"In Usbekistan herrscht eine neue Atmosphäre"
9. Juli 2003Köln, 7.7.2003, DW-radio / Russisch
In den vergangenen zwei Monaten ist es in der politischen Arena Usbekistans zu zwei bemerkenswerten Ereignissen gekommen, deren Bedeutung äußerst wichtig ist. Im Mai fand erstmals seit Anfang der 90er Jahre der Kongress der Volksbewegung "Birlik" statt und vor kurzem tagte das Plenum der Oppositionspartei "Erk". Diese zuvor undenkbare "Nachgiebigkeit" von Präsident Islam Karimow veranlasste einige Vertreter der Opposition festzustellen, dass sich die politische Atmosphäre im Lande insgesamt positiv verändert. Diesen Standpunkt erläutert der in München lebende usbekische Journalist Anwar Usmanow:
"Das, was in Usbekistan geschieht - gerade die Fortschritte bei der demokratischen Transformation der Gesellschaft - geschieht nur auf Druck der Weltgemeinschaft. Eine große Rolle spielte die Sitzung der Europäischen Bank für Wiederaufbau, die vor einem Monat in Taschkent stattfand. Ich möchte aber etwas anderes sagen. Die Regierung unter Karimow macht auch deswegen Zugeständnisse, da die Unzufriedenheit in der Gesellschaft selbst wächst. Es ist eine offene Unzufriedenheit mit der Wirtschaftslage aber auch mit dem Fehlen politischer Freiheiten im Lande zu beobachten. Um irgendwie die Spannung zu nehmen, verschließt das Regime die Augen sogar vor Mahnwachen. Die Opposition und die Menschenrechtsbewegung hat ihre Sache gemacht und der Gesellschaft einen gewissen Ruck gegeben. Die Menschen beginnen, über ihre Lage nachzudenken. Dies alles hat insgesamt in Usbekistan zu einer Situation geführt, über die wir sagen können, dass wir auf jeden Fall den Zustand des "toten Sumpfes" verlassen haben. Wenn sich dies alles fortsetzt, sehe ich optimistisch in die Zukunft."
Aber nicht nur die Tatsache, dass die organisierte Opposition aktiv wird, erlaubt es Anwar Usmanow festzustellen, dass sich die politische Atmosphäre in Usbekistan positiv verändert. Spontane Proteste der Bevölkerung nehmen zu und die Opposition innerhalb es Regimes wächst:
"Es kommt zu Mahnwachen und Demonstrationen, sogar Frauen protestieren. In Andischan und in Taschkent haben Frauen die Abteilungen der Miliz und das Innenministerium belagert. Sie forderten bessere Haftbedingungen für Gefangene. Diese Mahnwachen wurden von den Behörden nicht aufgelöst. In jüngster Zeit wurden zahlreiche Strafverfahren eingestellt. Viele Menschen, die sich in Untersuchungshaft befanden, wurden aus Mangel an Beweisen freigelassen. Gewisse Erleichterungen sind auch in den Gefängnissen zu beobachten. Das kann man aber nicht von Schaslyk sagen - in diesem Konzentrationslager, das sich in im Gebiet Karakalpakstan befindet, hat sich nichts geändert. Karimow sitzt aber auch gleichzeitig die Opposition innerhalb der herrschenden Schicht im Nacken. In der usbekischen politischen ‚schönen Welt‘ gibt es konkurrierende Kräfte. Das ist der ehemalige Vorsitzende des Ministerrates Mirsandow – das ist die sogenannte ‚Taschkenter Gruppe‘. Aber auch Karimows engste Berater haben damit begonnen, dem Präsidenten zu widersprechen. Mit Karimow ist man auch in seinem engsten Umfeld unzufrieden."
Manche sagen, dass Islam Karimow seine Position gestärkt hat, indem er stets seine Loyalität gegenüber Amerika demonstriert hat. Der Führer der Volksbewegung "Birlik", Abdurachim Pulat, meint, man dürfe die amerikanische Unterstützung für Karimows Regime nicht überbewerten.
"Ich denke, dass Amerika mit dem Vorgehen der Regierung Karimow einverstanden ist. Die USA sind ein demokratisches Land, das von seinen Prinzipien nicht abrücken wird und deswegen werden die Forderungen an das in Usbekistan herrschende Regime nach demokratischen Reformen immer wieder gestellt werden. Gleichzeitig beabsichtigen die Amerikaner aber nicht, die Demokratie nach Usbekistan zu exportieren. Das ist unsere Aufgabe. Heute herrscht in Usbekistan eine neue Atmosphäre und man muss alle Kräfte an zwei Fronten einsetzen. Man muss von der Staatsmacht erreichen, dass die oppositionellen Organisationen offiziell zugelassen werden und dass Meinungsfreiheit ermöglicht wird. Man muss eine Bresche schlagen und dann das Monopol der staatlichen Medien brechen. Ohne dies kann man von keiner Demokratisierung sprechen. Heute gibt es in Usbekistan eine sehr starke Menschenrechtsbewegung, die über eigene Publikationen nachdenken sollte. Aufgabe der Opposition ist es, eine Atmosphäre zu schaffen, die eine entsprechende Betätigung ermöglicht, und wir arbeiten derzeit an dieser Aufgabe. (MO)