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"In Turkmenistan gibt es nur eine russische Zeitung und drei Mal die Woche Nachrichten in Russisch im Fernsehen"

31. Juli 2002

- Zur Lage der russischsprachigen Bevölkerung in den Staaten Zentralasiens

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Köln, 30.7.2002, DW-radio / Russisch, Darja Brjanzewa

Nach Angaben des Dumaausschusses für GUS-Angelegenheiten und Beziehungen zu den Landsleuten halten sich über 50 Millionen Sowjetmenschen infolge des Zerfalls der Sowjetunion außerhalb ihrer "ethnischen Heimat" auf. Etwa 30 Millionen Russen lebten damals außerhalb der RSFSR. Auf diese Weise sind die Russen mit dem Zerfall der Sowjetunion von einem Tag auf den anderen zum größten geteilten Volk auf der ganzen Welt geworden. Mächtige Migrationsströme kamen im gesamten postsowjetischen Raum in Gang. In zehn Jahren nahm Russland einige Millionen Umsiedler auf. Aber auch heute noch leben Millionen Russen außerhalb ihrer "ethnischen Heimat". Um die Lage der russischsprachigen Bevölkerung in Zentralasien geht es in unserer heutigen Sendung.

Es berichtet unser Korrespondent in Aschgabad, Asat Atajew:

Keiner kann genau sagen, wie viele Russen heute in Turkmenistan leben. Die offizielle Statistik schweigt sich darüber aus und die letzte Volkszählung fand 1995 statt. Damals überstieg der Anteil der Russen sieben Prozent nicht. Vor zwei Jahren teilte der Präsident Turkmenistans, Saparmurad Nijasow, mit, dass die Zahl der Russen im Land zurückgegangen sei und sich auf drei Prozent der Gesamtbevölkerung belaufe. Das Staatsoberhaupt erklärte, "die Russen leben in den Städten, auf dem Land gibt es sie bereits nicht mehr". Bekannt sind einige Gründe, weswegen russischsprachige Bürger Turkmenistan verlassen. Erstens die Zusammenführung mit Familienangehörigen, die in Russland leben. Zweitens die massenhafte Entlassung von Staatsbeamten, die der nationalen Sprache nicht mächtig sind. Drittens ist es unmöglich geworden, den Kindern eine vollwertige Ausbildung in der Muttersprache zu ermöglichen, da in vielen Schulen und Hochschulen nur in turkmenischer Sprache unterrichtet wird. Ein weiterer Grund für die Abwanderung der Russen liegt in der rapiden Verringerung des Informationsraumes. Vor einigen Jahren wurden beim staatlichen Rundfunk alle Sendungen in russischer Sprache eingestellt. Beim Fernsehen ist eine einzige 15minütige Informationssendung in Russisch übriggeblieben, die nur drei Mal in der Woche ausgestrahlt wird. Es gibt eine einzige staatliche Zeitung in russischer Sprache. Im Land gibt es keine unabhängigen Nachrichtenagenturen, Fernseh- und Rundfunkgesellschaften, keine privaten Zeitungen oder Zeitschriften. Nach Angaben der russischen Botschaft in Turkmenistan ist die Schlange derjenigen, die den "Status eines Umsiedlers" oder die russische Staatsbürgerschaft bekommen wollen, riesig. Es werde einige Jahre dauern, bis alle Anträge genehmigt seien.

Die russischsprachige Bevölkerung Kasachstans wird mit ähnlichen Problemen konfrontiert. Jewgenija Wyschemirskaja berichtet aus Almaty:

In jeder offiziellen Informationsquelle über Kasachstan taucht eine Zeile darüber auf, dass es dort "keine Probleme gibt, die etwas mit der russischsprachigen Bevölkerung zu tun haben". Für die Einwohner der Republik ist es jedoch kein Geheimnis, dass die massenhafte Abwanderung des mobilsten und aktivsten Teils der slawischen und der russischsprachigen Bevölkerung aus Kasachstan auf das Territorium Russlands bis auf den heutigen Tag andauert. Vertreter der russischen Diaspora behaupten, dass dazu die Politik der Machthaber beigetragen hat und auch weiterhin beiträgt, die darin besteht, Kasachen (darunter auch solche, die aus China kommen) in den nördlichen Gegenden des Landes anzusiedeln, wo ihnen ansehnliche Vergünstigungen bei der Besteuerung und in allen Gebieten des Geschäftslebens gewährt werden. Der größte Teil der russischen Auswanderer lässt sich in den naheliegenden Gegenden Russlands nieder. Dabei betrachten sich die meisten von ihnen als Flüchtlinge oder Zwangsumsiedler und stehen den kasachischen Machtorganen äußerst negativ gegenüber.

Der Beschluss der Staatsduma Russlands, den Erwerb der Staatsbürgerschaft der Russischen Föderation zu erschweren, ist auf scharfe Proteste russischer politischer Organisationen in Kasachstan gestoßen. Der Vorsitzende der größten dieser Parteien – "Russische Gemeinde Kasachstans" - Jurij Budanow bezeichnete die russische gesetzgebende Macht sogar als "antirussisch". Er unterstrich, dass viele russischsprachige Bürger der Republik sich nicht für die Rückkehr in die historische Heimat einsetzen, sondern für die Möglichkeit, dort zu leben, wo sie heute leben. Sie wollen jedoch von Russland Garantien bekommen, dass sie von den lokalen Regierungen nicht nach ethnischen Prinzipien diskriminiert werden. Die russischsprachige Bevölkerung beläuft sich heute in Kasachstan auf 35 Prozent, in den Organen der Staatsmacht sind die Russen jedoch nur mit acht Prozent vertreten, diese Zahl wird immer kleiner.

Der wichtigste Vorwand, Russen aus der Staatsverwaltung zu verdrängen, besteht in der mangelnden Kenntnis der kasachischen Sprache. Die russischen gesellschaftlichen Vereinigungen Kasachstans setzen sich dafür ein, dass der russischen Sprache neben der kasachischen der Status der Staatssprache verliehen wird. Sollte Russisch zur Staatssprache werden, heißt es, werden sich die Russen in der Republik wohler fühlen, was die Auswanderung aus dem Land verringern wird. Außerdem ist es immer schwieriger, in der Republik eine Ausbildung in Russisch zu machen. Die Hochschulen des Landes gehen zum Unterricht in der Staatssprache über. Schulabsolventen, die die Staatssprache nicht beherrschen, stehen von Jahr zu Jahr immer weniger Fakultäten zur Auswahl. Auch die russischsprachigen Lehrer leiden. Die Forderung, in Kasachisch zu unterrichten, führt zur Entlassung hochqualifizierter Fachleute.

Über die Lage der Russen in Usbekistan berichtet Jurij Tschernogajew:

Anfang der 90er Jahre fühlten sich viele Russen im Land nicht wohl. Wem ist es denn angenehm, wenn er hier sein Leben lang ehrlich gearbeitet hat und plötzlich als Okkupant oder Kolonialherr bezeichnet wird? Von den zwei Millionen Russen ist im Land die Hälfte übriggeblieben. Es ist zu einer massenhaften Abwanderung russischsprachiger Bürger nach Russland gekommen. Das hat kaum etwas mit wirtschaftlichen Problemen zu tun. Kaum lebte man damals in Russland besser als in Usbekistan. Ist doch in Usbekistan das Obst besser, es gibt mehr Gemüse und auch das Getreide wächst schneller. Unwohl fühlten sich die Russen, weil sie als Kolonialherren betrachtet wurden.

Nach Ansicht unseres Taschkenter Korrespondenten habe sich die Lage mit der Zeit geändert, man verhalte sich der russischsprachigen Bevölkerung gegenüber ruhiger:

Islam Karimow sagte irgendwann: "Die Euphorie der Unabhängigkeit ist vorbei." Die russische Sprache hat heute in Usbekistan den Status einer Sprache, in der sich Bürger verschiedener Nationen untereinander verständigen. Besonders gut kommt das bei Verhandlungen mit anderen Staaten zum Ausdruck: bei allen Verhandlungen, die in Zentralasien stattfinden, sprechen deren Teilnehmer Russisch. Gleichzeitig ist im Land eine ganze Generation herangewachsen, die kein Russisch beherrscht. Wieso sollten denn diese 16- bis 18jährigen Jugendlichen auch Russisch sprechen? Sind sie doch in ihrem (usbekischen) Bezirk aufgewachsen, haben eine Schule besucht, in der in Usbekisch unterrichtet wird, werden jetzt auf eine ähnliche Hochschule gehen. Wozu brauchen sie Russisch? Um Karriere zu machen, muss man eher Englisch oder Deutsch lernen. Das usbekische Alphabet basiert derzeit auf der kyrillischen Schrift, es ist jedoch ein Übergang zur lateinischen Schrift vorgesehen. Auf diese Weise werden sich die russische und die usbekische Sprache immer weiter voneinander entfernen. Spricht heute ein usbekischer Jugendlicher Russisch, so bedeutet das, dass er aus einer Intellektuellen-Familie mit sowjetischer Ausbildung kommt, wo es Tradition ist, Russisch zu sprechen. Die heutige Gesellschaft Usbekistans wird jedoch nicht von Traditionen sondern der Zweckmäßigkeit geleitet. In Usbekistan gibt es weiterhin Russen und russischsprachige Bürger, die dank ihrer Vernunft der Panik der 90er Jahre widerstanden und nicht nach Russland "flüchteten". Das sind wichtige Fachleute, die immer den Schutz des Staates zu spüren bekamen, sowie Leute, die einen Beruf ausüben, in dem es egal ist, welche Sprache gesprochen wird. Usbekistan verwandelt sich allmählich in ein kapitalistisches Land, es ist egal, wie man die Usbekistan-Sum (usbekische Währung – MD) zählt, in Russisch oder in Usbekisch.

Ein wenig anders ist die Situation in Kirgisistan. In dieser zentralasiatischen Republik ist kürzlich ein Gesetz angenommen worden, bei dem es um den Status der russischen Sprache geht. Es berichtet Saida Jusupchanowa:

Das Gesetz "Über die Anerkennung des Russischen als Amtssprache" ist im letzten Jahr angenommen worden. Der ganze offizielle Schriftverkehr erfolgt in Kirgisistan in Russisch. Der überwiegende Teil der Massenmedien schreibt und sendet in Russisch. Fast in allen Hochschulen und Schulen des Landes wird in der russischen Sprache unterrichtet. All das ist teilweise dadurch hervorgerufen, dass viele Vertreter der angestammten Bevölkerung ihre Muttersprache nicht beherrschen. Als die Republik unabhängig wurde, wurden Versuche unternommen, den Bürgern, die die russische Sprache angenommen haben, Kirgisisch beizubringen. In das Programm der Lehranstalten wurde der Kirgisisch-Unterricht aufgenommen, was jedoch aus Mangel an dafür ausgebildeten Lehrern zu keinen bedeutenden Ergebnissen führte. Die russische Sprache wird in Kirgisistan auch deshalb nicht vergessen, weil die neuesten Literaturwerke, die meisten Zeitschriften und Zeitungen aus Russland in das Land gelangen, natürlich in Russisch. Internationale Nachrichten senden nur russische Gesellschaften.

Ungeachtet dessen verlassen Russen Kirgisistan:

In den Jahren der Unabhängigkeit haben etwa 400 000 Russen Kirgisistan verlassen. Der Grund dafür ist in der komplizierten Wirtschaftslage der Republik und der instabilen Lage im Süden des Landes zu suchen, die durch die Ereignisse in Aksy hervorgerufen wurde.

Womit können die Russen rechnen, die in ihre "ethnische Heimat" zurückkehren? Wir baten unseren Korrespondenten Anatolij Dazenko herauszufinden, wie es den Einwanderern in der Russischen Föderation geht:

Bei dem kürzlich in Moskau abgehaltenen außerordentlichen Kongress zum Schutz der Einwanderer, der auf Initiative von Rechtsschutzorganisationen einberufen worden war, ist nur wenig Hoffnung Machendes für potentielle Umsiedler nach Russland zu vernehmen gewesen. Sowohl die Menschenrechtler als auch die Vorsitzenden der Gemeinden der Umsiedler behaupteten unisono, dass die Einwanderer, egal, wer sie sind – Asiaten, Kaukasier oder Russen, die aus benachbarten Staaten nach Russland gekommen sind - fast alle ohne Ausnahme in die Lage rechtloser Landstreicher geraten, mit entsprechendem Verhalten seitens der lokalen Bevölkerung und der Rechtsschutzorgane ihnen gegenüber. "Die lokale Bevölkerung", berichteten Umsiedler aus Zentralasien, "betrachtet uns als Fremde, als Konkurrenten, die Anspruch auf eine Wohnung und Arbeit erheben. Und das ungeachtet der Tatsache, dass die meisten von uns ethnische Russen sind, die in Zentralasien aufgewachsen sind."

Alle, die in Russland keine Verwandten haben, sind lange Zeit ohne Wohnung und Existenzmittel. Um irgendwo eingestellt zu werden, muss man über bestimmte Unterlagen verfügen. Wie Kongressteilnehmer sich jedoch beschwerten, verlange die Miliz für eine ganz einfache Bescheinigung hohe Bestechungsgelder. (...) (lr)