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PolitikIndonesien

Indonesien: Konfessionslose unter Druck

7. Februar 2025

Die indonesische Gesetzgebung schreibt in offiziellen Dokumenten zwingend die Angabe der Religionszugehörigkeit vor. Konfessionslose betrachten dies als Diskriminierung.

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Betende in der Istiqlal-Moschee in Jakarta, 2024
Weltweit hat Indonesien die größte muslimische Bevölkerung. Szene aus der Istiqlal-Moschee in Jakarta, 2024Bild: Levie Wardana/DW

Das indonesische Verfassungsgericht hat entschieden: Atheisten und Konfessionslose haben in dem südostasiatischen Land keinen Anspruch auf juristische Anerkennung ihrer Überzeugung. Einen der ohnehin seltenen Versuche, diese einzuklagen, wies das Gericht im vergangenen Monat ab. Jeder Bürger müsse sich in offiziellen Dokumenten zu einem Glauben bekennen, urteilte das Gericht. Diese könne neben dem Islam aber auch eine andere Religion sein. Zudem müsse jede Eheschließung den Vorgaben der Religion entsprechen.

Indonesien, das Land mit der weltweit größten muslimischen Bevölkerung, erkennt offiziell sechs Religionen an: den Islam, das Christentum, wobei Protestantismus und Katholizismus jeweils getrennt gezählt werden, den Buddhismus, Hinduismus und Konfuzianismus. Wer einem dieser Glaubensbekenntnissen folgt, ist juristisch vor Diskriminierung geschützt. Atheisten und Ungläubige hingegen erkennt das Gesetz nicht an.

Für die Betroffenen kann das ernste Folgen haben. Als Alexander Aan, ein Staatsbeamter, im Jahr 2012 atheistische Inhalte auf Facebook teilte, wurde er wegen Blasphemie zu 30 Monaten Gefängnis verurteilt.

Das indonesische Strafgesetzbuch stellt Blasphemie unter Strafe - und auch die Verbreitung atheistischer Überzeugungen. Einen fehlenden religiösen Glauben hingegen kriminalisiert es zumindest aus rechtstechnischer Sicht nicht. 

Allerdings klagen Konfessionslose über die selektive Anwendung bestehender Gesetze. Diese ziele darauf ab, ihnen einen den Angehörigen der Konfessionen vergleichbaren Schutz zu verwehren.

Im Januar 2024 gestand das Verfassungsgericht auch Angehörigen anderer religiöser Minderheiten als den sechs offiziell anerkannten das Recht zu, sich in ihrem Personalausweis als nicht näher bezeichnete "Gläubige" eintragen zu lassen. Konfessionslose Aktivisten hofften daraufhin, dies käme auch jenen entgegen, die in ihrem Pass den Eintrag "konfessionslos" sehen möchten.

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Enttäuschte Hoffnungen 

Doch diese Hoffnung erfüllte sich nicht: Im Oktober vergangenen Jahres beantragten zwei keiner Religion angehörende Aktivisten, Raymond Kamil und Teguh Sugiharto, Konfessionslosen zuzugestehen, das Feld "Religion" in offiziellen Dokumenten leer zu lassen.

Das Gericht wies die Petition ab. Im Januar diesen Jahres erklärte der Verfassungsrichter Arief Hidayat im Rahmen der Urteilsbegründung, religiöser Glaube sei gemäß der so genannten Pancasila - der "fünf Prinzipien" der indonesischen Staatsideologie - eine durch die Verfassung vorgeschriebene "Notwendigkeit".

Die Pancasila sieht den Glauben an eine einzige, höchste Gottheit vor. Die Erfordernis, ein religiösen Bekenntnis anzugeben, stelle daher lediglich eine  "verhältnismäßige Restriktion" dar und sei weder willkürlich noch unterdrückend, erklärte Richter Hidayat.

Das Verfassungsgericht wies zudem eine weitere von Kamil und Sugiharto eingereichte Petition ab. Darin hatten diese argumentiert, die gesetzliche Vorgabe, wonach eine Ehe nur dann gültig sei, wenn sie gemäß den Gesetzen der jeweiligen Religion geschlossen werde, sei diskriminierend. Auch diesen Einspruch wies Richter Hidayat ab. 

Das Gericht habe damit im Wesentlichen entschieden, dass es für Konfessionslosigkeit "keinen Raum" gebe, schrieb Ignatius Yordan Nugraha, ein Jurist von der Hertie School in Berlin, in dem deutschen Portal "Verfassungsblog", das sich mit internationalen Verfassungsfragen befasst.

Atheismus keine Seltenheit

Zwar ist der Atheismus in Indonesien stark stigmatisiert. Doch deuten Untersuchungen darauf hin, dass er in Indonesien keine Seltenheit ist.

So geht eine Studie des Religionswissenschaftlers Hanung Sito Rohmawati davon aus, dass sich rund dreieinhalb Millionen Indonesier - bei einer Gesamtbevölkerung von über 270 Millionen - als Atheisten verstehen. Aktivisten zufolge könnte die Zahl aber auch höher sein. Denn um Diskriminierung, Belästigung oder Strafverfolgung zu vermeiden, behielten viele Konfessionslose ihre Haltung für sich.

Ihn habe das Urteil des Verfassungsgerichts nicht überrascht, sagt Andreas Harsono von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) im DW-Interview. Indonesien erlebe seit dem Sturz des autoritären Präsidenten Suharto im Jahr 1998 einen Anstieg des islamischen Fundamentalismus, so Harsono. "Und die neun Richter des Gerichts sind nicht immun gegen islamischen Fundamentalismus."

Ein Urteil aus dem Jahr 2010 bestätigte bereits bestehende Gesetze, die Blasphemie unter Strafe stellen. Damals betonte das Verfassungsgericht, "das Prinzip der allumfassenden Göttlichkeit" sei die wichtigste juristische Grundlage des Staates. Religion sei ein Maßstab, um die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes zu beurteilen.

Wenig internationale Kritik

International hat das Urteil des Verfassungsgerichts gegen Konfessionslosigkeit wenig Aufmerksamkeit erregt.

Die Rechte von Minderheitsreligionen in Südostasien sind in den letzten Jahren zwar zu einem heftig diskutierten Thema geworden, insbesondere seit Myanmars Militär 2016 zum Völkermord an der muslimischen Minderheit der Rohingya ansetzte. Die US-Regierung und das deutsche Parlament haben ferner die Regierungen von Vietnam und Laos heftig für die Unterdrückung religiöser Minderheiten kritisiert.

Aktivisten beklagen aber, dass Agnostiker und Atheisten dabei wenig internationale Unterstützung erhielten. Auch Papst Franziskus zog es während seiner viel beachteten Indonesienreise im vergangenen September vor, sich nicht zur Lage der Konfessionslosen zu äußern.

Der Bericht "Humanists At Risk: Action Report 2020" der NGO Humanists International stellte mehreren südostasiatischen Staaten - darunter Indonesien, Malaysia und die Philippinen - hinsichtlich ihrer Konfessionsgesetze ein schlechtes Zeugnis aus. Er attestierte den Ländern eine "fehlende Trennung zwischen Staat und Religion". Außerdem setzten diese Staaten auf Taktiken, die sich gegen Humanisten, Atheisten und Nichtreligiöse richteten, so der Report.

Ein Sprecher der Europäischen Union (EU) wollte sich gegenüber der DW nicht konkret zu dem indonesischen Gerichtsurteil äußern. "Die EU fördert und unterstützt das Recht aller Menschen, eine Religion zu haben, einen Glauben zu haben oder nicht, sowie das Recht, seine Religion oder seinen Glauben ohne Angst vor Gewalt, Verfolgung oder Diskriminierung zu bekunden, zu ändern oder aufzugeben", sagte der Sprecher.

"Wir diskutieren regelmäßig die Bedeutung der Gewährleistung der Religions- und Glaubensfreiheit - inklusive des Rechts, gar keinen Glauben zu haben - in geeigneten Foren wie etwa dem EU-Indonesischen Menschenrechtsdialog", so der Sprecher. Dieser hatte zuletzt im Juli vergangenen Jahres stattgefunden.

Papst Franziskus küsst die Hand des Imams der Istiqlal-Moschee in Jakarta, September 2024
Kein Wort über Konfessionslose: Papst Franziskus in Jakarta, 2024Bild: Antonius Jagad SR/ZUMAPRESS/picture alliance

Zwischen Vorsicht und Hoffnung

Trotz der rechtlichen Rückschläge seien Fortschritte weiterhin denkbar, meint Andreas Harsono von Human Rights Watch. Es sei möglich, das Urteil anzufechten, sagt er mit Bezug auf die jüngste Entscheidung des Verfassungsgerichts. Allerdings könne dies einige Zeit dauern. "Wir müssen die Menschen aufklären, damit sie das Prinzip der Religions- und Glaubensfreiheit in Indonesien verstehen", so Harsono weiter.

Ignatius Yordan Nugraha befürchtet dagegen als Jurist, dass das Urteil Hidayats vom vergangenen Monat "die Tür öffnet für weitere Verfassungsbeschwerden gegen Gesetze, die nicht mit panreligiösen Werten im Einklang stehen".

Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.

DW Mitarbeiter David Hutt
David Hutt Journalist mit Fokus auf die Beziehungen zwischen Europa und Südostasien@davidhuttjourno