitskräfte den Einsatz von Gewalt möglicherweise für gerechtfertigt halten. "Gewalt gegen Einzelpersonen oder Familien, die ihre Rechte verteidigen, wird vom Staat normalisiert", fürchtet Adiwena.

"Solidarität überschreitet nationale Grenzen"

Die Zivilgesellschaft hält dagegen: Soziale Medien werden mit Beiträgen überflutet, die kostenlose psychologische Beratung, medizinische Dienste, Rechtshilfe, Notfallkontakte für Vermisste und Spendenkanäle anbieten. Immer wieder teilen Bürgerinnen und Bürger Online-Botschaften, die zur gegenseitigen Fürsorge aufrufen, rassistisch motivierte Provokationen zurückweisen, Informationen auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen und die Forderungen an die Regierung weiterverbreiten.

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"Die Bürger sind zunehmend bereit, eine von Empathie geprägte Bewegung aufzubauen und den Fokus auf den Widerstand gegen autoritäre Praktiken des Staates zu richten", sagt Adiwena.

Inzwischen haben sich die Solidaritätsbemühungen über Indonesiens Grenzen hinaus ausgeweitet bis hin zu Indonesiern, die in Deutschland leben. "Wir sind solidarisch mit Indonesien", sagt ein indonesischer Student in Berlin. Aber besonders "die Unterstützung aus ganz Südostasien war bemerkenswert", sagt Kunto. "Internetnutzer aus Malaysia und Thailand haben sogar Essen an Motorradtaxifahrer geschickt. Die Solidarität überschreitet nationale Grenzen."

Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.