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PolitikTürkei

Imamoglu-Festnahme: Türkei zieht Daumenschrauben weiter an

20. März 2025

Türkische Stellen gehen weiter gegen den möglichen Herausforderer von Präsident Recep Tayyip Erdogan vor: Ekrem Imamoglus Baufirma wurde beschlagnahmt. Auch gegen Anhänger des CHP-Politikers wird ermittelt.

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Türkei Istanbul Bürgermeister Ekrem Imamoglu
Istanbuls Bürgermeister Imamoglu (Anfang März): Beschuldigt als korrupter TerrorunterstützerBild: Berkcan Zengin/Middle East Images/picture alliance

Zunächst wurde ihm am Dienstag der Hochschulabschluss aberkannt. Kurz darauf wurde Ekrem Imamoglu unter anderem wegen Terrorvorwürfen festgenommen, Ermittler durchsuchten sein Haus. Nun die nächste Maßnahme gegen den Sozialdemokraten und populären Bürgermeister der Millionenmetropole Istanbul: Die Justiz in der Türkei ließ Imamoglus Bauunternehmen beschlagnahmen. Dies teilte die Generalstaatsanwaltschaft von Istanbul in einer Stellungnahme am späten Mittwochabend mit. Die Kontrolle über "Imamoglu Construction" sei basierend auf Untersuchungsberichten zu Finanzkriminalität von einem Strafgericht übernommen worden, heißt es.

Ekrem Imamoglu gilt als der wichtigste politische Rivale von Präsident Recep Tayyip Erdogan. Seine Partei, die sozialdemokratische CHP, wollte Imamoglu am kommenden Sonntag zu ihrem Präsidentschaftskandidaten küren. Doch nun wirft die türkische Justiz dem 53-Jährigen neben Finanzkriminalität unter anderem Korruption und Unterstützung einer Terrorgruppe vor. Sein Hochschulabschluss - eine zwingende Voraussetzung für das Präsidentenamt - enthalte "offensichtliche Fehler", stellte die Universität Istanbul überraschend ausgerechnet jetzt fest.

Protest auf der Straße und im Netz

Trotz Verbots gingen in der Türkei Tausende Menschen gegen die Festnahme von Imamoglu auf die Straße. In Istanbul und der Hauptstadt Ankara forderte die Menge Präsident Erdogan zum Rücktritt auf. Die Demonstranten warfen ihm vor, durch die Festnahme seinen größten Rivalen ausschalten zu wollen. Am Rande der Proteste kam es zu Ausschreitungen und Festnahmen, wie Medien melden.

Türkei Istanbul 2025 | Protestierende halten mit eingeschalteter Taschenlampenfunktion ihre Handy im abendlichen Istanbul vor dem Gebäude der Stadtverwaltung in die Höhe (19.03.2025)
Imamoglu-Unterstützer in Istanbul (am Mittwochabend): Rücktrittsforderungen an ErdoganBild: Ozan Kose/AFP/Getty Images

Auch im Internet gab es eine große Welle der Empörung, was nun ebenfalls Konsequenzen hat: Social-Media-Plattformen sind in der Türkei nur noch eingeschränkt nutzbar und die türkische Polizei ermittelt gegen User wegen Beiträgen auf deren Accounts.

37 Personen seien bereits "gefasst" worden, ließ der türkische Innenminister Ali Yerlikaya verlauten. Diese Social-Media-User wurden demnach festgenommen. Insgesamt seien 261 Accountinhaber wegen "provokativer Beiträge" ermittelt worden, 62 davon im Ausland. Gegen die verbliebenen werde noch vorgegangen.

Den Nutzern werde etwa "Aufstachelung der Öffentlichkeit zu Hass und Feindseligkeit" und "Anstiftung zur Begehung einer Straftat" vorgeworfen. Insgesamt seien bis zum Donnerstagmorgen mehr als 18 Millionen Beiträge auf der Plattform X zu dem Thema veröffentlicht worden, so der Innenminister.

Der in der Türkei bekannte Cyberrechts-Aktivist Yaman Akdeniz schrieb am Morgen auf seinem Social-Media-Account, die Bandbreitendrosselung der Plattformen halte an. Nutzer und Medien berichten seit Mittwoch von nur teilweise und kaum erreichbaren Portalen.

Mahnende Worte aus Europa

Die größte Oppositionspartei CHP spricht von einem "Putschversuch gegen unseren nächsten Präsidenten". Die Regierung in Ankara wies einen politischen Bezug zurück.

EU Brüssel | Eine ernst blickende Ursula von der Leyen (19.03.2025)
EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen (am Mittwoch): "Äußerst besorgniserregend"Bild: Virginia Mayo/AP Photo//picture alliance

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bezeichnete die Festnahme als "äußerst besorgniserregend". Die Türkei müsse als Mitglied des Europarats und Beitrittskandidat zur Europäischen Union demokratische Werte und insbesondere die Rechte gewählter Amtsträger achten. "Wir wollen, dass die Türkei in Europa verankert bleibt, aber dies erfordert ein klares Bekenntnis zu demokratischen Normen und Praktiken", sagte von der Leyen in Brüssel.

Kritik kommt auch aus Deutschland: Die Bundesregierung spricht von einem "schweren Rückschlag für die Demokratie in dem Land am Bosporus".

Mit dem Vorgehen gegen Ekrem Imamoglu, der Umfragen zufolge Präsident Erdogan in der Wählergunst überholt hat, erreicht die seit Monaten andauernde Verfolgung von Oppositionellen einen neuen Höhepunkt. Kritiker sehen darin den Versuch, die Wahlchancen der Opposition mit juristischen Mitteln zu schwächen.

AR/se (rtr, dpa, ap, afp)

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