Indien: Gestalten Hindu-Nationalisten die Verfassung um?
8. Juli 2025Erneut entflammt in Indien eine Debatte über die Identität des Landes. Die mächtige Rashtriya Swayamsevak Sangh (RSS) – eine 1925 gegründete hindu-nationalistische Organisation – drängt auf Änderungen in der säkular geprägten Verfassung.
Die RSS gilt als ideologischer Schirmherr der Bharatiya Janata Party (BJP), die Indien seit 2014 unter Premierminister Narendra Modi regiert. Ihre Mitglieder bekennen sich zur "Hindutva" – einer zentralen politischen Ideologie, die die Werte der hinduistischen Religion als Eckpfeiler der indischen Gesellschaft und Kultur fördert. Sie beeinflussen die indische Politik über das riesige Netzwerk der RSS-Mitgliedsorganisationen in den Bereichen Bildung, Medien, Gewerkschaften und Zivilgesellschaft.
RSS hält die Definition Indiens als "säkular" für unzulässig
Bei einer kürzlich in Neu-Delhi abgehaltenen Buchvorstellung wies RSS-Generalsekretär Dattatreya Hosabale darauf hin, dass die ursprüngliche Präambel der Verfassung von 1949 Indien lediglich als "souveräne demokratische Republik" definierte.
Die Wörter "sozialistisch" und "säkular" wurden 1976 während des landesweiten Ausnahmezustands hinzugefügt, den die damalige Premierministerin Indira Gandhi verhängte. Gandhi nutzte die Notstandsbefugnisse, um ihre politischen Gegner zu unterdrücken. Laut Hosabale wurde die Präambel geändert, "als das Parlament belagert wurde" und Indiens Demokratie faktisch außer Kraft gesetzt war. Daher, so argumentiert er, sei dieser Schritt unzulässig gewesen.
"Westliche Terminologie ist unerwünscht"
Die RSS vertritt die Auffassung, dass Säkularismus und Sozialismus fremde Konzepte seien, die Indien aus westlicher Perspektive aufgezwungen würden. Sie ist außerdem der Ansicht, dass jeder in Indien Geborene als Hindu zu gelten habe, da seine Vorfahren vor dem muslimischen und christlichen Einfluss Hindus gewesen seien. Dieser Ideologie zufolge würde die Umwandlung ganz Indiens in eine hinduistische Nation den Säkularismus – die Trennung von Religion und Staat – überflüssig machen.
"Hindutva selbst ist die größte Garantie für Säkularismus", sagte RSS-Sprecher Sunil Ambekar gegenüber der DW und fügte hinzu, dass die Änderungen der Präambel unter Indira Gandhi die Gründungsvision der indischen Republik verzerrt hätten.
Auch einige Mitglieder der regierenden BJP befürworten eine Neufassung der Präambel. 2020 brachte der BJP-Abgeordnete Rakesh Sinha eine Resolution ins Parlament ein, in der er die Streichung der Begriffe "säkular" und "sozialistisch" aus dem Dokument forderte.
"Eine Lebensweise, die Vielfalt als selbstverständlich verinnerlicht, ist wahrer Säkularismus. Sie ist die hinduistische Lebensweise. Daher ist westliche Terminologie in der Präambel unerwünscht", sagte Sinha gegenüber der DW.
Der BJP fehlt die Mehrheit für eine Verfassungsänderung
Trotz des anhaltenden politischen Drucks von rechts bestätigte der Oberste Gerichtshof Indiens im vergangenen Jahr die Aufnahme der Begriffe "sozialistisch" und "säkular" in die Verfassung und entschied, dass sie die indischen Grundwerte Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit stärken.
"Das Problem für diejenigen, die eine hinduistische Nation befürworten, ist, dass der Säkularismus der Erklärung des Hinduismus zur Staatsreligion im Wege steht", sagte Ratan Lal, Historiker an der Universität Delhi, gegenüber der DW.
"Im Westen bedeutet Säkularismus die Trennung von Religion und Staat. In Indien bedeutet er, dass der Staat keine offizielle Religion hat, aber alle Religionen respektiert," erläuterte er.
In der Politik bleiben Verfassungsänderungen angesichts der derzeitigen Machtverhältnisse im Parlament unwahrscheinlich. Die BJP kontrolliert 240 der 543 Sitze im Unterhaus, der Lok Sabha, weit entfernt von der für eine Verfassungsänderung erforderlichen Zweidrittelmehrheit. Zudem müsste mindestens die Hälfte der 28 indischen Bundesstaaten den Änderungen zustimmen.
"Das Mandat hat deutlich gemacht, dass das indische Volk jeden Versuch einer Verfassungsänderung ablehnt", sagte Supriya Shrinate, Sprecherin der Kongresspartei, der größten Oppositionsfraktion Indiens. Sie wies die Forderungen der RSS als "Ablenkungsmanöver" zurück, das darauf abziele, von den dringenden Fragen der indischen Wirtschaft und Außenpolitik wegzuführen.
RSS blickt auf die Wahlen 2029
Der Politikanalyst Abhay Kumar weist darauf hin, dass die Streichung des Begriffs "Säkularismus" auch innerhalb von Modis Regierungslager schwer durchzusetzen wäre.
"Sogar die Parteiverfassung der BJP bekennt sich zum Säkularismus. Jeder Schritt würde zunächst interne Veränderungen innerhalb ihres eigenen Rahmens erfordern."
Kumar warnt jedoch davor, dass schon das Anstoßen dieser Debatte Konsequenzen hat. "Sie schürt Ängste unter Minderheiten und vertieft die Polarisierung", befürchtet er.
Zudem dürfte die symbolische Streichung von "Säkularismus" und "Sozialismus" eine Hinwendung zu einer Politik für die Mehrheit, in diesem Fall der Hindus, signalisieren – mit langfristigen Auswirkungen auf Indiens sozialen Zusammenhalt und sein Image als vielfältige Demokratie.
"Wir sehen, wie die RSS den Grundstein für zukünftige Wahlnarrative legt, insbesondere im Vorfeld der Wahlen 2029", so der Analyst.
Ein neuer Sieg für die Hindu-Nationalisten?
Bisher hat die Modi-Regierung alle von der RSS gesetzten Ziele umgesetzt – darunter die Aufhebung des Sonderstatus und die Annexion von Jammu und Kaschmir, den Bau des Ram-Mandir-Tempels am Standort der historischen Babri-Moschee in Uttar Pradesh sowie die Verabschiedung des Citizenship Amendment Act, der Nichtmuslimen aus Nachbarländern die Staatsbürgerschaft gewährt.
Da die RSS nun eine Neudefinition des indischen Säkularismus vorantreibt, könnte der Konflikt zwischen konkurrierenden Visionen Indiens bald in den Mittelpunkt rücken.
"Dies wird ein aktuelles Thema in der indischen Politik bleiben und die Debatten in den kommenden Jahren prägen", sagte Kumar gegenüber der DW.
Aus dem Englischen adaptiert von Shabnam von Hein